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Von wegen Aufstieg für alleTV-Doku hinterfragt deutsches Bildungssystem

Lesezeit 3 Minuten
Der Aufstieg gelingt heute oft gegen das System und nicht mit ihm. Natalya Mepomnyashcha (vorne) will mit ihrem „Netzwerk Chancen“ aber Unterstützung leisten. Was sonst noch hilft, zeigt „You can win if you want? Das falsche Versprechen vom Aufstieg“. Die Doku ist am Mittwoch, 22. Januar, 20.15 Uhr, im MDR Fernsehen zu sehen und bereits vorab in der ARD-Mediathek. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Der Aufstieg gelingt heute oft gegen das System und nicht mit ihm. Natalya Mepomnyashcha (vorne) will mit ihrem „Netzwerk Chancen“ aber Unterstützung leisten. Was sonst noch hilft, zeigt „You can win if you want? Das falsche Versprechen vom Aufstieg“. Die Doku ist am Mittwoch, 22. Januar, 20.15 Uhr, im MDR Fernsehen zu sehen und bereits vorab in der ARD-Mediathek. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Deutschland hat manches, um das es beneidet wird. Doch eines gehört bestimmt nicht dazu: Das Bildungssystem. In der MDR-Dokumentation „You can win if you want?“ zeigen Dirk Schneider und Ariane Riecker, was im Argen liegt.

Wenn man von ganz unten kommt, ist Karriere eine wahnsinnig unwahrscheinliche Sache, gerade in Deutschland. Natalya Nepomnyashcha hat es trotzdem geschafft. In  der MDR-Dokumentation „You can win if you want? Das falsche Versprechen vom Aufstieg“ erzählt sie ihre Story - und von den Schikanen des deutschen Bildungswesens. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Wenn man von ganz unten kommt, ist Karriere eine wahnsinnig unwahrscheinliche Sache, gerade in Deutschland. Natalya Nepomnyashcha hat es trotzdem geschafft. In der MDR-Dokumentation „You can win if you want? Das falsche Versprechen vom Aufstieg“ erzählt sie ihre Story - und von den Schikanen des deutschen Bildungswesens. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

„You can win if you want!“ - So tönt der Modern Talking-Hit aus dem Handy-Lautsprecher von Cawa Younosi. Doch bei dem im Song versprochenen Aufstieg wurden Younosi und vielen weiteren Migranten und Arbeiterkindern eine Menge Steine in den Weg gelegt. Für Dirk Schneider und Ariane Riecker hat die Liedzeile jedenfalls ein dickes Fragezeichen verdient. Am Mittwoch, 22. Januar, 20.15 Uhr, im MDR und bereits vorab in der ARD-Mediathek ist ihre Dokumentation „You can win if you want? Das falsche Versprechen vom Aufstieg“ zu sehen.

Marlen Hobrack kommt aus schwierigen Verhältnissen. Als Jugendliche geht sie nicht mehr zur Schule. Auf ihre Idee, Musikerin zu werden, erntet sie Spott. „Über wessen Träume und Wünsche kann man lachen“, das weiß sie nun, „das hat was mit Klasse zu tun.“ Heute ist sie erfolgreiche Journalistin. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Marlen Hobrack kommt aus schwierigen Verhältnissen. Als Jugendliche geht sie nicht mehr zur Schule. Auf ihre Idee, Musikerin zu werden, erntet sie Spott. „Über wessen Träume und Wünsche kann man lachen“, das weiß sie nun, „das hat was mit Klasse zu tun.“ Heute ist sie erfolgreiche Journalistin. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Dass das „Versprechen“ wirklich wohl falsch war und ist, das können die Protagonisten im Film gut bezeugen. Younosi ist nur einer von ihnen. Mit 13 flüchtete er aus Afghanistan nach Deutschland, wo er schließlich Personalleiter bei SAP und mit Pferdekopfmaske und anderen öffentlichkeitswirksamen Aktionen zum Aushängeschild des DAX-Konzerns wurde. Doch ein derart steiler Aufstieg ist in Younosis Lage trotz allen Talents eigentlich total unwahrscheinlich. Dessen war er sich auch bewusst.

„Ich war getrieben von Herkunftsscham“

Auch Cawa Younosi hat es in die Führungsriege eines großen  Unternehmens geschafft. Er war Personalleiter von SAP und ein Aushängeschild der Firma. Dass er als Kind aus Afghanistan flüchtete, verschwieg er immer, weil er die Vorbehalte fürchtete. „Thomas stellt immer Thomas ein“, so begründet er seine „Herkunftsscham“. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Auch Cawa Younosi hat es in die Führungsriege eines großen Unternehmens geschafft. Er war Personalleiter von SAP und ein Aushängeschild der Firma. Dass er als Kind aus Afghanistan flüchtete, verschwieg er immer, weil er die Vorbehalte fürchtete. „Thomas stellt immer Thomas ein“, so begründet er seine „Herkunftsscham“. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

„Getrieben von Herkunftsscham“, so sagt er im Film, sei er gewesen. Das hat seine Gründe, wenn man einmal in die Statistiken blickt. Für Deutschland gilt nämlich, dass Herkunft noch immer besonders stark über den eigenen Erfolg entscheidet. Mehr als in dem sonst als so elitär verrufenen England. Laut einer Studie der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, bestimmt der Bildungsgrad der Eltern größtenteils den Bildungsgrad ihrer Sprösslinge, und Akademikerkinder bekommen selbst bei vergleichbarer Leistung viel leichter eine Gymnasialempfehlung als Kinder aus Arbeiterfamilien.

Scott Wempe ist Erbe eines erfolgreichen Unternehmens. Mit 13 Jahren entschied er, die deutsche Schule könne ihn nicht genug fördern. Er will nach England. Seine Familie konnte ihm das ermöglichen. Auch Wempe findet das ungerecht und setzt sich ehrenamtlich für Bildungsaufsteiger ein. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Scott Wempe ist Erbe eines erfolgreichen Unternehmens. Mit 13 Jahren entschied er, die deutsche Schule könne ihn nicht genug fördern. Er will nach England. Seine Familie konnte ihm das ermöglichen. Auch Wempe findet das ungerecht und setzt sich ehrenamtlich für Bildungsaufsteiger ein. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Natalya Nepomnyashcha und Jörg Theobald haben damit ihre Erfahrungen gemacht. Sie ist als kleines Mädchen mit ihrer Familie aus der Ukraine gekommen, er ist Arbeiterkind. Beide bekommen aus unklaren Gründen keine Empfehlung für das Gymnasium und wollen doch ihr Abitur machen. Nepomnyashcha scheitert an willkürlich erscheinenden Tests, die den Gymnasialstoff schon voraussetzen, den sie doch erst lernen möchte. Die Geschichte, die hier erzählt wird, geht allerdings weiter: Allen Widrigkeiten zum Trotz hat sie international Karriere als Unternehmensberaterin gemacht und das „Netzwerk Chancen“ gegründet, um anderen Aufsteigern zu helfen.

Ohne Gymnasialempfehlung keine Chance?

Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann weiß, dass diese Ungleichheit in Deutschland schon lange Tradition hat. Er meint, dass dieses hierarchische Bildungssystem auch das Regime der Nazis gestützt hat. Reform-Ideen, die zum Beispiel für gemeinsames Lernen über einen langen Zeitraum gesorgt hätten, wurden durch die Eliten nach 1945 bekämpft. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann weiß, dass diese Ungleichheit in Deutschland schon lange Tradition hat. Er meint, dass dieses hierarchische Bildungssystem auch das Regime der Nazis gestützt hat. Reform-Ideen, die zum Beispiel für gemeinsames Lernen über einen langen Zeitraum gesorgt hätten, wurden durch die Eliten nach 1945 bekämpft. (Bild: MDR/Hoferichter & Jacobs GmbH)

Bei Theobald hilft damals auch sein persönliches Vorsprechen nichts. „Ich möchte ein Abitur machen, weil ich weiß, dass ich das kann“, sagt er, doch der Schulrektor verweist ihn an den Bau. Mit der ausbleibenden Empfehlung war klar, wo sein Platz ist. Nun, mit 41 Jahren, hat Theobald auf dem dritten Bildungsweg endlich auch einen Bachelor in der Tasche und hofft auf Anstellung. Ob die alteingesessene Bildungselite für ihn Platz macht, ist unsicher.

Über die Folgen und Ursachen dieser Bildungsmisere kommen auch Experten wie Soziologe Michael Hartmann und die Politikwissenschaftlerin Martyna Linartas zu Wort. Hartmann hält fest: „Das Studium ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die wirklich lukrativen Jobs“. Die Doku stimmt nachdenklich, denn sie zeigt: In Verbindung mit all der Vorauswahl bleibt das demokratische Deutschland bei der Bildung hinter seinen Ansprüchen zurück.

Wer besser verstehen will, wie und warum, bekommt mit „You can win if you want? Das falsche Versprechen vom Aufstieg“ einen guten Einblick in fragwürdige Aspekte des Bildungssystems hierzulande. (tsch)