Im „Tatort: Lass sie gehen“ ermittelten Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) im Fall einer toten Stuttgarter Joggerin, die gerade dem Landleben entflohen zu sein schien. Wie belastend empfinden Jugendliche das Leben im deutschen Outback? Und gibt es das dunkle Dorf Waldingen wirklich?
Stuttgarter „Tatort“ über Land-FrustGeht es Jugendlichen in der Stadt besser?
Oje, den „Tatort: Lass sie gehen“ aus Stuttgart, der jedoch vorwiegend auf der Schwäbischen Alb spielt, könnte man durchaus als Land-Bashing begreifen: Eine junge Frau entflieht der Enge ihres Heimatdorfes und zieht nach Stuttgart. Kurze Zeit später wird sie ermordet. Die Ermittler Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) forschen im persönlichen Umfeld der toten Hanna nach und finden auf dem Land das ein oder andere Tatmotiv.
Haben die Dorfbewohner der jungen abenteuerlustigen Frau übel genommen, dass sie sich nicht anpassen, sondern fortgehen wollte? Wie beurteilen Jugendliche die Qualität des Landlebens heute? Wo wurde gedreht und gibt es das Dorf Waldingen tatsächlich wirklich?
Worum ging es?
Hanna (in Rückblenden: Mia Rainprechter) ist tot. Die junge Joggerin wird ermordet in einem Stuttgarter Gebüsch gefunden. Bekleidet ist sie mit einem T-Shirt von einem Lauf-Event in Waldingen, dem Heimatdorf des Opfers auf der Schwäbischen Alb. Lannert und Bootz fahren dorthin, um den Hinterbliebenen die traurige Nachricht zu überbringen. Die Eltern (stark: Moritz Führmann und Julika Jenkins) betreiben das Wirtshaus im Dorf.
Außerdem hatte Hanna eine jüngere Schwester. Emma Riedle (Irene Böhm) widmet sich ebenfalls dem Laufsport. Fast scheint es, als wollten die Schwestern so der Enge ihres Lebens entfliehen. Wütend auf Hanna scheint auch der Gewichte pumpende Ex-Verlobte, Martin Gmähle (Sebastian Fritz), zu sein. Und dann ist da noch der heimliche Verehrer der Toten, Marek Gorsky (Timocyn Ziegler). Von einem Dorf-Mob wird er bald zum Täter erklärt.
Worum ging es wirklich?
Die Dörfler im fiktiven Waldingen kommen nicht wirklich gut weg. Dennoch sind die Landcharaktere des Films - inklusive des trauernden Wirtshausbetreiber-Vaters, der aber nachts zu Punkmusik tanzt - schauspielerisch stark und auch vom Drehbuch differenziert gezeichnet. Autor Norbert Baumgarten schrieb zuletzt für Dominik Graf den wundervollen Liebesfilm „Gesicht der Erinnerung“ mit Verena Altenberger.
Laut SWR hat Baumgarten für seinen neuen „Tatort“ die Frage bewegt, wie ein Dorf von einem Ereignis zum Einsturz gebracht wird, das weit weg, in einer ganz anderen Welt und ganz unabhängig vom Dorf stattgefunden hat. Umso bitterer - Achtung Spoiler - wirkt deshalb der erzählerische Twist am Ende des Films: Der Mord hatte nämlich rein gar nicht mit den Verstrickungen im Dorf zu tun. Der „Tatort“ war also auch ein Drama über Herleitungsfantasien eines Mordes, die sich verselbständigen.
Wo wurde gedreht?
Das fiktive Waldingen entstand tatsächlich auf der Schwäbischen Alb. Gedreht wurde Münsingen, vorzugsweise im Ortsteil Bichisheim. Das futuristische Gebäude am Ende des „Tatorts“, in dem der Mörder festgenommen wird, ist hingegen die Stadtbibliothek in Stuttgart.
Welcher Land-Bashing-Film der „Tatort“-Geschichte wurde berühmt?
Land-Bashing im „Tatort“ hat eine gefährliche Tradition. Der „Tatort: Tod im Häcksler“ mit der blutjungen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) verursachte 1991 einen Skandal, weil im Film von Regisseur Nico Hofmann eine stumpfe Pfälzer Landbevölkerung mit ordentlich Gewaltpotenzial porträtiert wurde. Der Film führte zu massiven Protesten von Zuschauern und der Politik.
Für lange Zeit wanderte er danach in den Giftschrank der ARD und durfte nicht mehr gezeigt werden. Auf „Einladung“ des damaligen rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministers Rainer Brüderle musste Ulrike Folkerts als Strafe mit dem Minister eine Pfalzwanderung unternehmen - um sich von der Schönheit von Land und Leuten zu überzeugen.
Fühlen sich Jugendliche auf dem Land schlechter als in der Stadt?
Jugendliche bewerten die Vor- und Nachteile ihres Lebens auf dem Land und in der Stadt unterschiedlich. In einer Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aus dem Jahr 2020 zur „Zufriedenheit der ländlichen Jugend“ wird deutlich, dass Jugendliche auf dem Land häufig eine höhere Lebenszufriedenheit in Bezug auf das familiäre Umfeld und die Nähe zur Natur angeben.
Gleichzeitig beklagen sie sich häufiger über den Mangel an Freizeitangeboten und die Perspektivlosigkeit in ihrer Region. Im Vergleich dazu geben Städter an, dass sie mehr Möglichkeiten haben, sich selbst zu verwirklichen, aber auch mehr Stress und ein stärkeres Gefühl der Überforderung erleben.
Wie geht es beim Stuttgarter „Tatort“ weiter?
Wohl im Frühjahr 2025 kommt der nächste Fall aus Stuttgart ins Programm des Ersten. Der Film trägt den Titel „Tatort: Verblendung“. Er entstand unter der kreativen Schirmherrschaft von Katharina Adler und Rudi Gaul, die für die Stuttgarter bereits die Folgen „Videobeweis“ sowie „Vergebung“ schrieben und inszenieren. Am vergangenen Sonntag war das Duo auch für den kühnen KI-Fall Axel Milbergs in Kiel zuständig, den „Tatort: Borowski und das ewige Meer“.
In Adler und Gauls nächstem Stuttgarter Plot geht es um eine Geiselnahme im Kino, bei der ein Security-Mitarbeiter getötet wird. Kommissar Bootz befindet sich im Kino und sein Kollege Lannert in der Einsatzzentrale vor dem Gebäude. Ihre Situation wird im Laufe einer Nacht immer bedrohlicher. (tsch)