Am Sonntagabend ist FDP-Chef Christian Lindner zu Gast bei Caren Miosga in der ARD. Die befragt den Ex-Minister hart und schonungslos zu dem Krisenpapier seiner Partei.
Lindner gerät bei Wortgefecht mit Miosga ins Stottern„Gibt es in den Schubladen aller Parteizentralen“
Wenn man in diesen Tagen über die FDP nachdenkt, kommen einem viele Umschreibungen über den Zustand der Partei in den Kopf. „Fundamental demolierte Partei“ trifft es wohl am besten. Und so ist am Sonntagabend vor der Sendung die Frage: Kommt er, oder kommt er nicht? Nun, Christian Lindner kommt zu Caren Miosga. Hut ab!
Am Freitag wirkte er in Interviews bei ARD und ZDF noch verunsichert. Fahrig und manchmal stammelnd gab er den „fraglos düpierten Parteichef“. An diesem Sonntag soll Lindner eigentlich erklären, ob er mit dem Ampel-Aus die Wirtschaft oder seine Partei retten wollte. Nun geht es vor allem darum, ob die FDP noch zu retten ist, oder ob ihr das „D-Day-Papier“ das Genick brechen wird.
Christian Lindner: „Ich habe das Dokument nicht zur Kenntnis genommen“
Ob er sich in einer offenen Feldschlacht befände, will Caren Miosga direkt zu Beginn ihrer Talkrunde im Ersten von Lindner wissen. „Nein. Diesen Begriff würde ich auch nicht verwenden in politischen Zusammenhängen“, antwortet Lindner. Es sei sehr bedauerlich, dass nicht nur zwei verdiente Parteifreunde politische Verantwortung übernehmen mussten für den politischen Umgang mit den Leaks, mit den Indiskretionen. Zudem sei über die Motive und die politischen Vorhaben der FDP ein ganz falscher Eindruck entstanden, fügt Lindner hinzu.
Er wirkt recht niedergeschlagen zu Beginn der Sendung, macht einen betroffenen Eindruck. Später ist er dann wieder ganz er selbst. Er übernimmt zwar die Verantwortung, aber Schuld tragen die anderen. „Ich habe das Dokument nicht zur Kenntnis genommen“, sagt er bei Miosga. „Ich hätte es auch nicht gebilligt“, fügt er hinzu. Es hätte politisch ohnehin keine Bedeutung gehabt. „Ich kannte dieses Papier nicht. Dennoch will ich sagen, dass ich kein Problem damit habe, dass es erstellt worden ist. Das will ich unumwunden und glasklar sagen“, so Lindner. Ihm sei klar gewesen: Deutschland brauche einen Politikwechsel. Die Ampel habe die Akzeptanz der Bevölkerung vollständig verloren.
„Es geht hier um aktive Sabotage der Regierungspolitik“, wirft Miosga Lindner vor. Als dieses Dokument entstanden sei, habe jemand im Kanzleramt drei unterschiedliche Reden für Olaf Scholz geschrieben, erwidert Lindner. „Sie lenken ab“, wirft ihm Miosga vor, der das Gespräch sichtlich Spaß macht. „Ich lenke nicht ab, sondern diese Diskussion lenkt vom politischen Kern ab“, fängt Lindner an.
„Ich würde gerne wissen ...“, beginnt Miosga eine Frage. „Bitte unterbrechen Sie mich doch nicht bei jedem Satz, wenn ich versuche ...“, unterbricht Lindner. „Naja“, fällt nun wieder Miosga ins Wort: „Sie lenken insofern ab, weil sie ...“ Darauf Lindner wieder: „Vielleicht möchten die Zuschauer auch einfach mal den Sachverhalt hören.“Nun schaltet sich das Studiopublikum ein. Es applaudiert. 1:0 für Lindner. Der darf jetzt ausreden.
Er habe die Arbeit der Ampel nicht mehr verantworten können und innerhalb der Koalition vorgeschlagen, was verändert werden müsse. Damit sei er nicht durchgedrungen und habe dann vorgeschlagen, gemeinsam zu Neuwahlen zu kommen. Auch ein Ausstieg der FDP sei zur Sprache gekommen. Davon gebe es auch Papiere. „Warum veröffentlichen Sie die dann nicht“, fragt Miosga - und zieht das Publikum auf ihre Seite. Applaus. 1:1.
Plötzlich verfällt Christian Lindner in Selbstmitleid
Und dann geht es wieder um das FDP-Papier. Das interessiert Lindner weniger. Die kriegerische Wortwahl: geschenkt. Wie es an die Öffentlichkeit gelangen konnte, das treibt ihn um. Er habe das Papier nach den journalistischen Rechercheanfragen das erste Mal gesehen, so Lindner. Der Rest werde aufgearbeitet.
Wie es sein könne, dass Parteigeschäftsführer Reimann dieses Dokument schon Mitte Oktober erstellt und ihn, Lindner, nicht informiert habe, hakt Miosga nach. „In einer Parteigeschäftsstelle werden doch dutzende Dokumente jeden Tag erstellt“, sagt Lindner. Er jedenfalls habe ein „Ende des „Herumscholzens“ herbeiführen wollen, wie er sagt.
Reimann und Lindner arbeiten eng zusammen, beschreibt Miosga das Verhältnis der beiden, das freundschaftlich zu sein scheint, um dann hinzuzufügen: „Ich kann mir nicht vorstellen mit sehr vielen anderen Leuten in der Republik, dass Sie nicht so eng zusammenarbeiten, dass Sie von so einem massiven Plan nichts wussten.“ Applaus. 2:1 für Miosga.
„Das sage ich doch gar nicht“, sagt Lindner. „Ich habe nicht nur gewusst, dass wir auch das Ende der Ampel durchdenken müssen. Ich wollte, dass wir das aktive Ausscheiden der FDP aus der Regierung durchdenken.“ Habe er das Papier dann doch in Auftrag gegeben? fragt Miosga. Lindner stammelt: „Nicht dieses Papier. Entschuldigung, ich habe dies ... Das Papier selbst ist jetzt nicht professionell und es ist auch von der Anlage in der Stilistik nicht so, dass man es billigen könnte. Aber dass es dieses Papier gegeben hat, von der Begrifflichkeit abgesehen, das gibt es in den Schubladen aller Parteizentralen. Und es wäre unprofessionell gewesen, zu einem Zeitpunkt, als doch jede ARD-Nachrichtensendung berichtet hat, die Ampel könnte platzen, - zu einem solchen Zeitpunkt darf sich der Bundesgeschäftsführer einer Partei nicht darauf vorbereiten? Nein.“
Lindner weiter: Der FDP-Generalsekretär Djir-Sarai habe zurücktreten müssen, weil er in der Öffentlichkeit unwissentlich eine Falsch-Aussage getätigt habe - der Parteigeschäftsführer, weil der das so gewollt habe; Aber er, Lindner, übernähme die Gesamtverantwortung, dass das Ausscheiden der FDP aus der Ampel von Herrn Scholz eine Option gewesen sei. Miosga ist mit der Antwort wieder nicht zufrieden. Lindner: „Das, was Sie letzte Woche zu wenig kritisch waren, müssen Sie in dieser Woche nicht alles nachholen.“ Das Publikum stöhnt genervt, Miosga kontert: Es sei „die alte Leier“, dass ihr das quasi jeder Politiker-Gast vorwerfe.
Dann verfällt Lindner plötzlich in Selbstmitleid. Er erlebe, dass das Publikum bei Miosgas kritischen Fragen applaudiere, „wo ich gerade mein Staatsamt aufgegeben habe für meine Überzeugungen“. Applaus, der ausdrücken würde, „da steht einer für irgendwas“, fände er allerdings angemessener. Teile des Publikums kommen seiner Bitte mit Klatschen nach. „Ich hätte es auch gern anders gehabt“, gibt Lindner zu Protokoll, stelle sich als Parteichef aber weiter dem derzeitigen „Hagelschauer mit faustgroßen Hagelkörnern“, weil er an etwas glaube. „Wir werden sehen, wie glaubwürdig das wirkt - nämlich am 23. Februar“, entgegnet Miosga darauf nüchtern.
Zum Schluss fragt Miosga: „Zeigen Sie uns die anderen Szenarien auch?“ Lindner: „Dieses Papier ist ja durch Indiskretion an die Öffentlichkeit gekommen. Ich mache ein Angebot. Wenn andere Parteien ihre internen Papiere auch öffentlich machen würden, dann macht die FDP das auch.“ (tsch)