Der 52-jährige André Wiersig ist der einzige Deutsche, der die „Ocean's Seven“ - Königsdisziplin der Extremschwimmer - absolviert hat. Dabei sieht sich der Familienvater aus Paderborn eher als Umweltschützer. Im ZDF läuft nun die Doku-Serie „Man of the Ocean“ über einen besonderen Menschen.
Extremschwimmer André Wiersig„Nach fünf Minuten spürt man, dass der Körper in den Panikmodus geht“

André Wiersig schaffte als erster Deutscher die „Ocean's Seven“ - Königsdisziplin der Extremschwimmer. Doch eigentlich will der Mann nur auf die Schönheit und die Schutzbedürftigkeit der Ozeane hinweisen. Zu sehen in der dreiteiligen ZDF-Doku „Man of the Ocean“. (Bild: Jan Hendrik Eming)
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André Wiersig sieht nicht unbedingt aus wie der klassische Extremsportler. Mit 52 Jahren ein wenig zu alt, und auf den Rippen schleppt der Vater dreier Kinder fast ein bisschen zu viel Gewicht mit sich herum. Was aber seine Leistungen in den Ozeanen dieser Welt eher noch erstaunlicher macht. Wiersig ist der erste deutsche Schwimmer, der die „Ocean's Seven“ absolvierte. Nur mit einer Badehose bekleidet durchschwamm er trotz teils eisiger Temperaturen, starker Strömung, haushohen Wellen und gefährlicher Tiere die Cookstraße vor Neuseeland, den Nordkanal zwischen Irland und Schottland, den Ärmelkanal, den Kaiwi-Kanal auf Hawaii, die Tsugaru-Straße zwischen den nördlichen japanischen Hauptinseln sowie den Santa-Catalina-Kanal in Kalifornien. Was treibt den Mann an? - Die dreiteilige Doku „Man of the Ocean“ (ab Sonntag, 13. April, 15.45 Uhr, wöchentlich eine Folge, oder ab 11. April in der ZDF-Mediathek) begleitet den Schwimmer und Umweltschützer André Wiersig bei neuen Projekten.
teleschau: Sie schwimmen auf dem offenen Ozean. Sind die Wellen dort gefährlich?
André Wiersig: Ja und nein. Bis zu einer gewissen Höhe schwimmt man mit den Wellen mit. Was viele allerdings nicht wissen: Auch als Schwimmer kann man seekrank werden. Hohe Wellen kennt man als Strandurlauber bei stürmischer See nur aus einer Richtung. Sie schlagen gegen das Land. Wenn man aber auf offenem Meer schwimmt, kommen die Wellen von allen Seiten. Von vorn und hinten, rechts und links. Von unten, von oben und wenn sie zusammenschlagen, fliegst du schon mal durch die Gegend. Das kann sehr anstrengend sein. Trotzdem liebe ich das Ganze. Es ist ja dieses Meer, das ich spüren will.

Extremsportler André Wiersig im Robbenforschungszentrum Rostock: Der Langstreckenschwimmer begeistert zwar mit Rekorden, aber eigentlich geht es ihm um Aufmerksamkeit und Schutz für einen faszinierenden Lebensraum. Die ZDF-Doku „Man of the Ocean“ begleitet ihn über drei Folgen. (Bild: ZDF/Jan Hendrik Eming)
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teleschau: Sie gehen Ihre Projekte nicht nur für sich an, Sie wollen auch etwas erreichen ...
Wiersig: Ich möchte den Menschen die Gelegenheit zum Perspektivwechsel geben. Dass das Meer eben nicht nur eine schöne Kulisse ist, auf die man vom Land aus drauf blickt, sondern dass da ein riesiger, spannender Organismus neben uns lebt. Ein Organismus, der wild ist und ungezähmt, der uns deshalb Angst macht, aber vor allem wunderschön ist.
„Schon passiert, dass sich Haie für mich interessiert haben“
teleschau: Was sind die größten Herausforderungen beim Langstreckenschwimmen ohne Neopren-Anzug?
Wiersig: Die Kälte ist am härtesten. Zum Beispiel als ich durch die Irische See schwamm, von Irland nach Schottland. Das Wasser hatte 13 Grad. Über viele Stunden darin zu schwimmen, liegt definitiv außerhalb der Komfortzone. Auch das Salzwasser an sich macht dich fertig. Alle Schleimhäute sind kaputt, die Nase tut weh, eigentlich alle Körperöffnungen. Dann kommt die Strömung hinzu. Durch den Klimawandel verändern sich Strömungen gerade massiv. Wir kennen da noch bei weitem noch nicht alle Effekte. Manchmal kommt man über Stunden kaum von der Stelle. An Stellen, wo man früher relativ unbehelligt von der Strömung schwimmen konnte.

André Wiersig schaffte als bisher einziger Deutscher die „Ocean's Seven“. Er durchschwamm die Cookstraße (Neuseeland), den Nordkanal zwischen Irland und Schottland, den Ärmelkanal, den Kaiwi-Kanal auf Hawaii, die Tsugaru-Straße zwischen den nördlichen japanischen Hauptinseln sowie den Santa-Catalina-Kanal in Kalifornien. (Bild: ZDF und Jan Hendrik Eming)
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teleschau: Wie sieht es mit gefährlichen Tieren aus?
Wiersig: Giftige Quallen können sehr unangenehm werden, vor allem ohne Neopren. Ich bin auch Walen begegnet und natürlich Haien. Meistens sind die eher scheu, aber es ist auch schon passiert, dass sich Haie für mich interessiert haben. Passiert ist bislang nichts. Aber es sind schon besondere Begegnungen mit Nervenkitzel. Manchmal ist es einfach absurd, wenn man Makrelen- oder Thunfischschwärmen begegnet und einfach durch sie durchschwimmt.
teleschau: Was ist - unterm Strich - das Gefährlichste?
Wiersig: Ich glaube, es ist die Kombination aus Erschöpfung und Kälte. Da gibt man schon sehr viel Kontrolle ab und agiert im Grenzbereich dessen, was der menschliche Organismus noch hergibt. Manchmal schwimmt man an der Grenze zur Bewusstlosigkeit, weshalb meine Begleitmannschaft - bei all den schönen gemeinsamen Erlebnissen - auch ziemlich angespannt ist. Bei mir selbst geht es mit der Angst. Man bewegt sich ja, das lenkt ab.
„Es gibt Grenzen, die werde ich nicht überschreiten können“

Nicht überall sieht das Meer so einladend aus und ist das Land so nah wie in dieser Szene. André Wiersig durchschwimmt Ozean-Strecken, die für normale Menschen unmöglich zu meistern erscheinen. (Bild: ZDF und Elias Dupper)
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teleschau: Gibt es eine Temperaturuntergrenze und eine Distanzgrenze, wo Sie sagen würden: In kälterem Wasser oder eine weitere Strecke kann man einfach nicht schwimmen?
Wiersig: Die Frage bleibt unbeantwortet, weil Menschen diese Grenzen immer wieder verschieben. Ich bin schon mal sechs Stunden bei knapp zehn Grad kaltem Wasser geschwommen. An diesem Tag bin ich fast verunfallt. Man kann Ihre Frage, wo die Grenze liegt, eigentlich nur beantworten, indem man so lange schwimmt, bis man nicht mehr lebt. Der Körper meldet ja schon höchste Alarmstufe, wenn man in so kaltes Wasser hineinspringt, und nach fünf Minuten spürt man, dass der Körper in den Panikmodus geht. Dann hilft es, wenn man selbstbewusst bleibt. Wenn man daran denkt, was man schon alles geschafft hat. Aber klar, es gibt Grenzen, die werde ich nicht überschreiten können. Aber das weiß ich auch.
teleschau: Jetzt haben Sie über Temperaturen, aber nicht über Distanzen gesprochen. Wie weit kann ein Mensch schwimmen?
Wiersig: Auch da werden Grenzen immer wieder verschoben ...

André Wiersig wurde in Bochum geboren. Seit langem lebt er mit seiner Familie in Paderborn. Von einem „Man of the Ocean“ hätte man diese Binnenland-Vita nicht unbedingt erwartet. (Bild: ZDF und Jan Hendrik Eming)
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teleschau: Diane Nyad ist 177 Kilometer durch die Meerenge zwischen Kuba und Florida in 53 Stunden geschwommen, wie im Netflix-Film „Nyad“" zu sehen. So etwas geht aber nur in warmem Wasser, oder?
Wiersig: Ich kenne Diane persönlich, und sie ist natürlich unglaublich. Klar, bei Wassertemperaturen von 15, 16 Grad oder wärmer, kann ein Mensch schon sehr lange schwimmen. Wenn er trainiert ist und sich die Kraft gut einteilt. Oder nehmen Sie Jonas Deichmann, der gerade diesen Weltrekord aufgestellt hat, indem er 120 Ironman-Distanzen in 120 Tagen absolvierte. Alles Dinge, wo man vorher sagen würde: So etwas ist unmöglich. Doch, wie gesagt, Rekordjagd ist nicht mein Ding. Ich sehe mich als ganz normalen Typen, der Lust hat, Menschen für die Schönheit des Ozeans zu begeistern. Dieses „Alles ist möglich“-Ding, für das auch Diane steht, ist eigentlich gar nicht so mein Ding.
„Die 'Ocean's Seven'-Aktion hat mich ein halbes Vermögen gekostet“
teleschau: Sie sind in Bochum geboren und leben schon lange als Familienvater in Paderborn. All das klingt nicht nach Meer. Hat man da als „Man of the Ocean“ nicht ständigen Entzug?
Wiersig: Ich habe als Kind alles verschlungen, was mit dem Meer zu tun hatte. Damals liefen im Fernsehen die Filme von Jacques Cousteau - mein absolutes Lieblingsprogramm. Außerdem fand jeder große Familienurlaub am Meer statt, als ich ein Kind war. Schwimmtraining kann man auch machen, wenn man nicht am Meer lebt. Der Rest hat sich einfach so ergeben. Dass ich UN-Botschafter für das Meer geworden bin oder dass mich mitten in der Nacht Inselstaaten anrufen, weil sie die Zeitzonen vergessen haben und verzweifelt sind, weil sie sich vom Meer entfremdet haben. Die nennen mich einfach nur „Man of the Ocean“, weil sie sich meinen richtigen Namen nicht merken können. Da heißt es dann: „Man of the Ocean“, kannst du nicht mal eine Aktion bei uns machen, um uns zu helfen?

Extremschwimmer André Wiersig: Nur mit einer Badehose bekleidet durchschwamm er trotz teils eisiger Temperaturen, starker Strömung, haushohen Wellen und gefährlicher Tiere die sieben berühmtesten Meerengen. (Bild: ZDF und Jan Hendrik Eming)
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teleschau: Und dann tun Sie das?
Wiersig: Wenn es irgendwie geht, dann helfe ich. Und zwar nie gegen Bezahlung, sondern eigenfinanziert, um nicht in irgendwelche Abhängigkeiten zu geraten oder kommerzielle Interessen zu bedienen. Ich bin auch dagegen, alles immer nur schlechtzureden und ständig mahnend den Zeigefinger zu heben. Natürlich werden dem Meer und der ganzen Erde schreckliche Dinge angetan. Es schreckt aber ab und frustriert, wenn man die Menschen mit zu viel Schuld und Negativem überlädt. Ich versuche stattdessen, Faszination und Interesse für diesen spannenden Ort, das Meer, zu wecken.
teleschau: Sie haben früher mal als IT-Manager gearbeitet, sind nun aber hauptberuflich in Sachen Ozean unterwegs. Wie finanzieren Sie das?
Wiersig: Vor allem durch Vorträge. Wenn ich nicht gerade in einem Schwimm-Projekt drin hänge, reise ich durch die Gegend und rede über das, was ich tue. Auf Einladung von Firmen oder Institutionen. Davon lebe ich. Früher war es schon ganz schön stressig, mit Job, Familie und dem Schwimmen. Die „Ocean's Seven“-Aktion hat mich ein halbes Vermögen gekostet. Meine Frau war alles andere als begeistert.
„Ich sehe mich als ganz normalen Durchschnittsmenschen“
teleschau: Was interessiert die Sponsoren Ihrer Vorträge am meisten?
Wiersig: Das kann ich Ihnen nicht sagen, da Sie ja mich und mein Ding einkaufen. Natürlich geht es bei mir auch um Themen wie Motivation, Verantwortung, Grenzen verschieben. Aber eben auch darum, dass man Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen kann. Es gibt wunderbare Beispiele dafür. Wir brauchen eine erfolgreiche Wirtschaft und auch die Energie der Menschen, um den Willen zu mehr Nachhaltigkeit durchzusetzen. Wenn es den Leuten schlecht geht, sie Angst haben und ihnen das Wasser bis zum Hals steht, denken sie nicht zuerst an die Umwelt.
teleschau: Können Sie mit dem Begriff Held, Übermensch oder Vorbild etwas anfangen?
Wiersig: Mit den ersten beiden Begriffen sind Sie bei mir komplett an der falschen Adresse. Ich sehe mich als ganz normalen Durchschnittsmenschen, der seine Begeisterung teilt. Ein Typ, der 52 ist, ein paar Kilo zu viel draufhat und ein zerfurchtes Gesicht mit sich rumträgt. Ich bin alles andere als ein Idol oder Übermensch. Ein Vorbild möchte ich nur in dem Sinne sein, dass man über mich das Meer besser kennen- und lieben lernen kann. Und natürlich, dass man Verantwortung für unsere Umwelt übernehmen sollte. Nicht als lästige Pflicht oder aus einem Schuldgefühl heraus, sondern weil wir auf einem faszinierenden Planeten leben, in einer wunderschönen Welt. (tsch)