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In ZDF-Doku spricht die Beamtin, die Cum-Ex auf die Spur kam„Habe nur meinen Job gemacht“

Lesezeit 5 Minuten
Die Steuerbeamtin Jana Stobinsky brachte mit ihren Anfangsermittlungen die Cum-Ex-Enthüllungen fast im Alleingang ins Rollen. Sie sagt: „Das war mein Job, und den habe ich gemacht.“ (Bild: ZDF / Friedrich Moser / zero one film)

Die Steuerbeamtin Jana Stobinsky brachte mit ihren Anfangsermittlungen die Cum-Ex-Enthüllungen fast im Alleingang ins Rollen. Sie sagt: „Das war mein Job, und den habe ich gemacht.“ (Bild: ZDF / Friedrich Moser / zero one film)

Es ist der größte Steuerraub in der Geschichte Europas. Der Film „Systemfehler: Der Cum-Ex Skandal“ zeichnet nach, wie ein Netzwerk von Bankern, Anwälten und reichen Investoren die Staatskassen um 146 Milliarden Euro betrog. Täter und Strafverfolger sprechen offen vor der Kamera.

„Es wäre großartig, wenn ich Cum-Ex in 20 Sekunden zusammenfassen könnte“, sagt der britische Steuerrechtsexperte Richard Collier vor der ZDF-Kamera. Aber dafür sei das Thema dann doch zu komplex. „Was macht die Komplexität aus? Wahrscheinlich die gewaltige Anzahl der Transaktionen. Sie suchen nach der Nadel im Heuhaufen.“

So ähnlich fühlt man sich auch bei der Ansicht des Films „Systemfehler: Der Cum-Ex Skandal“ von Oliver Schröm und Judith Lentze. Man ringt ums Verstehen. Wie konnte es sein, dass ein weit verzweigtes Netzwerk von Bankern, Anwälten und Investoren die Steuerkassen um schlappe 146 Milliarden Euro erleichterte? Doch selbst, wer nicht jedes tapfer (und bisweilen unterhaltsam) erklärte Buchungsdetail der ZDF-Doku versteht, gewinnt so manche Erkenntnis. Nicht zuletzt über die egoistische Natur mancher Menschen.

„Wenn da ein großes Schild steht: Bedienen Sie sich! Dann bedient sich auch jemand.“

In den Cum-Ex-Skandal waren auch deutsche Banken verwickelt. (Bild: ZDF / Friedrich Moser / zero one film)

In den Cum-Ex-Skandal waren auch deutsche Banken verwickelt. (Bild: ZDF / Friedrich Moser / zero one film)

Das Modell Cum-Ex, das spielte den Tätern lange in die Karten, ist so trocken und kompliziert, dass es trotz des gigantischen Schadens lange kein „Breaking News“-Thema in den Medien war. Man kennt das: Der dreiste Bürgergeld-Abzocker emotionalisiert im Zweifel mehr als obskure Dinge, die auf den Rechnern von Finanzjongleuren vor sich gehen. Da schafft das ZDF nun dankenswerterweise Abhilfe. Die neue Doku wird begleitet von einer Miniserie namens „Die Affäre Cum-Ex“ mit Stars wie Lisa Wagner, Justus von Dohnányi und Fabian Hinrichs. Dort wird die Betrugsmasche unter anderem mit Vergleichen zur Pfandrückgabe erklärt.

Wie also funktioniert Cum-Ex? Stark vereinfacht verhält es sich so: Man zahlt Steuern auf Kapitalerträge bei Aktien-Dividenden, lässt sie sich zweimal rückerstatten und behauptet, der Vorgang sei legal. Das behaupten viele der Täter noch heute.

In einer Archivszene der Doku tönt der in Dänemark verurteilte britische Trader Sanjay Shah: „Wenn da ein großes Schild steht: Bedienen Sie sich! Dann bedient sich auch jemand. Niemand hat je gesagt, das ist illegal.“ Und weiter: „Geben Sie nicht mir die Schuld! Ersten bin ich nicht der Einzige, der damit Geld verdient hat. Zweitens steht die Regierung dafür in der Verantwortung. Es war absolut legal und legitim.“

„Der Feind ist der Staat, der will uns was wegnehmen“

Die ehemalige Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker wurde durch ihre Ermittlungen zu Cum-Ex international bekannt. (Bild: ZDF / Friedrich Moser / zero one film)

Die ehemalige Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker wurde durch ihre Ermittlungen zu Cum-Ex international bekannt. (Bild: ZDF / Friedrich Moser / zero one film)

Ist Cum-Ex also nur ein Fehler im Steuersystem, der zum Produkt der Finanzbranche wurde? Dem widerspricht Roland Zickler, der 2020 als Vorsitzender Richter am Landgericht Bonn eine richtungsweisende Entscheidung zu treffen hatte: „Wir hatten von Anfang an die Erzählung gegen uns, es würde sich ja lediglich um eine Gesetzeslücke handeln, die man straffrei nutzen dürfe.“ Zickler entschied anders: „Es gibt diese Gesetzeslücke nicht.“ Dem folgte 2021 der Bundesgerichtshof.

In Bedrängnis geriet dadurch auch der in Cum-Ex verwickelte Rechtsanwalt Kai-Uwe Steck. Um seine „Haut zu retten“, wie er rückblickend zugibt, entschied er sich, als Kronzeuge auszusagen. Im ZDF-Film liefert er wertvolle Einblicke in die Geisteshaltung der Täter: „Der Feind ist der Staat, der will uns was wegnehmen, Steuern sind Kosten, und die muss man senken“ - so beschreibt er die Denke seines beruflichen Umfelds.

Steck spricht von einer „Mischung aus Gier und übersteigertem Selbstwertempfinden“. Er nehme sich selbst nicht aus. „Ich hatte damals das Mindset 'höher, schneller, weiter'.“ Ein Unrechtsbewusstsein habe keiner gehabt. „Da herrschte dann schon Kapitalismus in Reinkultur.“

Cum-Ex: Strafverfolger beklagen fehlendes Unrechtsbewusstsein

In der Fiction-Serie „Die Affäre Cum-Ex“ spielen unter anderem Justus von Dohnányi (links) und Nils Strunk. (Bild: ZDF und Petro Domenigg)

In der Fiction-Serie „Die Affäre Cum-Ex“ spielen unter anderem Justus von Dohnányi (links) und Nils Strunk. (Bild: ZDF und Petro Domenigg)

Die ehemalige Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker hatte mit etlichen Kronzeugen zu tun, viele hoch spezialisierte Mathematiker. Die habe man alle gefragt, was sie sich dabei gedacht hätten, sich Steuern erstatten zu lassen, die vorher nicht abgeführt worden waren. „Da haben alle gesagt: Kam mir schon komisch vor.“ Aber dann sei ihnen versichert worden: „Das stört keinen.“ Dann hätten sich alle an die Praktiken gewöhnt: „Dollarzeichen in den Augen! Das war eben unser Steuergeld.“

Der Investigativ-Journalist Oliver Schröm, der die Recherchen mit vorantrieb und Co-Autor der ZDF-Doku ist, beklagt ebenfalls fehlendes Unrechtsbewusstsein: Solche „White-Collar-Criminals“, also „Weiße-Hemdkragen-Kriminelle“, seien „natürlich meistens Leute aus der Upper Class, Banker aus gutem Hause. Die stehen ja nicht morgens vorm Spiegel beim Zähneputzen und sagen: 'Ja, ich bin Betrüger und habe die Staatskasse ausgeraubt.'“

Einer der Verurteilten sei sogar Finanzbeamter gewesen, bevor er die Seiten gewechselt habe. „Man denkt eigentlich, der Mann müsste wissen, was Recht und Unrecht ist“. Aber die Haltung sei eine andere, paraphrasiert Schröm: „Nee, ich bin im Recht, weil alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt.“

Steuerbeamtin brachte alles ins Rollen: „Das war mein Job, und den habe ich gemacht“

Kritische Schlaglichter wirft die Doku auch auf die Politik. Mit Kopfschütteln berichtet der Finanzwirtschaftsexperte Professor Christoph Spengel von seinen Anhörungen vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages und dem EU-Parlament. Bei der EU sei sein Vorschlag, Europol Informationen zur Strafverfolgung zukommen zu lassen, wegen fehlender Zuständigkeit zurückgewiesen worden. Spengel: „Wenn man was erreichen will, muss man was ändern. So ist es halt im Leben. Es scheint ein grundsätzliches Problem zu sein.“

Ist da der nächste Betrugsskandal schon vorprogrammiert? „Wir müssen antizipieren, dass das ein internationales Geschäft ist und uns klar darüber werden, dass wir alleine als Bundesrepublik fast nichts machen können“, zieht der Forensiker und Wertpapierexperte Alexander Heist sein Fazit. Einen internationalen Konsens im Steuerrecht herbeizuführen, sei „schwierig, wird vielleicht auch nie gehen, aber als Ideal sollte man das nicht aus dem Blick verlieren“.

Am Ende, so viel Heldenstory gönnt sich die Doku, hängen Wohl und Wehe auch immer von Einzelnen ab. Etwa von der Steuerbeamtin Jana Stobinsky, die mit ihren Anfangsermittlungen die Cum-Ex-Enthüllungen fast im Alleingang ins Rollen brachte. Ob ihr bewusst sei, was sie ausgelöst habe, wird sie ganz am Ende gefragt. Die Antwort: „Als ich damals angefangen habe, war es meine Aufgabe, ungerechtfertigte Erstattung zu verhindern. Das war mein Job, und den habe ich gemacht. Ich habe einfach nur meinen Job gemacht.“

„Systemfehler: Der Cum-Ex Skandal“ läuft am Dienstag, 15. April, 0.45 Uhr, ZDF und schon jetzt auf dem ZDF-Streamingportal.

Die deutsch-dänische Serie „Die Affäre Cum-Ex“ ist am Sonntag, 13. April, und Montag, 14. April, jeweils ab 22.15 Uhr im ZDF zu sehen - und ebenfalls schon jetzt als Streaming-Angebot verfügbar. (tsch)