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Selbst Schöneberger kann ihn nicht bremsenIn ESC-Show feiert sich Raab ungeniert selbst

Lesezeit 6 Minuten
Zurück im Rampenlicht: Stefan Raab, früher selbst ESC-Teilnehmer und Talente-Entdecker, beklatschte zusammen mit seinen Co-Juroren Yvonne Catterfeld und Elton die ersten sieben Musik-Acts, die eine Vorentscheid-Runde weiter ziehen. (Bild: RTL/Willi Weber)

Zurück im Rampenlicht: Stefan Raab, früher selbst ESC-Teilnehmer und Talente-Entdecker, beklatschte zusammen mit seinen Co-Juroren Yvonne Catterfeld und Elton die ersten sieben Musik-Acts, die eine Vorentscheid-Runde weiter ziehen. (Bild: RTL/Willi Weber)

Eltons verlegene Floskel vom „bunten Blumenstrauß“ bringt das Kuddelmuddel der ersten zwölf Musik-Acts, die sich bei „Chefsache ESC 2025“ bewarben, ganz gut auf den Punkt. Weiter ziehen verträumte Künstler und irre Ritter-Rocker. Im Mittelpunkt steht aber nur einer: Stefan Raab.

Gast-Juror der ersten Vorsing-Show war Max Mutzke. Er verneigte sich mit einem Eingangs-Medley vor dem „Chef“. (Bild: RTL/Willi Weber)

Gast-Juror der ersten Vorsing-Show war Max Mutzke. Er verneigte sich mit einem Eingangs-Medley vor dem „Chef“. (Bild: RTL/Willi Weber)

Die Raab-Rückkehr in die deutsche Fernsehlandschaft hat nach dem denkwürdig bizarren Mann-gegen-Frau-Boxkampf im vergangenen September und der schrittweisen Reaktivierung gut abgehangener Spielshow-Ideen im RTL-Programm ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht: Stefan Raab, der sich immer noch gerne als Lena-Meyer-Landrut-Entdecker und als „Wadde hadde dudde da“-Interpret feiern lässt, hat die Kandidatenauswahl für den Musik-Act, der Deutschland beim alljährlichen „Eurovision Song Contest“ vertreten soll, an sich gerissen und sie zur „Chefsache“ erklärt.

Was in der Vorankündigung noch augenzwinkernd ironisch klang, gestaltete sich in der ersten von vier geplanten Live-Shows (drei bei RTL, das Finale in der ARD) als ziemlich dreiste Selbstbeweihräucherung. Es fing mit einem Musik-Medley an, bei dem Max Mutzke - bekanntlich ein von Raab einst erst zum Star gemachter früherer ESC-Teilnehmer - an große Raab-Musikshow-Momente erinnerte.

Erste Auftritt des Abends und gleich ein Ticket fürs Halbfinale: Julika kommt eine Runde weiter. (Bild: RTL/Willi Weber)

Erste Auftritt des Abends und gleich ein Ticket fürs Halbfinale: Julika kommt eine Runde weiter. (Bild: RTL/Willi Weber)

Weiter ging's mit ausufernden Chefjuror-Monologen, die teilweise nicht mal die schlagfertige Moderatorin Barbara Schöneberger einbremsen konnte. Un sogar das Anrufer-Gewinnspiel trug den Namen, den Raab so gern hört: Dort konnte man mit einem Kennwort teilnehmen - „Chef“.

„Ich find's toll, Stefan, dass du dich dem wieder angenommen hast“

Junger Seventies-Fan: Benjamin Braatz aus Hagen überzeugte mit einem Song, den er selbst geschrieben hat. (Bild: RTL/Willi Weber)

Junger Seventies-Fan: Benjamin Braatz aus Hagen überzeugte mit einem Song, den er selbst geschrieben hat. (Bild: RTL/Willi Weber)

Allerdings: Unbestritten hat der Comeback-Kölner ein Händchen dafür, den Massengeschmack zu treffen. Und Raab hat den Ehrgeiz, auch europaweit noch einmal Eindruck zu schinden. „Das Ziel kann immer nur der erste Platz sein“, wiederholte er sein Credo auch in der ESC-Vorentscheid-Show. „Sonst muss man nicht mitmachen.“

Dazu passte, dass Yvonne Catterfeld, die selbst bei „The Voice of Germany“ Talente gesichtet hat, dem Meister fast wie auf Knien begegnete. „Ich find's toll, Stefan, dass du dich dem wieder angenommen hast“, sagte sie zum Vorentscheid-Projekt „Chefsache ESC“. Raab grinste.

Moderatorin Barbara Schöneberger fühlte sich an der Seite des „Singenden Barista“ sichtlich wohl. Doch für das Halbfinale reichte der Eindruck, den Chase aus Hamburg hinterließ, dann doch nicht. (Bild: RTL/Willi Weber)

Moderatorin Barbara Schöneberger fühlte sich an der Seite des „Singenden Barista“ sichtlich wohl. Doch für das Halbfinale reichte der Eindruck, den Chase aus Hamburg hinterließ, dann doch nicht. (Bild: RTL/Willi Weber)

Ob die große Wette aufgeht, ist natürlich völlig offen. Und nach dem ersten großen Vorsingen dürfte zumindest ein wenig Ratlosigkeit zurückbleiben. Aus angeblich über 3.000 Bewerbungen wurden unter Stefan Raabs Oberaufsicht 24 mehr oder weniger vielversprechende Einzelkünstler oder Bands ausgewählt, von denen sich die ersten zwölf am Valentinstag vorstellten. Am Ende des Vorsingens sagte der langjährige Raab-Weggefährte Elton: „Es war ein bunter Blumenstrauß.“ Höflich formuliert, immerhin.

Folk-Metal aus Nürberg: Feuerschwanz lässt den Saal toben

Goldjunge: Jonathan Heinrich verblüfft mit einer kunstvollen Darbietung aus Gesang und Piano-Können. (Bild: RTL/Willi Weber)

Goldjunge: Jonathan Heinrich verblüfft mit einer kunstvollen Darbietung aus Gesang und Piano-Können. (Bild: RTL/Willi Weber)

Max Mutzke, neben Yvonne Catterfeld und Elton Co-Juror der ersten Auswahl, hoffte auf einen „Aura-Effekt“. Er meinte damit eine Art Aha-Moment, wenn auf der Bühne überraschend große Kunst seine Wirkung entfalte würde. Es dauerte einige Zeit, bis sich dies dann am Freitagabend erstmalig einstellte.

Wilde Ritter: Die beiden „Feuerschwanz“-Sänger sorgten für Party-Stimmung im Studio. (Bild: RTL/Willi Weber)

Wilde Ritter: Die beiden „Feuerschwanz“-Sänger sorgten für Party-Stimmung im Studio. (Bild: RTL/Willi Weber)

Was die Stimmung in der Halle anging, war erst mit dem siebten Auftritt ein Moment erreicht, an dem so richtig die Funken sprühten. Dann nämlich donnerte die liebenswert skurrile Mittelalter-Heavy-Metal-Truppe Feuerschwanz aus Nürnberg über die Bühne. Flammenfontänen spiegelten sich in eisernen Ritterrüstungen. Gitarre und Bass jaulten, das Schlagzeug stampfte, die charmante Geigerin trieb die Melodie voran - und gleich zwei Sänger sorgten mit einer Folk-Rock-Version des Disco-Hits „Dragostea Din Tei“ der moldawischen Boyband O-Zone für Aufruhr im Saal.

„Natürlich ist das Festival“, freute sich Stefan Raab. Er bescheinigte der Band, die zuvor sogar schon auf der großen Bühne in Wacken für Mega-Stimmung vor Metal-Heads gesorgt hatte, ganz große Klasse - und hohen Unterhaltungswert. Und auch die Kollegen ließen sich mitreißen. „Es hat wirklich gerumst“, staunte Elton. „Ich bin begeistert.“ Kein Wunder, dass Feuerschwanz letztlich zu den sieben Beiträgen Acts, die von der Jury zum Weiterziehen ins Halbfinale durchgewunken wurden.

Nicht mal aufstehen zum Singen wollte Chase aus Köln. Sie kommt trotzdem weiter. (Bild: RTL/Willi Weber)

Nicht mal aufstehen zum Singen wollte Chase aus Köln. Sie kommt trotzdem weiter. (Bild: RTL/Willi Weber)

Ähnlich große Begeisterung - im Publikum wie auch bei den Juroren - löste direkte danach die 29-jährige Soul-Sängerin Cage aus Köln aus, die sich mit einem Cover des Songs „Wrong Places“ von H.E.R. vorstellte - und das lässig zurückgelehnt in einem Sitzmöbel auf der Bühne. Als eines der „größten sängerischen Talente“ im Land lobte Raab die Künstlerin, deren Stimme immer wieder mit Beyonce verglichen wird.

Gleich mehrere Künstlerinnen wollen nicht mal aufstehen

Im Trockeis-Nebel: Die Sängerin Tynna aus Wien darf mit ihrem Bruder Abor noch einmal vorsingen. (Bild: RTL/Willi Weber)

Im Trockeis-Nebel: Die Sängerin Tynna aus Wien darf mit ihrem Bruder Abor noch einmal vorsingen. (Bild: RTL/Willi Weber)

„Was du gemacht hast, grenzt an Unverschämtheit“, sagt er. Nicht einmal aufgerichtet hatte sich Cage nämlich zum Singen - sie lümmelte auf dem Sofa-Sessel. Umso schneller sprangen nicht nur die Cage-Fans im Studio auf - und staunten. „Es begann in einer Ikea-Landschaft und endete in Standing Ovations“, sagte Barbara Schöneberger zu dem starken Auftritt. Das Ticket fürs Halbfinale war Cage natürlich ebenfalls sicher.

Mit einer vergleichbar aufreizend unkonventionellen Bühnen-Haltung verwirrte zum Schluss dann noch ein Geschwister-Duo aus Wien. Die junge Sängerin Tynna, die zusammen mit ihrem Bruder Arbor am E-Cello den James-Bond-Song „Skyfall“ von Adele sehr eigenwillig interpretierte, entschloss sich ebenfalls, im Liegen zu singen. Das tat sie aber so geheimnisvoll, gefühlvoll und mitreißend, dass ihr geballtes Jury-Lob und extra viel Applaus sicher war. „Es sah wunderschön aus“, staunte Yvonne Catterfeld über das Musik-Spektakel mit Trockeneis-Nebel. Auch Arbor & Tynna stehen nun im Halbfinale.

Profis im ESC-Sieger-Look: Cosby aus München punktete bei Publikum und Jury. (Bild: RTL/Willi Weber)

Profis im ESC-Sieger-Look: Cosby aus München punktete bei Publikum und Jury. (Bild: RTL/Willi Weber)

Dort treffen sie dann wieder mit der23-jährigen Singer-Songwriterin Julika zusammen, die mit einer emotional intensiven, barfuß dargebotenen Cover-Version des Leona-Lewis-Songs „Run“ den Abend eröffnet hatte. „Krass gut“, meinte dazu der „Chef“. Ebenfalls weiter auf einen ganz großen Durchbruch hoffen darf der 24-jährige Beatles-Fan Benjamin Braatz, der an der Gitarre einen vergleichsweise schlichten, aber eingängigen Song vortrug, den er immerhin selbst geschrieben hatte.

Zu den wenigen Künstlern, die mit selbst verfasstem Material antraten, zählte auch die Münchner Band Cosby, die ohnehin mit Bühnen-Routine überzeugte. Immerhin spielen die vier Musiker schon seit rund zehn Jahren zusammen und tourten schon in Übersee. Für ihr Vorsingen vor dem „Chef“ hatten sie sich ESC-gerecht in Schale geworfen, was für den Schlagzeuger hieß, dass er nahezu komplett oberkörperfrei antrat. Der Eindruck, den die Band hinterließ, war jedenfalls eindringlich. „Dass ihr Profis seid, daran gibt es keinen Zweifel“, sagte Raab. Auch Cosby stehen im Halbfinale.

Von Jonathan Heinrich zu Lang Lang zu Mozart und zu Beethoven

Letzter Teilnehmer für die nächste Runde wurde dann noch Jonathan Heinrich, der sich selbst am Flügel begleitete und seine Stimme gegen wirbelnde Klangkaskaden behaupten musste. Das gelang ihm weitgehend souverän, sodass die Jury auch von ihm noch einmal mehr hören möchte. Weniger sicher war man sich, ob man wirklich alle weitschweifigen Stefan-Raab-Ausführungen noch einmal miterleben möchte.

Als es um ein Urteil zu dem 24-jährigen Pianisten ging, verzettelte sich der Juror in Anekdoten aus mehr oder weniger guten alten Raab-Zeiten. Plötzlich führte der Gedankensprung zum chinesischen Starpianisten Lang Lang, dann zu einem auch beim Nochmal-Erzählen nicht wirklich guten Witz über Mozart. Und schließlich philosophierte Stefan Raab ausführlich über Beethoven. Nicht nur Jonathan Heinrich schaute da ein wenig verwirrt. Was genau wollte der ältere Herr mit seinem selbstbezogenen Mitteilungsdrang eigentlich genau sagen?

Geschenkt! Sieben Acts fürs Halbfinale stehen fest. Und mit fünf weiteren Künstlern, deren Schaffen zwischen liebenswert unprofessionell und einfallsarm dilettantisch schwankte, wird man sich nicht mehr befassen müssen. Stefan Raab hat einmal mehr eine RTL-Show im Rampenlicht verbracht - für ihn und für seine Produktionsfirma, die hinter der Sendung steckt, war das sicher ein Erfolg. Dass diese ESC-Auswahl jetzt schon ein Gewinn für Deutschland war, darf aber bezweifelt werden. (tsch)