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Tödlicher Rassismus gegen AsiatinnenDoku deckt „riesengroße Blindstelle“ in Deutschland auf

Lesezeit 4 Minuten
Die chinesische Architekturstudentin Li Yangjie wurde im Mai 2016 in Dessau in Sachsen-Anhalt vergewaltigt und ermordet. (Bild: RTLZWEI / NEOS Film / Gute Zeit Film)

Die chinesische Architekturstudentin Li Yangjie wurde im Mai 2016 in Dessau in Sachsen-Anhalt vergewaltigt und ermordet. (Bild: RTLZWEI / NEOS Film / Gute Zeit Film)

Die 25-jährige Studentin Li Yangjie wurde im Mai 2016 in Dessau getötet, weil sie eine Frau war. Und: weil sie Chinesin war. Das zumindest legt die neue Dokumentation „Hass.Hetze.Hoffnung“ nahe, die Erschreckendes über die Diskriminierungserfahrungen asiatischer Frauen in Deutschland zutage fördert.

Nach Deutschland kam Li Yangjie, um ihren Master zu machen. Ihr Architekturstudium sollte die Chinesin jedoch nie beenden. Stattdessen fand sie im Mai 2016 in Dessau den Tod, als sie auf ihrer abendlichen Joggingrunde entführt, vergewaltigt und schließlich brutal ermordet wurde.

Die Täter: ein zum damaligen Zeitpunkt 20-jähriger Mann und seine 19-jährige Verlobte. In Vernehmungen behauptet das Paar, sich zu einvernehmlichen sexuellen Aktivitäten mit der 25-Jährigen verabredet zu haben. Als der ermittelnde Oberstaatsanwalt dieses Narrativ bei einer Pressekonferenz übernahm, wurde fälschlicherweise auch in den deutschen Medien immer wieder von einem vermeintlichen Einverständnis Li Yangjies berichtet.

„Ich glaube nicht, dass diese Art der Darstellung auch bei einer weißen, deutschen Person so stattgefunden hätte“, sagt die Journalistin Vanessa Vu in der neuen, zweiteiligen Doku „Hass.Hetze.Hoffnung“. Die Soziologin Ruirui Zhou erinnert sich, wie groß die Empörung innerhalb der chinesischen Community gewesen sei: „Viele haben gesagt: 'So ein Slutshaming lassen wir nicht im Raum stehen.'“

„Der Täter hat sich sehr gezielt dieses Opfer gesucht“

Der Mord an Li Yangjie sei „der Gipfel dessen, worin die ganze sexualisierte und rassistische Gewalt, die asiatische Menschen erfahren, münden kann“, sagt die Journalistin Vanessa Vu.
 (Bild: RTLZWEI / NEOS Film / Gute Zeit Film)

Der Mord an Li Yangjie sei „der Gipfel dessen, worin die ganze sexualisierte und rassistische Gewalt, die asiatische Menschen erfahren, münden kann“, sagt die Journalistin Vanessa Vu. (Bild: RTLZWEI / NEOS Film / Gute Zeit Film)

In einem Hinweis zu Beginn des Films, dem RTLZWEI am Dienstagabend den besten Sendeplatz um 20.15 Uhr eingeräumt hat, heißt es: „Die Verschränkung von Sexismus und Rassismus bedeutet, dass vor allem Frauen gleichzeitig wegen ihrer Herkunft und ihres Geschlechts diskriminiert werden. Einige der wiedergegebenen Standpunkte und Ansichten vermitteln subjektive, asiatisch-deutsche Perspektiven auf den Fall.“ Dieser „mögliche Kontext“ habe weder in den Ermittlungen noch in der Berichterstattung im Vordergrund gestanden.

Li Yangjies Fall stehe stellvertretend für „eine riesengroße Blindstelle“ in Deutschland, beklagt Vanessa Vu. Im Zusammenhang mit dem Mord an der Studentin sei häufig gesagt worden, „das hätte auch jeder anderen Person passieren können, das hätte auch jeder deutschen Frau passieren können. Und natürlich hätte es auch jeder anderen Frau passieren können“, räumt Vu ein, „Femizide in Deutschland sind leider Alltag. Aber Li Yangjie war eben nicht nur irgendeine Frau, sondern sie war auch eine asiatische Frau.“

Von „Mehrfachdiskriminierung“ sei die Rede, erklärt die Soziologin Kimiko Suda, wenn es zu einer „Überschneidung oder Verwebung von Rassimus und Sexismus“ komme. Li Yangjie sei nicht nur aufgrund ihres Geschlechts, sondern vermutlich auch aufgrund ihrer Herkunft zum Mordopfer geworden. Dafür spricht auch, dass der Täter im Netz sexuelle Gewaltdarstellungen gegen asiatische Menschen konsumiert hatte. „Speziell in diesem Fall können wir eigentlich ziemlich sicher sagen, dass es nicht Gewalt gegen irgendeine beliebige Frau war, sondern dass sich der Täter schon auch sehr gezielt dieses Opfer gesucht hat“, sagt Vanessa Vu.

Soziologin Kimiko Suda: Wo bleibt der Aufschrei?

Die Fetischisierung asiatischer Frauen sei kein neues Phänomen. „Die Erzählung von der 'hypersexuellen Asiatin' hat in Europa eine lange Geschichte, angefangen mit den Berichten von Marco Polo“, erklärt Kimiko Suda. Bis heute sei die Hypersexualisierung asiatischer Frauen in westlichen Ländern wie Deutschland weitverbreitet: Man betrachte Asiatinnen als „besonders sexuell, als willig, als gefügig“, berichtet Vanessa Vu. „Das bedeutet, dass man natürlich das auch abbekommt, was alle anderen Frauen abbekommen. Aber wenn noch eine rassistische Komponente hinzukommt - zum Beispiel, dass asiatische Menschen als unterwürfig gelten, als still, leise - dann kann man das auch fetischisieren.“

Am Beispiel von Li Yangjie werde „klar, welche Gewaltfantasien es gegenüber asiatischen Menschen gibt“, resümiert Vu. Der Mord an der jungen Frau sei „der Gipfel dessen, worin die ganze sexualisierte und rassistische Gewalt, die asiatische Menschen erfahren, münden kann“.

Beispiele für Diskriminierung liefert die Dokumentation zuhauf. Frauen, aber auch Männer asiatischer Herkunft berichten im Film von rassistischen Sprüchen beim Dating, von Beleidigungen, von sexueller und nicht-sexueller Gewalt, aber auch vom allgemeinen Misstrauen, das ihnen etwa zu Beginn der Corona-Pandemie entgegenschlug. „Zu oft gibt es noch so einen Tenor: 'Ach, das sind irgendwelche woken Minderheiten, die das betrifft. Das sind Leute, die irgendwie zu sensibel sind'“, weiß Kimiko Suda. „Es gibt noch nicht so eine Gesamtatmosphäre, wo das ernst genommen wird.“

Doch es handelt sich nicht um Einzelerfahrungen. Anti-asiatischer Rassismus, das macht der Film mehr als deutlich, ist hierzulande ein gesamtgesellschaftliches Problem. „Ich denke, gerade nach solchen Morden müsste es eigentlich einen Aufschrei geben: 'Hey, wir müssen das Bild, wie asiatische Frauen medial dargestellt werden, verändern'“, fordert Kimiko Suda. Fast neun Jahre nach der Tat sei es höchste Zeit, zu fragen: „Wieso ist das passiert? Ein Mensch ist umgebracht worden. Es wurde jemandem das Leben genommen.“ (tsch)