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„TatortVier Leben“

Lesezeit 5 Minuten
Bonard (Corinna Harfouch, Mitte) und Karow (Mark Waschke) treffen sich mit Aktivistin Soraya Barakzay (Pegah Ferydoni). (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Bonard (Corinna Harfouch, Mitte) und Karow (Mark Waschke) treffen sich mit Aktivistin Soraya Barakzay (Pegah Ferydoni). (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Afghanistan, das die Taliban 2021 im Handstreich zurückeroberten, ist ein vergessener Krisenherd dieser Welt. Der Berliner „Tatort: Vier Leben“ legt mit den Ermittlern Bonard (Corinna Harfouch) und Karow (Mark Waschke) den Finger in die Wunde. Hat sich Deutschland damals in Kabul schuldig gemacht?

„Tatort: Vier Leben“ ist der dritte gemeinsame Fall von Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke). (Bild: rbb/Gordon Muehle)

„Tatort: Vier Leben“ ist der dritte gemeinsame Fall von Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke). (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Von 2001 bis 2021 wurde Afghanistan durch eine internationale Koalition unter der Führung der NATO unterstützt - um Sicherheit, Stabilität und den Wiederaufbau des Landes zu fördern. Als die Schutztruppen ihre Zelte abbrachen, eroberten die islamistischen Taliban-Kämpfer das Land allerdings im Rekordtempo zurück.

Bei der Einschätzung der Lage bekleckerte sich kaum ein westliches Land mit Ruhm. Alles passierte viel schneller als erwartet. Afghanische Ortskräfte, die Deutschland während jener Jahre des versuchten Demokratie-Aufbaus im Land unterstützten, schwebten und schweben in Lebensgefahr.

Mitten in Berlin hat es den ehemaligen Politiker Jürgen Weghorst erwischt. Robert Karow (Mark Waschke) untersucht seine Leiche.
 (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Mitten in Berlin hat es den ehemaligen Politiker Jürgen Weghorst erwischt. Robert Karow (Mark Waschke) untersucht seine Leiche. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

„Tatort: Vier Leben“ verbindet jenen dunklen moralischen Fleck Deutschlands mit der Jagd auf einen Scharfschützen-Mörder im politischen Zentrum Berlins. Die Ermittler Bonard (Corinna Harfouch) und Karow (Mark Waschke) hasten durch 90 spannende, aber auch sehr voll gepackte Thriller-Minuten.

Worum ging es?

Hat der Täter vom Dach des Berliner Doms geschossen? Susanne Bonard (Corinna Harfouch) sucht nach möglichen Spuren des Scharfschützen. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Hat der Täter vom Dach des Berliner Doms geschossen? Susanne Bonard (Corinna Harfouch) sucht nach möglichen Spuren des Scharfschützen. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Der ehemalige Polit-Nachwuchsstar und Lobbyist Jürgen Weghorst (Philipp Lind) wurde mitten in Berlin von einem Sniper erschossen. Die Spur führte Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) bald auch inhaltlich ins politische Berlin: zu Lobbyisten, Menschenrechtlern und der geplanten Evakuierung Kabuls durch Bundeswehrmaschinen zwischen dem 16. und 26. August 2021.

Aktivistin Soraya Barakzay (Pegah Ferydoni) hatte Weghorst vor dessen Tod schwere moralische Versäumnisse vorgeworfen. Weghorst war gerade in Kabul, als die Stadt zusammenbrach. Viele Ortskräfte der deutschen Behörden blieben zurück und fielen in die Hände der neuen Machthaber. Wollte sich Frau Barakzay an Weghorst für seine Taten rächen? Bald fand der Scharfschützen-Mörder weitere Opfer inmitten Berlins. Und das ausgerechnet an einem Tag, an dem König Charles die deutsche Hauptstadt besuchen will ...

Worum ging es wirklich?

Zusammen mit Kriminaltechnikerin Nancy Bauer (Johanna Polley, links) untersuchen Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) ihren Tatort im Zentrum Berlins. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Zusammen mit Kriminaltechnikerin Nancy Bauer (Johanna Polley, links) untersuchen Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) ihren Tatort im Zentrum Berlins. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Robert Karow (Mark Waschke) ärgert sich darüber, dass Ulrike Menzel (Tara Linke, links), die Chefin des Lebensmittelverbandes, durch ihre Anwältin Manuela Reichert (Julia Kratz) ihre Ermittlungen behindern will.
 (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Robert Karow (Mark Waschke) ärgert sich darüber, dass Ulrike Menzel (Tara Linke, links), die Chefin des Lebensmittelverbandes, durch ihre Anwältin Manuela Reichert (Julia Kratz) ihre Ermittlungen behindern will. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Um die Klärung der Frage: Wie sehr hat sich Deutschland 2021 in Kabul schuldig gemacht? Drehbuchautor Thomas André Szabó und Regisseur Mark Monheim denken darüber nach, ob Institutionen wie der Bundesnachrichtendienst (BND), die Bundesregierung oder auch die Bundeswehr versagt haben. Hätte man damals schneller, besser handeln können? Die Bundeswehr evakuierte insgesamt 5.347 Menschen aus Kabul. Darunter waren deutsche Staatsbürger, afghanische Ortskräfte und Angehörige anderer Nationen.

Im August 2021 schätzte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass möglicherweise zwischen 10.000 und 40.000 Personen - Ortskräfte und ihre Familienangehörigen - evakuiert werden müssen. Der Bundestag informierte gut zwei Jahre später, dass bis Oktober 2023 insgesamt 4.122 afghanische Ortskräfte nach Deutschland eingereist wären. Zusammen mit ihren Familienangehörigen belief sich die Zahl auf 19.345 Personen. Zu diesem Zeitpunkt warteten noch 1.388 Ortskräfte (mit Familienangehörigen 5.975 Personen) auf ihre Ausreise.

Warum wurden nicht mehr deutsche Ortskräfte gerettet?

Soraya Barakzay (Pegah Ferydoni) will mit ihrer Fluchthilfe-Organisation auf das Schicksal ehemaliger Ortskräfte in Afghanistan aufmerksam machen. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Soraya Barakzay (Pegah Ferydoni) will mit ihrer Fluchthilfe-Organisation auf das Schicksal ehemaliger Ortskräfte in Afghanistan aufmerksam machen. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Zunächst mal haben fast sämtliche westlichen Nachrichtendienste versagt, denn die Taliban-Übernahme des Landes und der Fall der Hauptstadt spielten sich im Rekordtempo weniger Tage ab. Die Evakuierungen über den Flughafen Kabul verliefen entsprechend hektisch. Auch deshalb, weil die Situation vor Ort mit Flüchtenden, die das Rollfeld blockierten und Taliban-Kämpfern, die diese Flucht unterbinden wollten, chaotisch war. Die erste Bundeswehrmaschine flog mit nur sieben Personen an Bord zurück, da nur so wenige Menschen den Zugang zum Flughafen geschafft hatten.

Ratlos untersuchen Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) einen Tatort. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Ratlos untersuchen Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) einen Tatort. (Bild: rbb/Gordon Muehle)

Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat weitere wichtige Erkenntnisse zur Evakuierung zutage gefördert: Neben der zu späten Warnung vor dem Zusammenbruch der vom Westen unterstützten Regierung gab es erhebliche Mängel in der Kommunikation und Vorbereitung der Evakuierung. Zudem stehen politische Vorwürfe im Raum. So warfen „Der Tagesspiegel“ und andere Medien der Regierung Merkel vor, man hätte offenbar aus Angst vor einer innenpolitischen Zuwanderungsdebatte kurz vor der Bundestagswahl gehandelt. Dies hätte dazu geführt, dass bürokratische Hindernisse für die Einreise nicht rechtzeitig abgebaut worden wären.

Wer spielte die Menschenrechts-Aktivistin?

Pegah Ferydoni spielt die Menschenrechtsaktivistin und ehemalige afghanische Richterin Soraya Barakzay, die weit oben auf der Abschussliste der Taliban stand. Eine Frau, die ihre Flucht aus der Heimat mit dem Tod ihrer Kinder bezahlen musste. Eine zutiefst traurige und anrührende Geschichte, die sich so oder so ähnlich wohl auch in der Realität finden ließe. Pegah Ferydoni, 41, entstammt einer iranischen Künstlerfamilie. Ihre Eltern flüchteten vor dem Khomeini-Regime mit der damals zweijährigen Pegah nach Deutschland.

Ferydoni wuchs in Berlin auf, brachte sich Schauspielerei autodidaktisch bei und wurde als Yağmur Öztürk in der erfolgreichen Serie „Türkisch für Anfänger“ bekannt. 2006 gewann sie dafür einen Deutschen Fernsehpreis, 2007 den Grimme-Preis. Über drei Staffeln spielte sie von 2019 bis 2022 die Rolle der Kriminalerchefin Sarah Khan in „SOKO Hamburg“. Ende 2013 oder Anfang 2014 wurde sie Mutter eines Kindes. Seit Februar 2022 ist die Schauspielerin und Moderatorin (“zdf.kulturpalast“, „Berlinale-Studio“) mit dem Schauspieler Florian Anderer verheiratet.

Wie geht es beim Berliner „Tatort“ weiter?

Zwei neue „Tatort“-Filme mit Karow und Bonard sind in der Mache. Im Oktober und November 2024 fanden nach einem Drehbuch und unter der Regie von Mira Thiel, die auch den vorletzten Fall „Tag der wandernden Seelen“ inszenierte, Dreharbeiten statt. Mit „Der Letzte macht das Licht aus“ und „Homo Homini Lupus“ kursieren zwei Arbeitstitel für diesen Fall, den man voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2025 sehen kann.

Ein weiteres Drehbuch des „Vier Leben“-Writers Room rund um André Szabó soll danach realisiert werden. Der Arbeitstitel lautet „Erika Mustermann“. Danach könnte das Kapitel Susanne Bonard beim Berliner „Tatort“ schon wieder geschlossen werden. Die 70-jährige Schauspielerin Corinna Harfouch angekündigt, nach sechs Filmen aus der Reihe aussteigen zu wollen, weil sie für ihre Rolle zu alt sei. (tsch)