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Online radikalisiertTerror-Experte spricht mit Anne Will über „dramatischen Anstieg“ von Anschlägen

Lesezeit 3 Minuten
„Statistisch, empirisch ist es sehr unwahrscheinlich, dass man bei einem terroristischen Anschlag stirbt“, macht der Terror-Experte Peter R. Neumann im Gespräch mit Anne Will deutlich. (Bild: 2021 Getty Images/Carstensen - Pool)

„Statistisch, empirisch ist es sehr unwahrscheinlich, dass man bei einem terroristischen Anschlag stirbt“, macht der Terror-Experte Peter R. Neumann im Gespräch mit Anne Will deutlich. (Bild: 2021 Getty Images/Carstensen - Pool)

„Diese Szene, von der wir geglaubt haben, dass sie eigentlich nicht mehr existiert - die ist wieder zurück“, mahnt Peter R. Neumann im Podcast „Politik mit Anne Will“. Dem Terrorismus-Experten zufolge sei die Zahl dschihadistischer Anschläge in Europa seit 2022 deutlich gestiegen.

Er selbst habe im Alltag keine Angst, einem terroristischen Anschlag zum Opfer zu fallen. Das stellt Peter R. Neumann im Gespräch mit der ehemaligen ARD-Talkerin Anne Will in deren Podcast (“Politik mit Anne Will“) klar. Schließlich sei Angst genau das, „was diese Terroristen letztendlich erreichen wollen“. Der Terrorismus-Experte erklärt darin auch mit Blick auf das Attentat in Solingen: „Sie wollen eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen, obwohl sie natürlich eigentlich schwach sind und nicht in der Lage, eine Gesellschaft tatsächlich physisch zu erobern.“

Terrorismus sei „eine Art von psychologischer Kriegsführung“, erläutert der Politikwissenschaftler. Weitestgehend sei die Furcht vor Anschlägen jedoch unbegründet: „Statistisch, empirisch ist es sehr unwahrscheinlich, dass man bei einem terroristischen Anschlag stirbt. Viel unwahrscheinlicher, als dass man durch einen Blitzeinschlag stirbt.“

Die ehemalige Polit-Talkerin Anne Will spricht in der aktuellen Ausgabe ihres Podcasts mit dem Terrorismus-Forscher Peter R. Neumann. (Bild: IMAGO / Horst Galuschka)

Die ehemalige Polit-Talkerin Anne Will spricht in der aktuellen Ausgabe ihres Podcasts mit dem Terrorismus-Forscher Peter R. Neumann. (Bild: IMAGO / Horst Galuschka)

Klar sei dennoch, „dass in den letzten zehn, elf Monaten die Einschläge häufiger wurden und nähergekommen sind“. Seit Oktober 2023 habe es dem Experten zufolge in Westeuropa 21 versuchte und sieben durchgeführte dschihadistische Anschläge gegeben. „Wenn man das vergleicht mit 2022, ist das eine Erhöhung um das Vierfache - also ein ganz dramatischer Anstieg der dschihadistischen Aktivität.“ Neumann ist überzeugt: „Da ist wieder was los. Diese Szene, von der wir geglaubt haben, dass sie eigentlich nicht mehr existiert (...), die ist wieder zurück.“

Neumann: Radikalisierung findet heute hauptsächlich online statt

Geändert habe sich an der Ideologie des IS in den vergangenen Jahren kaum etwas: „Der IS glaubt, er ist in einem globalen Religionskrieg, er repräsentiert den Islam und er kämpft gegen die Ungläubigen, vor allem Christen und Juden.“ Neu sei, dass es sich bei den Attentätern immer häufiger um Minderjährige handle, und dass die Radikalisierung „hauptsächlich, wenn nicht sogar ausschließlich online“ stattfinde.

„Bei der großen Mehrheit ist es so, dass die sich in Deutschland radikalisieren, durch die Erfahrungen, die sie hier machen“, berichtet Neumann zudem. Aus diesem Grund sei es wichtig, sich präventiv zu fragen: „Was funktioniert da nicht? Wodurch kommt es, dass Leute ansprechbar werden? Was für Frustrationen haben die, was für Enttäuschungen erleben die?“

Der Forscher glaubt: „99,9 Prozent der Terroristen sehen sich selbst nicht als Angreifer. Sie sehen sich als diejenigen, die die eigenen Leute, die eigene Identität, die eigenen Brüder und Schwestern, die überall in der Welt getötet werden, verteidigen.“ Um zu verstehen, wie Menschen zu Attentätern werden, sei es wichtig zu wissen: „Die sehen sich selbst als diejenigen, die Rache üben. Die den Kampf, der von den anderen begonnen wurde, jetzt fortsetzen. So absurd das alles klingen mag - aber das ist das Mindset.“ (tsch)