AboAbonnieren

„Verräterisches Detail“Darum glauben Lanz und Precht, „dass Scholz nicht noch mal antritt“

Lesezeit 5 Minuten
Richard David Precht (links) und Markus Lanz machen sich in ihrer aktuellen Podcast-Folge Gedanken über die Bundestagswahl im kommenden Jahr. (Bild: ZDF / Christian Bruch)

Richard David Precht (links) und Markus Lanz machen sich in ihrer aktuellen Podcast-Folge Gedanken über die Bundestagswahl im kommenden Jahr. (Bild: ZDF / Christian Bruch)

Setzt die SPD vor der Bundestagswahl auf einen anderen Kandidaten als den amtierenden Kanzler? Die ZDF-Podcaster Markus Lanz und Richard David Precht sind davon fest überzeugt. Doch egal, wie der nächste Regierungschef heiße: Das Land stehe vor der „Schicksalsfrage, ob es sich abschafft“.

Schneller als von den meisten Beobachtern erwartet hat die Union die K-Frage geklärt. Die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (NRW) und Markus Söder (Bayern) machten den Weg frei für den designierten Kanzlerkandidaten Friedrich Merz. „Ich hatte ein bisschen Schadenfreude im Hinblick auf den journalistischen Betrieb, der sich schon darauf eingestellt hat, es ein halbes Jahr lang zum Hauptthema zu machen, wie sich diese drei Herren wechselseitig zerfleischen“, kommentiert Richard David Precht in seinem mit Markus Lanz betriebenen ZDF-Podcast die Entscheidung süffisant.

Sein Podcast-Partner vermutet in der aktuellen „Lanz & Precht“-Ausgabe, es sei das Kalkül des Kanzleramts gewesen, dass die drei Unions-Bewerber sich „zerlegen“, und dann komme Olaf Scholz „wie Phönix aus der Asche“. Precht hat eine leicht abweichende Theorie. „Ich habe immer gedacht: Lass die drei sich zerlegen, und dann kommt Boris Pistorius.“ Der in Umfragen weiterhin sehr beliebte Verteidigungsminister wäre in so einem Szenario der „einzig Nicht-Beschädigte“ gewesen. Precht: „Ich glaube, so war auch der Plan der SPD. Ich lasse mir zumindest den Glauben daran nicht nehmen.“

Markus Lanz erinnert das Dilemma des Kanzlers an das Joe Bidens

Verteidigungsminister Boris Pistorius (rechts) genießt derzeit weit höhere Zustimmungswerte als Bundeskanzler Olaf Scholz  (Bild: 2024 Getty Images/Gregor Fischer)

Verteidigungsminister Boris Pistorius (rechts) genießt derzeit weit höhere Zustimmungswerte als Bundeskanzler Olaf Scholz (Bild: 2024 Getty Images/Gregor Fischer)

Markus Lanz ist überzeugt, dass Pistorius weiterhin ausgezeichnete Chancen auf die Kanzlerkandidatur der SPD hat - auch wenn Bundeskanzler Olaf Scholz derartige Spekulationen zunehmend „dünnhäutig“ zurückweise. Sollte die SPD „im März, April, Mai nächsten Jahres noch bei 14 Prozent“ stehen, erwarte er ein Umdenken bei den Sozialdemokraten.

Schließlich würde sich die SPD-Bundestagsfraktion bei solchen Werten halbieren: „Jeder Zweite verliert dann seinen Job. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das dann einfach so lässt.“ Ihn erinnere die nur vermeintliche Alternativlosigkeit des Kanzlerkandidaten Olaf Scholz frappierend an den Fall Joe Bidens. Der amtierende US-Präsident hat nach vielen energischen Dementi mitten im Präsidentschaftswahlkampf den Weg doch frei gemacht für Kamala Harris.

Precht stimmt der Analyse des ZDF-Talkers zu: „Nein, das macht auch keinen Spaß, sich zu halbieren im Vergleich zur letzten Wahl - sehenden Auges!“ Er gehe davon aus, „dass Scholz nicht noch mal antritt“. Mehr noch: „Ich glaube, das wird Schule machen, dass man den Kanzlerkandidaten so drei Monate vor der Wahl austauscht“, spekuliert der TV-Philosoph. „Weil der kann bis dahin ja nicht mehr ernsthaft beschädigt werden von der Opposition oder von den Medien.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob Klingbeil und Pistorius sich so richtig mögen“

Was aus Sicht von Markus Lanz gegen eine Nominierung von Boris Pistorius sprechen könnte: Er unterstellt Parteichef Lars Klingbeil perspektivisch eigene Kanzlerambitionen. „Ich bin mir nicht sicher, ob er und Boris Pistorius sich so richtig mögen“, unkt Lanz, was sein Gesprächspartner umgehend kontert.

Richard David Precht (links) und Markus Lanz glauben beide nicht, dass Olaf Scholz noch mal als Kanzler kandidiert. (Bild: ZDF / Christian Bruch)

Richard David Precht (links) und Markus Lanz glauben beide nicht, dass Olaf Scholz noch mal als Kanzler kandidiert. (Bild: ZDF / Christian Bruch)

Precht glaubt, irgendwann werde man bei der SPD zu dem Schluss kommen, dass es schlicht nicht anders gehe als mit Pistorius: „Man wird aus der Geschichte lernen, dass immer die Sozialdemokraten am erfolgreichsten an der Wahlurne abschneiden, die von der Partei selbst am wenigsten gemocht werden“, argumentiert er mit Verweis auf die Alt-Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder.

Lanz über Merz: „68 Jahre alt und noch nie auch nur eine Woche regiert“

Lanz will in dem Kontext „ein interessantes, kleines und verräterisches Detail“ entdeckt haben. Als Pistorius in den Haushaltsverhandlungen seinen Mehr-Bedarf für die Bundeswehr angemeldet hat, sei es nicht Finanzminister Christian Lindner gewesen, der die geforderten drei Milliarden auf ungefähr die Hälfte heruntergekürzt habe. Das sei - „nach allem, was ich höre“ - vielmehr der Kanzler selbst gewesen. Nun könne man spekulieren, dass Scholz „seinem großen Rivalen“ das Budget nicht gegönnt habe.

Precht überzeugt die Theorie nur bedingt: „Er ist ja kein Rivale! Er ist deshalb kein Rivale, weil Scholz sehenden Auges in ein grottenschlechtes Ergebnis geht.“

Auch auf Friedrich Merz kommen die beiden ausführlicher zu sprechen. Der CDU-Chef sei jemand, „der mir von seinem Temperament her sympathisch ist“, gibt Markus Lanz zu. „Er ist aber auch eruptiv, er ist emotional, und vor allem hat er so viel Regierungserfahrung wie Sahra Wagenknecht und Lars Klingbeil zusammen: nämlich genau null.“ Merz sei nun 68 Jahre alt und habe „noch nie irgendwo auch nur eine Woche regiert. Dass er ein großer Führungspolitiker ist, hat er im Grund noch nie wirklich beweisen müssen.“

Precht erkennt „Schicksalsfrage, ob Deutschland sich abschafft“

Precht entgegnet, dass ihn die Person des CDU-Chefs nicht wirklich interessiere. Der Versuch, die CDU neu zu erfinden, sei ihm nicht geglückt. „Aber er profitiert natürlich von der Unbeliebtheit der Ampel.“ Etwas anderes umtreibt den Bestsellerautor im Hinblick auf die Bundestagswahl 2025 viel mehr: Innerhalb der Parteien der Mitte sei es inzwischen nicht mehr allzu bedeutend, wer regiere, weil sich die Handlungsspielräume für alle stark verengt hätten.

Als „Symbol“ dafür und für den maroden Zustand der Infrastruktur in Deutschland stehe die eingestürzte Carolabrücke in Dresden. Die sei nur die Spitze des Eisbergs, mahnt Precht, „wenn man bedenkt, dass es 30.000 sanierungsbedürftige Brücken gibt“. Hinzu kämen marode Straßen und Schienen, ferner Schauspiel-, Opernhäuser und etliches mehr.

„Wo kommt das ganze Geld dafür her?“, fragt der TV-Philosoph rhetorisch. „Da haben wir schon so was wie eine Schicksalsfrage, ob Deutschland sich abschafft. Weil alles das, was die Gesellschaft in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren aufgebaut hat, jetzt marode ist.“ Precht sieht das Land vor einer fiskalischen und logistischen Herkulesaufgabe: „Alles das, was nach dem Krieg wiederaufgebaut wurde, muss eigentlich jetzt noch mal wiederaufgebaut werden.“ (tsch)