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Sigmar Gabriel bei „Miosga“Trump-Präsidentschaft wäre „Einladung an Wladimir Putin, uns zu testen“

Lesezeit 4 Minuten
Sigmar Gabriel glaubt, die Ampelkoalition könne die aktuelle Legislaturperiode überstehen. (Bild: NDR/Claudius Pflug)

Sigmar Gabriel glaubt, die Ampelkoalition könne die aktuelle Legislaturperiode überstehen. (Bild: NDR/Claudius Pflug)

Zwei Tage vor den Präsidentschaftswahlen in den USA stellt am Sonntagabend auch Caren Miosga in der ARD ihren Gästen die entscheidende Frage: Wer gewinnt, und was bedeutet das für Deutschland und Europa?

Am kommenden Dienstag findet die US-Präsidentschaftswahl statt. Die Weltlage könnte kaum kritischer sein: Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, Klimakrise, wirtschaftliche Transformation. In Deutschland kommt noch ein weiteres Problem dazu: Die Bundesregierung zerlegt sich gerade. Am vergangenen Freitag legte Finanzminister Christian Lindner ein Thesenpapier vor, das den Koalitionsvertrag in Frage stellt. Klärende Gespräche im Kanzleramt sind die Folge: Sie begannen am gestrigen Sonntagabend. Ob die Ampelkoalition noch bis Weihnachten hält, ist fraglich.

Ob ein Wahlsieg Donald Trumps Europa zusammenschweißen könnte, wollte Caren Miosga wissen. Gabriel gibt sich da pessimistisch. (Bild: NDR/Claudius Pflug)

Ob ein Wahlsieg Donald Trumps Europa zusammenschweißen könnte, wollte Caren Miosga wissen. Gabriel gibt sich da pessimistisch. (Bild: NDR/Claudius Pflug)

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gibt sich in dieser Frage optimistisch. Das Land habe eigentlich keine Regierung mehr, man befände sich schon im Vorwahlkampf, analysiert er gegen Ende der Sendung von Caren Miosga. Trotzdem glaubt er, die Koalition werde bis zum Ende halten. „Eine Auflösung wäre so etwas wie ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod“, so Gabriel. „Lindner hat ein Papier geschrieben, da ist viel Ideologie drin, da ist aber auch viel richtiges drin. Und ich halte es nicht für völlig ausgeschlossen, dass die sich hinsetzen und sagen: Die wesentliche Voraussetzung dafür, dass wir eine Rolle spielen in Europa und der Welt, ist nicht so sehr die Verteidigung, aber die wirtschaftliche Prosperität, die Leistungsfähigkeit dieses Landes, das ist das, was Europa braucht. Und wenn man das ernst nimmt, wird man vieles von dem machen müssen, was Lindner aufgeschrieben hat.“

Gabriel: „Unsere Probleme beginnen am Tag nach der US-Wahl“

Das Ergebnis der US-Wahlen will keiner der Gäste bei „Caren Miosga“ vorhersagen. Es werde ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben, prognostiziert Wahlkampfstratege Julius van de Laar, der bei der US-Wahl 2012 zum Team von Barack Obama gehörte. Das Ergebnis werde vermutlich nicht in der Nacht zu Mittwoch bekannt gegeben werden, sondern allerfrühestens im Laufe des folgenden Tages, Doch selbst das sei nicht sicher: Möglicherweise werde das Ergebnis auch erst in vier Wochen feststehen.

Wahlkampfstratege Julius van de Laar glaubt, dass Trumps Strategie, auf Gefühle statt auf Fakten zu setzen, aufgeht. (Bild: NDR/Claudius Pflug)

Wahlkampfstratege Julius van de Laar glaubt, dass Trumps Strategie, auf Gefühle statt auf Fakten zu setzen, aufgeht. (Bild: NDR/Claudius Pflug)

Für van de Laar ist Donald Trump ein „Meister des Narrativs“, der auf die Gefühle der Bevölkerung eingehe. Fakten seien bei so einem Wahlkampf zweitrangig. „Zu wenig Gefühl“ wirft Politologin Cathryn Clüver Ashbrook dann auch Trumps Herausforderin Kamala Harris vor. „Mahnend und moralisierend“ trete sie auf. Trump hingegen, fügt van de Laar dazu, vermittle den Wählern, er sei „einer von euch“.

„Unsere Probleme beginnen am Tag nach der Wahl“, sagt Sigmar Gabriel voraus. „Und egal, wer gewinnt: Die werden sich noch stärker ineinander verbeißen.“ Würde Donald Trump gewinnen, werde er einen innenpolitischen Rachefeldzug gegen die Demokraten führen. Einen Wahlsieg der Demokraten werde Trump nicht akzeptieren. „Wenn sich die einzige Supermacht der Welt nur noch mit sich selbst beschäftigt, dann werden wir darunter als Europäer zu leiden haben“, sagt Gabriel. Denn: „Wir sind als Europa auf dieses Amerika angewiesen. Wir sind Provinz ohne die.“

Könnte ein Wahlsieg Trumps Europa zusammenschweißen?

Für Politologin Cathryn Clüver Ashbrook tritt Kamala Harris nicht emotional genug auf. (Bild: NDR/Claudius Pflug)

Für Politologin Cathryn Clüver Ashbrook tritt Kamala Harris nicht emotional genug auf. (Bild: NDR/Claudius Pflug)

Das gelte vor allem in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht. Die USA würden sich nach den Wahlen dem indo-pazifischen Raum zuwenden, sagt Gabriel. Dort lebten zwei Drittel der Menschen, dort würden zwei Drittel des Bruttosozialprodukts erwirtschaftet, und dort gebe es fünf Atommächte. Europa sei in dieser Region kein Player. „Das können nur die Amerikaner. Und dass sie sagen, sie können nicht die ganze globale Weltordnung aufrecht erhalten, ist erst einmal etwas Rationales.“

Europa habe zu lange versäumt, seine eigenen Möglichkeiten auszubauen. So läge bereits seit zwanzig Jahren ein Handelsabkommen mit lateinamerikanischen Staaten auf Eis, für das sich jetzt China interessiere. „Wir regen uns auf, dass China eine geopolitische Strategie hat. Das Problem ist aber, dass wir keine haben.“

Auch militärisch könnte Europa bei einem Wahlsieg Trumps laut Gabriel ein Problem bekommen. Die USA würden seiner Ansicht nach nicht aus der Nato austreten, Trump aber das westliche Militärbündnis in Zweifel ziehen. Schon das könne die Nato schwächen. „Das ist wie eine Einladung an Wladimir Putin, uns zu testen“, so Gabriel - „und ob wir darauf vorbereitet sind, wage ich zu bezweifeln“. Der ehemalige SPD-Vorsitzende sieht hier „eine Herausforderung, und solange nicht einmal Deutschland und Frankreich in Europa wieder zueinander kommen und einen Motor bilden, wie wollen wir dann auf ein Amerika reagieren, das sich abwendet von uns?“

Könnte ein Wahlsieg Trumps Europa zusammenschweißen, will Moderatorin Miosga wissen? „Das glaube ich nicht“, sagt Gabriel. Europa habe kein eigenes Zentrum. Doch auch mit einem Wahlsieg der Demokratin Kamala Harris könnte sich für Europa einiges ändern. Denn auch sie gilt unter einigen Experten nicht als Transatlantikerin. (tsch)