Die mit Hits wie „The Ballad of Lucy Jordan“ weltberühmt gewordene Sängerin ist tot. Wir erinnern mit 11 Lieder an Marianne Faithfull.
Mehr als Mick Jaggers MuseMarianne Faithfull gestorben – diese 11 Lieder sollten Sie kennen
Die britische Sängerin und Schauspielerin Marianne Faithfull ist tot. Sie starb im Alter von 78 Jahren in London, wie die britische Nachrichtenagentur PA unter Berufung auf einen Sprecher meldete. „Mit großer Trauer geben wir den Tod der Sängerin, Songschreiberin und Schauspielerin Marianne Faithfull bekannt“, hieß es in einer Stellungnahme, aus der auch andere Medien wie die BBC zitierten.
Wir erinnern an die Künstlerin mit einer Auswahl ihrer 11 schönsten und wichtigsten Lieder.
„As Tears Go By“ (1964)
Ihr erster großer Hit, geschrieben von Mick Jagger, Keith Richards und Andrew Loog Oldham. Eine Ballade über verlorene Jugend, die sie als blutjunge Sängerin auf Platz 9 der UK-Charts katapultierte. Danach veröffentlichte sie eine Reihe erfolgreicher Singles, darunter „This Little Bird“, „Summer Nights“ und „Come and Stay with Me“, die alle die britischen Top 10 erreichten.
Marianne Faithfull und Mick Jagger verband Ende der 1960er Jahre eine turbulente Beziehung, in deren Verlauf sie in den inneren Kreis der Rolling Stones aufstieg. Oft wurde sie als Jaggers Muse bezeichnet, doch der Rock’n’Roll-Lifestyle forderte seinen Tribut: Faithfull wurde zum Junkie, saß im Gefängnis und lebte zwei Jahre auf der Straße. Es dauerte viele Jahre und einige Entziehungskuren, bis sie ihre musikalische Identität wiedergefunden hatte. Wie aus Trotz nahm sie das Lied 1987 und 2018 mit völlig veränderter Stimme erneut auf – rau, gebrochen und mit all den Narben ihrer Vergangenheit.
„Broken English“ (1979)
Der Titelsong des gleichnamigen Albums muss damals ein akustischer Schock gewesen sein. Die raue, vom Leben gezeichnete Stimme, die düstere Atmosphäre und die kompromisslose Offenheit machten ihn zu einem der überraschendsten Comebacks der Musikgeschichte – ein Neuanfang, der wenige Jahre zuvor mit einem kaum beachteten Country-Album begonnen hatte.
Stilistisch verbindet der Antikriegssong Elemente aus New Wave, Punk und Dance, getragen von einer unerbittlichen Basslinie, die Faithfulls erschöpften, wütenden Protest unterstreicht – nicht nur gegen den Kalten Krieg, sondern gegen die menschliche Neigung zu kämpfen, zu intrigieren, zu erobern und einander zu übertrumpfen. Inspiriert wurde das Lied von Ulrike Meinhof, Mitbegründerin der terroristischen Baader-Meinhof-Bande.
„What Have They Done to the Rain“ (1965)
Schon als Teenager war Faithfull kompromisslos. Kaum ein anderer Star hat in seiner Karriere zwei Debütalben veröffentlicht. Der von Malvina Reynolds geschriebene Protestsong gegen oberirdische Atomtests stammt von ihrem ersten Popalbum – das zeitgleich mit einem zweiten Album mit traditionellen Folksongs erschien, die Faithfull besonders am Herzen lagen.
Faithfulls Interpretation machte den Song zu einer eindringlichen Warnung vor den langfristigen Folgen menschlicher Zerstörung, und ihre damals zarte, zerbrechliche Stimme verlieh ihm eine noch tiefere Dringlichkeit.
„Running for Our Lives“ (1983)
Faithfulls Wandlung in den 80er Jahren zeigt sich auch in diesem Lied aus dem Album „A Child’s Adventure“, das eingängige Synthesizer mit einer düsteren, spannungsgeladenen Atmosphäre verbindet. Der Text beschreibt eine Flucht, die real oder imaginär sein kann – ein Spiel, das zur bitteren Realität wird.
Zeilen wie „Running for our lives, at least we’re pretending we are“ deuten an, dass die Protagonisten in einem Teufelskreis gefangen sind, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die scheinbare Harmonie des Songs wird jäh durchbrochen, als nach dem Refrain ein instrumentaler Break mit dröhnenden, verzerrten Gitarren einsetzt. Dieser unerwartete Moment verstärkt die Rastlosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Flucht, die letztlich nur eine Illusion bleibt.
„Sister Morphine“ (1969)
Ursprünglich nur als B-Seite veröffentlicht, wurde der Song zu einem ihrer eindrucksvollsten Werke. Von Faithfull gemeinsam mit Mick Jagger und Keith Richards geschrieben, erzählt es aus der Perspektive eines Schwerverletzten, der sich nach der „Schwester“ Morphium sehnt, während er dem Tod entgegen taumelt. Faithfulls brüchige Stimme verstärkt die beklemmende Atmosphäre und macht den Song zu einer erschütternden Reflexion über Schmerz und Sucht.
In Großbritannien wurde die Single nach nur etwa 500 verkauften Exemplaren von Decca zurückgezogen, da der Titel eindeutig auf Drogen anspielte – in anderen Ländern blieb sie jedoch im Handel. Die Rolling Stones veröffentlichten den Song erst zwei Jahre später mit Jaggers Gesang, aber Faithfulls Version blieb die eindringlichste. Als der Song erschien, stand sie bereits am Anfang ihrer eigenen Drogenprobleme, was ihm eine fast unheilvolle Vorahnung verleiht. In den folgenden Jahren wurde „Sister Morphine“ zu einem bedrückenden Symbol ihres eigenen Abstiegs.
„Crazy Love“ (2004)
In den 2000er Jahren feierte Faithfull ein weiteres Comeback mit mehreren bemerkenswerten Alben. Das gemeinsam mit Nick Cave geschriebene „Crazy Love“ stammt aus dem starken Album „Before the Poison“, auf dem sie auch mit PJ Harvey oder Damon Albarn von Blur zusammenarbeitete.
Der Song beschreibt rastlose, entwurzelte Charaktere, die sich durch ein Leben treiben lassen, das sie längst desillusioniert hat. Die immer wiederkehrende Zeile „Love is crazy, love is blind“ verstärkt das Gefühl verlorener Hoffnung und zielloser Suche. Das Stück passt perfekt zur fatalistischen Stimmung des Albums, die Faithfull zum Teil der Welt nach dem 11. September 2001 zuschreibt.
„Truth, Bitter Truth“ (1981)
Nach dem Triumph von „Broken English“ konnte Marianne Faithfull mit ihren folgenden Alben „Dangerous Acquaintances“ (1981), „A Child’s Adventure“ (1983) und „Strange Weather“ (1987) die hohen Erwartungen nur teilweise erfüllen. Dennoch brachten sie einige bemerkenswerte Songs wie „Truth, Bitter Truth“ hervor. Als das Lied 1981 erschien, war Faithfull 34 Jahre alt. Trotz ihres jungen Alters klang ihre Stimme bereits nach einem Jahrhundert Lebenserfahrung.
Der Song scheint die Motive von „As Tears Go By“ aufzugreifen, doch während sie 1964 melancholisch auf ihre Kindheit zurückblickte, klingt hier alles resignierter, härter und ernüchterter. Der Text beschreibt die Suche nach der verlorenen Unschuld, die Konfrontation mit einer unbequemen Wahrheit und die Ablehnung dessen, was nicht ins Weltbild passt.
„In My Own Particular Way“ (2018)
Faithfull, die in den letzten zwei Jahrzehnten schwere gesundheitliche Rückschläge hinnehmen musste – unter anderem Hepatitis C, Arthritis und einen Wirbelbruch nach einem Sturz – bewies 2014, dass mit ihr immer noch zu rechnen ist. Der Song stammt aus dem Album „Give My Love to London“, das eindrucksvoll zeigte, dass ihre künstlerische Kraft ungebrochen war.
Die schwebende Atmosphäre des Liedes unterstreicht seine melancholische Grundstimmung, während der Text eine Abrechnung mit der Vergangenheit ist. Sie reflektiert ihr bewegtes Leben, ihre Fehler und Narben, doch statt zu verzweifeln, klingt es fast hoffnungsvoll: „I’m ready to love at last“. „In My Own Particular Way“ ist ein bewegendes Spätwerk, das ihre Verletzlichkeit, aber auch ihre unerschütterliche Stärke zeigt.
„The Ballad of Lucy Jordan“ (1979)
Mit diesem Song aus ihrem Meistwerk „Broken English“ gelang Marianne Faithfull ein entscheidendes Comeback. Der ursprünglich von Dr. Hook & the Medicine Show (!) aufgenommene Song erzählt die Geschichte einer Frau, die erkennen muss, dass ihre Lebensträume unerreichbar bleiben. Faithfulls zerbrechlicher Gesang, begleitet von einem einsamen Synthesizer, strahlt über die gesamte Länge des Songs eine beunruhigende Offenheit aus.
Die meisten Überlebenden der 60er Jahre scheiterten, als sie mit New Wave liebäugelten; Faithfull aber passte sich nicht nur an, sie emanzipierte sich mit Erfindungsreichtum zu einer ernsthaften Songwriterin mit einer Tiefe, die nur wenige Vertreter des aufkommenden Genres erreichten. In Deutschland wurde „The Ballad of Lucy Jordan“ ein Riesenhit und erreichte Platz 5 der Singlecharts. Noch ikonischer wurde der Song später durch den Film „Thelma & Louise“.
„The Gypsy Faerie Queen“ (2018)
In diesem Duett mit Nick Cave entfaltet sich eine für Faithfull ungewöhnliche, fast märchenhafte Atmosphäre, die Gänsehaut erzeugt. Faithfull singt von einer Feenkönigin, die durch das Land zieht und Heilung bringt. Das Lied spielt mit dem Zwischenreich von Realität und Fantasie, in dem die Protagonistin einer Gestalt folgt, die einst sprach, nun aber schweigt.
Nach Jahrzehnten der Exzesse, Kämpfe und Rückschläge wirkt dieser Song wie eine Akzeptanz des Unvermeidlichen. Der Song strahlt eine fast spirituelle Ruhe aus, als hätte Faithfull trotz ihrer schweren Krankheiten in den letzten Lebensjahren ihren Frieden mit dem Leben und seinen Höhen und Tiefen gemacht.
„The Bridge of Sighs“ (2021)
Auf ihrem letzten Album zu Lebzeiten, „She Walks in Beauty“, aufgenommen mit Warren Ellis, dem langjährigen musikalischen Partner von Nick Cave, rezitiert Faithfull berühmte Gedichte. Darunter auch dieses von Thomas Hood aus dem Jahr 1844, das die tragische Geschichte einer jungen, obdachlosen Frau erzählt, die sich von der Waterloo Bridge in London stürzt. Hood schildert ihren Tod mit einer Mischung aus Mitgefühl und ätherischer Schönheit.
Ellis' sphärische Untermalung verstärkt das Gefühl von Verlorenheit und Erlösung zugleich. In den letzten Jahren ihres Lebens, nach einer fast tödlichen Corona-Erkrankung, wurde dieses Album zu einer eindrucksvollen Reflexion über Vergänglichkeit und das, was bleibt. „The Bridge of Sighs“ klingt wie ein stilles Resümee – ein letzter Blick auf ein Leben, das so viele Brüche hatte und doch seine eigene Schönheit bewahrte.