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TV-Doku über Britney SpearsZwischen „Lolita-Image“ und „Versuchskaninchen“

Lesezeit 4 Minuten
Britney Spears erlebte eine Karriere mit vielen Hochs und Tiefs. (Bild: Gabe Palacio / Getty Images)

Britney Spears erlebte eine Karriere mit vielen Hochs und Tiefs. (Bild: Gabe Palacio / Getty Images)

Pop-Hits für die Ewigkeit auf der einen, ein entbehrungsreiches Privatleben auf der anderen Seite: Britney Spears war während ihrer Karriere sowohl ganz oben als auch am Boden. Eine ARTE-Dokumentation widmet sich beiden Extremen eines außergewöhnlichen Werdegangs im Showbusiness.

Kinderstar, Pop-Ikone, Paparazzi-Opfer: Während ihrer mehr als 20-jährigen Karriere im Musikgeschäft erlebte Britney Spears neben unzähligen Hochs wohl genauso viele Tiefs. All diese Irrungen und Wirrungen in einer 60-minütigen TV-Dokumentation nachzuerzählen, wirkt (über-)ambitioniert. Regisseurin Jeanne Burel versucht es mit der fünfteiligen Doku „Britney OHNE FILTER“ (ab sofort in der ARTE-Mediathek verfügbar) trotzdem - und zeichnet ein einfühlsames, differenziertes Bild eines Pop-Phänomens aus der Sicht eines bekennenden Fans.

Nach ihrem Durchbruch 1998 wurde das junge Mädchen Britney Spears binnen kürzester Zeit zu einem Weltstar.  (Bild: Brenda Chase / Online USA / Liaison Agency / Getty Images)

Nach ihrem Durchbruch 1998 wurde das junge Mädchen Britney Spears binnen kürzester Zeit zu einem Weltstar. (Bild: Brenda Chase / Online USA / Liaison Agency / Getty Images)

Chronologisch arbeitet sich die Filmemacherin durch das Leben der US-Amerikanerin und beleuchtet immer wieder markante Schlaglichter ihres Werdegangs. Spears habe bei ihrem Durchbruch sowohl „das puritanische Amerika“ als auch „sexuelle Zügellosigkeit“ verkörpert, schildert Journalistin Elise Costa.

In Kombination mit einer neuen Fernsehkultur rund um die Jahrtausendwende sei die Sängerin unversehens zum „Versuchskaninchen für die moderne Berühmtheit“ geworden. David Marshall, Professor für Kommunikationswissenschaft, sieht es ähnlich: „Ihr ganzes Leben war eine halb-fiktionale Erzählung ihrer Identität.“

Mitte der 2000er-Jahre erleidet Britney Spears einen psychischen Zusammenbruch

Ab 2001 lernte die Welt eine neue Britney Spears kennen. Die inzwischen 20-Jährige mottete das Schulmädchenkleid endgültig ein und wurde immer freizügiger bei ihren Auftritten. (Bild: Scott Gries)

Ab 2001 lernte die Welt eine neue Britney Spears kennen. Die inzwischen 20-Jährige mottete das Schulmädchenkleid endgültig ein und wurde immer freizügiger bei ihren Auftritten. (Bild: Scott Gries)

Wie sehr dieses gnadenlose Business ein junges Mädchen vom Land zur zumeist nur halb angezogenen Männerfantasie verwandelte, machen Aufnahmen aus Spears' früher Karriere klar. Der Clip zeigt sie als Kind mit kraftvoller Stimme voller Soul - nichts zu hören von der markant-piepsigen Pop-Stimme ihres späteren Chartstürmer-Ichs. Nach ihrem Durchbruch habe Britney Spears jedoch zunehmend ein „Lolita-Image“ angenommen, erklärt Journalistin Isabella Caldart.

Auf die Spitze trieb es die Künstlerin in puncto nackter Haut Anfang der 2000er-Jahre, was sie ins Zentrum gesellschaftlicher Debatten im prüden Amerika rückte. „Es ist eine Zeit, in der man keusch sein muss und gleichzeitig sexuell anziehend“, beschreibt Journalistin Constance Grady das unmögliche Spannungsfeld, in dem sich Frauen damals bewegten. TV-Archivaufnahmen zeigen, wie Spears in Interviews wahlweise zu ihrer Jungfräulichkeit, ihren sexuellen Vorlieben oder ihrer Oberweite befragt wird.

Immer für einen Skandal gut - sehr zur Freude der Klatschpresse: Unter anderem sorgte ihr Zungenkuss mit Madonna bei den MTV VMAs 2003 für Aufruhr. (Bild: 2003 Getty Images/Frank Micelotta)

Immer für einen Skandal gut - sehr zur Freude der Klatschpresse: Unter anderem sorgte ihr Zungenkuss mit Madonna bei den MTV VMAs 2003 für Aufruhr. (Bild: 2003 Getty Images/Frank Micelotta)

Sensationsgierige Reporter, der ständige Druck zu neuen Hits und ein erbarmungsloser Vater im Hintergrund brachten Spears schließlich an den Rand der psychischen Belastbarkeit - sehr zur Freude der Paparazzi. „Sobald sie vor die Tür ging, wartete eine Armee von Kameras, die sie pausenlos fotografierten“, erinnert sich Elise Costa. Das aufkommende Internet Anfang der 2000er-Jahre samt gnadenloser Gerüchteküchen und Skandalisierungen tat ihr Übriges zur Abwärtsspirale, aus der sich Spears nicht befreien konnte.

2007 scherte sich Britney Spears eine Glatze: „An diesem Abend tötete sie ihre eigene Figur“

„FreeBritney“: Hinter diesem Slogan versammelte sich jahrelang fast schon eine Armee von Spears-Fans und -Sympathisanten, um die Sängerin von der Vormundschaft ihres Vaters zu befreien. (Bild: 2021 Getty Images/Kevin Winter)

„FreeBritney“: Hinter diesem Slogan versammelte sich jahrelang fast schon eine Armee von Spears-Fans und -Sympathisanten, um die Sängerin von der Vormundschaft ihres Vaters zu befreien. (Bild: 2021 Getty Images/Kevin Winter)

Einer der traurigen Höhepunkte der medialen Hetzjagd war Spears' radikaler Schnitt 2007, als sie sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine Glatze rasierte. „An diesem Abend tötete sie ihre eigene Figur“, drückt es Autorin Sandrine Galand in der ARTE-Dokumentation aus.

Als weitere öffenlich ausgeschlachtete Zusammenbrüche folgten (Caldart: „Britney als hysterisch darzustellen, war der Freifahrtschein für alle, sich über sie lustig zu machen“), leitete die Übernahme der Vormundschaft durch ihren Vater 2007 eine dunkle Zeit im Leben der Popsängerin ein.

Was der Öffentlichkeit mit einem schillernden Comeback in Las Vegas 2008 als wirkungsvolle Maßnahme verkauft wurde, stellte sich nach und nach als zwanghaftes Gefängnis für die Künstlerin heraus. „Britney Spears, das bin ich jetzt ich“, habe ihr Vater gesagt, erinnert sich Spears in ihrer Autobiografie von 2023. Sie habe anschließend auf „Autopilot“ geschaltet. Erst viele Jahre später, nach einer Zwangseinweisung wegen psychischer Probleme, formierte sich in den mittlerweile groß gewordenen sozialen Medien die „Free Britney“-Bewegung. Diese führte letztlich mit zur Aufhebung der Vormundschaft 2021.

Seither lebt die Sängerin ihre Freiheit in vollen Zügen aus - vor allem bei Instagram. „Man merkt, dass es nicht immer zeitgemäß ist“, beschreibt Elise Costa den Account des Superstars. Spears würde immer dasselbe posten, „als sei sie in einer Zeitschleife gefangen“. Dazu gehört auch viel Nacktheit, womit sie laut Psychologe Michael Stora zeigen wolle, dass sie „die Kontrolle über ihre Darstellung“ habe.

Doch noch scheint Spears' Achterbahnfahrt vor dem öffentlichen Auge an keinem Ende, prophezeit Isabella Caldart am Ende der 60-minütigen Doku doch eine Kulturrevolution durch Social Media, KI und Deepfakes: „Ich glaube, das ist eine ganz neue Art der Bedrohung, die Menschen in der Öffentlichkeit und Frauen im Internet betrifft.“ (tsch)