In der ARD-Doku „Volk in Angst: Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird“ geht „Monitor“-Redaktionsleiter Georg Restle der Frage nach, wie bedroht die Sicherheit der Deutschen wirklich ist. Nimmt die Gefahr immer mehr zu? Und sind Menschen aus anderen Ländern grundsätzlich krimineller als Deutsche?
„Sind Ausländer krimineller als Deutsche?“ARD-Doku zeigt, wie Politik und Medien unser Bild verzerren

Georg Restle an einem der statistisch gefährlichsten Bahnhöfe Deutschlands, dem Hauptbahnhof Dortmund. (Bild: WDR/Claus Langer)
Copyright: WDR/Claus Langer
Die Angst in Deutschland nimmt immer mehr zu. Kein Wunder, ist in den Medien doch ständig von Morden, Messerstechereien und Anschlägen die Rede. Ob die Kriminalität aber wirklich an jeder Ecke lauert, wie in den Nachrichten, Podcasts und vor allem auch von der Politik immer wieder suggeriert wird, soll in der ARD-Doku „Volk in Angst: Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird“ aufgedeckt werden.
„Wird Deutschland immer gefährlicher? Müssen wir Angst haben um unsere Sicherheit?“, fragt sich „Monitor“-Redaktionsleiter Georg Restle und begibt sich für seine Nachforschungen zunächst an den Dortmunder Hauptbahnhof, laut Statistik einer der gefährlichsten Bahnhöfe Deutschlands. 2024 wurden hier 764 Gewaltdelikte gemeldet - also durchschnittlich mehr als zwei pro Tag. Und dann passiert es: Der Journalist erlebt im Film mit, wie die Polizei zu einem Einsatz am Bahnhofskiosk anrückt. Ein Drogenabhängiger habe Tabakblättchen klauen wollen, sein Freund dann direkt ein Messer gezückt - zu mehr sei es glücklicherweise nicht gekommen.
Gesamtkriminalität in den letzten 30 Jahren in Deutschland gesunken
Fälle wie diese würden immer mehr werden, so heißt es. Oft werde von einem „Staatsversagen“ und „Rekordhoch“ in Bezug auf die Kriminalität gesprochen. Dabei werden stets bestimmte Zahlen als Beweis herangezogen, nämlich die der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Das Problem: Wie es im Film heißt, hätten diese Daten nur wenig Aussagekraft, beispielsweise weil Fälle auch in der Statistik bleiben würden, wenn Ermittlungen eingestellt werden - zum Beispiel, weil es gar keine Straftat gegeben hat.
Der Journalist schaut sich die PKS trotzdem genauer an. Bei der Gesamtkriminalität ist die Zahl der ermittelten Fälle in den vergangenen vier Jahren um knapp 800.000 gestiegen. „Das sieht erst mal beunruhigend aus, aber ist alles wirklich so schlimm wie noch nie?“, möchte Georg Restle wissen. Mit Blick auf die letzten 30 Jahre stellt sich heraus: mitnichten.
Ganz im Gegenteil ist die Gesamtkriminalität in dem Zeitraum langfristig gesunken, Straftaten gegen das Leben wie Mord und Totschlag sind verglichen mit dem Höchststand um 1.726 Fälle zurückgegangen. „Da liegt Deutschland im internationalen Vergleich immer noch ganz weit unten und gehört zu den sichersten Ländern der Welt sogar“, erzählt der Kriminologe Dietrich Oberwittler dazu.
Doch was ist mit den ganzen Gewalttaten und gegen wen richten die sich eigentlich? Kriminologin Gina Wollinger gibt eine überraschende Antwort: „Interessanterweise sind die Personengruppen, die oftmals Angst machen, eigentlich die, die am höchsten gefährdet sind. Also gerade die Gewalt, die Obdachlose erfahren oder auch drogenabhängige Menschen, ist viel, viel höher im öffentlichen Raum als gegen Menschen, die zur Mehrheitsbevölkerung gehören.“
Ausländer werden häufiger angezeigt als Deutsche

Einsatzbesprechung bei der Polizei, direkt an einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Sigmaringen. (Bild: WDR)
Copyright: WDR
Von den Opfern zu den Tätern: Auch hier macht die Kriminalstatistik genaue Angaben, zum Beispiel darüber, ob es sich bei den Angreifern um Deutsche oder Nicht-Deutsche handelt. Ein Detail, das in den Medien oft im Vordergrund steht. „Schaut man auf die Zahlen, scheint das Bild erst mal klar. Obwohl der Anteil von Nicht-Deutschen an der Gesamtbevölkerung nur rund 17 Prozent beträgt, sind laut PKS 35,4 Prozent aller Tatverdächtigen Nicht-Deutsche. Bei Gewalttaten liegt der Anteil nicht-deutscher Tatverdächtiger sogar noch höher: bei 43,1 Prozent“, liest Georg Restle vor und fügt an: „Das lässt eigentlich nur einen Rückschluss zu: Ausländer sind offensichtlich krimineller und gewalttätiger als Deutsche. Oder?“
Der Journalist reist nach Sigmaringen, eine schwäbische Kleinstadt mit einer Landeserstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in unmittelbarer Nähe. 431 Personen aus 29 verschiedenen Nationen leben in der Unterkunft. Eine Polizeiwache befindet sich direkt auf dem Gelände. Die häufigsten erfassten Straftaten hier? Verstöße gegen das Ausländerrecht, wie illegale Einreise. Straftaten, welche die Gesamtstatistik verzerren, da sie kein Deutscher begehen kann. Und Gewalttaten? „Wir hatten definitiv noch kein schwerwiegendes Delikt hier“, berichtet Matthias Zok, Leiter der Einrichtung, der weiter erklärt, dass die meisten Delikte der Geflüchteten untereinander begangen werden würden.
Was die Zahlen in Sigmaringen außerdem nach oben treibt: die extrem hohe Kontrolldichte. So erklärt der Leiter des Polizeireviers, Daniel Reiser: „Durch unsere hohe Polizeipräsenz schaffen wir es halt, Straftaten hier aus dem Dunkelfeld ins Hellfeld zu bringen, was dann möglicherweise bei der Kriminalstatistik wieder etwas höhere Zahlen aufwirft als in anderen ländlichen Regionen, die vergleichbar sind.“ Sigmaringen gelte dadurch als gefährlichste Stadt in der Umgebung - und schürt so die Furcht. „Die objektive Sicherheitslage widerspricht dem, was die Ängste der Bevölkerung teilweise sind“, fasst Daniel Reiser zusammen.
„Natürlich gibt es kriminelle Ausländer, aber sind Ausländer per se krimineller als Deutsche? Die Forschung hat darauf eine klare Antwort: Nein!“, erklärt Georg Restle, dass Ausländer in den Statistiken laut zahlreicher Studien vor allem deswegen häufiger auftauchen, weil sie im Schnitt „jünger und männlicher als Deutsche sind und eher aus sozial benachteiligten Verhältnissen kommen“. Doch auch das Anzeigeverhalten spiele eine große Rolle: Nicht-deutsche Täter würden eher angezeigt werden als deutsche. Ebenfalls sei wissenschaftlich nachgewiesen: Ausländer werden nicht nur häufiger angezeigt, sondern auch von der Polizei häufiger kontrolliert.
„Wenn man als Politiker dann da wegtaucht und das kleinredet, dann verspielt man Vertrauen“
Das seien alles Verzerrungen, die in der Politik und den Medien für gewöhnlich unerwähnt bleiben würden, so die ARD-Doku. Eine Stichprobe der Hochschule Macromedia in Hamburg belegt zudem, dass Straftaten, die von Ausländern begangen worden sind, eine deutlich höhere Aufmerksamkeit bekommen, als Straftaten von Deutschen.
So seien im Jahr 2023 laut Polizeistatistik zwei Drittel (66,7 Prozent) aller Straftaten von Deutschen begangen worden, ein Drittel (33,3 Prozent) wiederum von Nicht-Deutschen. Die Darstellung im Fernsehen drehe dieses Bild jedoch komplett um, wie Georg Restle ausführt: „Hier wurden nicht-deutsche Tatverdächtige in 84,2 Prozent der Fernsehbeiträge explizit genannt, deutsche Tatverdächtige hingegen nur in 15,8 Prozent, wenn die Herkunft genannt wurde.“
Die ARD-Doku hat sich bekannte Fälle aus der jüngsten Vergangenheit am Beispiel der „Tagesschau“ im Ersten angeschaut und nachgezählt: Zu dem Anschlag in München mit einem ausländischen Täter habe es in der Hauptausgabe fünf Berichte und einen Brennpunkt gegeben; zu dem Anschlag in Magdeburg mit ausländischem Täter acht Berichte und einen Brennpunkt; zu dem Anschlag in Mannheim mit einem deutschen Täter hingegen lediglich zwei Berichte, kein Brennpunkt - trotz Hinweisen auf einen rechtsextremen Hintergrund.
Professor Thomas Hestermann von der Hochschule Macromedia in Hamburg resümiert letztendlich: „Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt, aber für viele fühlt es sich nicht so an und es soll sich auch nicht so anfühlen. Denn Angst ist ein Triebmittel für Besorgnis, Angst generiert Klicks, Quoten und Wählerstimmen.“ Politiker Herbert Reul, Innenminister von NRW, gibt zu: „Die Leute basteln sich die Wirklichkeit zurecht und wenn man als Politiker dann da wegtaucht und das kleinredet, dann verspielt man Vertrauen, glaube ich.“
Die komplette ARD-Doku „Volk in Angst: Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird“ ist am Donnerstag, 24. April 2025, um 21.45 Uhr in der ARD oder ab sofort in der ARD-Mediathek zu sehen. (tsch)