Der bekannte Berliner Medienanwalt kritisierte nun das Gros der entsprechenden Formate scharf: Das persönliche Schicksal von Menschen werde effekthascherisch genutzt, „um Einschaltquote, Auflage und Klickzahlen zu generieren“.
In True-Crime-FormatenMedienanwalt Schertz erkennt „eklatante Opferrechtsverletzungen“

Nachgestellte Szene aus dem ZDF-Fahndungsklassiker „Aktenzeichen XY ... Ungelöst“: Den Ansatz hält ein bekannter Medienrechtler für legitim, den vieler anderer True-Crime-Formate hingegen nicht. (Bild: ZDF/Saskia Pavek)
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Seit einigen Jahren hat das Schlagwort „True Crime“ einen Boom ausgelöst, der nicht abzuebben scheint. Dokus, Serien und nicht zuletzt Podcasts über wahre Verbrechensfälle erfreuen sich beim Publikum großer Beliebtheit. In ihren Mediatheken haben viele TV-Sender entsprechende Rubriken eingerichtet. „Hintergründe & Einblicke in die Ermittlungsarbeit von echten Kriminalfällen. Spannung und Nervenkitzel garantiert“, wirbt etwa die ARD-Mediathek für ihr „True Crime“-Angebot. Doch der Hype hat eine Kehrseite.
Das zumindest betont seit Längerem der auf Medienrecht spezialisierte Berliner Anwalt Christian Schertz (dem die ARD im vergangenen Jahr ein viel beachtetes Porträt widmete). In einem Interview mit dem Opferhilfe-Verein Weißer Ring monierte der Jurist, „dass viele der Formate meines Erachtens eklatante Opferrechtsverletzungen enthalten - oder aber, wenn es keine Rechtsverletzungen sind, dass die Opfer rechtlos sind, weil sie als Verstorbene leider postmortal keine Persönlichkeitsrechte mehr besitzen“. Schertz: „Das persönliche Schicksal von Menschen wird genutzt, um Einschaltquote, Auflage und Klickzahlen zu generieren.“
„Wenn die Taten wieder an die Öffentlichkeit gezerrt werden, führt das zu Retraumatisierungen“

Christian Schertz gehört zu den bekanntesten Medienanwälten Deutschlands. Unter anderem vertrat er Jan Böhmermann. (Bild: 2016 Getty Images/Pool)
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Pauschalisieren will der Medienanwalt seine Wahrnehmung nicht. „Nachvollziehbar“ nannte er „etwa Fernsehformate, die der Fahndung dienen, wie 'Aktenzeichen XY ... Ungelöst', also Fälle, wo der Täter noch nicht ermittelt ist, wo die Tat noch nicht sanktioniert wurde“. Dies sei ein legitimer, jedoch völlig anderer Ansatz „als in schätzungsweise 90 Prozent der aktuell laufenden True-Crime-Formate, die Verbrechen spektakulär und effekthascherisch inszenieren mit teilweise unerträglichen Details der Morde, um Auflage und Quote zu machen“.
Aufarbeitungen historischer Straftaten, „die zur DNA der Bundesrepublik gehören“, etwa die RAF-Taten oder das Gladbecker Geiseldrama, seien „im Wege von Chronistenpflichten“ ebenfalls nicht zu beanstanden, sagte Schertz. „Aber bei der großen Zahl der Morde und Tötungsdelikte, die wieder ins Licht der Öffentlichkeit gezogen werden, obwohl sie abgeurteilt und abgeschlossen sind, sehe ich kein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Weil dieses Interesse immer abzuwägen ist mit der Menschenwürde und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen.“
Nicht zu vergessen sei das Leid der Angehörigen: „Wenn die Taten wieder an die Öffentlichkeit gezerrt werden, führt das zu Retraumatisierungen“, so Schertz.
Das Genre True Crime wurde in den 2010er-Jahren vor allem durch seine Verbreitung im Podcasts bekannt, ehe das Fernsehen immer stärker den Trend bediente. Zu den bekanntesten und erfolgreichsten True-Crime-Dokumentationen weltweit zählt die mehrteilige Netflix-Produktion „Making a Murderer“ über den US-Amerikaner Steven Avery, der 18 Jahre unschuldig in Haft saß. (tsch)