Der Zweite Weltkrieg und seine weitreichenden Folgen: Anhand von sechs prominenten Lebensgeschichten blickt die neue Doku-Dramareihe „Die Spaltung der Welt“ aus verschiedenen weltumspannenden Perspektiven auf den größten Konflikt der Geschichte.
Wie der Zweite Weltkrieg alles veränderteNeue Serie wagt ungewohnten Blick
Kaum ein Mensch, kaum ein Land, kaum eine Gesellschaft war nicht vom größten Krieg der Geschichte betroffen: Der Zweite Weltkrieg gilt als gewaltigste Zäsur der vergangenen Jahrhunderte. Welche Folgen sein Ausbruch für Europa hatte, wurde eingehend untersucht und unter anderem in Hunderten TV-Sendungen erzählt. Eine neue Doku-Dramareihe widmet sich nun hingegen auch den weniger beachteten Auswirkungen des Krieges aus zahlreichen Perspektiven: „Die Spaltung der Welt“ beleuchtet anhand von sechs prominenten Biografien, wie völlig verschiedene Menschen in unterschiedlichen Teilen der Erde in den Strudel der Geschichte geraten und angesichts der drohenden Zerstörung handeln müssen. Nach der Vorpremiere bei ARTE strahlt nun auch das Erste die sechs Episoden unter derm Titel „ARD History: Die Spaltung der Welt“ aus (Montag, 11. November, 22.50 Uhr, im Ersten).
Begleitet werden die historischen Figuren Wernher von Braun, Hedwig Höß, Nikita Chruschtschow, Joan Hinton, Golda Meir und Frantz Fanon vom Kriegsbeginn 1939 bis in die frühen 60er-Jahre. Die rund 50-minütigen Epsioden, die sich jeweils auf eine Figur konzentrieren, verfolgen ihre Charaktere in sehenswerten Spielfilmszenen, wobei jeweils in der Originalsprache des historischen Vorbilds gedreht wurde. Hinzukommen teilweise nachkolorierte, seltene Archivaufnahmen sowie Zeitzeugenberichte. Wie schon die Vorgängerreihen „14 - Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ (2014) und „Krieg der Träume - 1918-1939“ (2018), berichtet auch „Die Spaltung der Welt: 1939-1962“ einerseits historisch detailiert recherchiert und zugleich aus überaus subjektiver Sicht. Anhand der Träume und Traumata seiner Protagonisten versucht das ambitionierte TV-Projekt ein Bild vom großen Ganzen zu zeichnen.
Keine Heldenfiguren
Geht es in den ersten drei Episoden zunächst um den Krieg samt seiner Schrecklichkeiten, um die nationalsozialistische Barbarei der Deutschen und den minutiös geplanten Holocaust, konzentrieren sich die späteren Folgen auf den Beginn des Kalten Krieges, die Teilung der Welt in Ost/West sowie auf die Dekolonialisierung Afrikas und die Neuordnung der Nationen im Nahen Osten. Oftmals, so eine der wesentlichen Erkenntnisse der unterhaltsamen wie lehrreichen Reihe, wurden hier die Grundlagen für bis heute anhaltende Konflikte geschaffen - man blicke auf die aktuelle Situation in Israel und Palästina. Die Geschichten der späteren israelischen Politikerin Golda Meir (gespielt von Delia Mayer) und des französischen Psychiaters und Schriftstellers Frantz Fanon (Moussa Sylla) illustrieren die Kämpfe um die jüdische Unabhängigkeit respektive um antikoloniale Befreiung in all ihren Widersprüchlichkeiten.
Es sind jedoch keineswegs nur Heldenfiguren, deren Lebensgeschichten die deutsch-österreichisch-tschechische Koproduktion nachgezeichnet. Gleich in den ersten Episoden konzentriert sich die Reihe auf den deutschen Wissenschaftler Wernher von Braun (Max Wagner), der mit seiner Raketenforschung den Flug zum Mond verwirklichen will - und zugleich eng mit den Nazis zusammenarbeitet. Mit riesigen moralischen Widersprüchen konfrontiert sieht sich auch Hedwig Höß (Lara Mandoki), die als Ehefrau des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß in ihrem bürgerlichen Leben direkt neben dem Vernichtungslager eine heile Welt imitiert, während ein paar Meter weiter Menschen industriell ermordet werden.
Derweil hat sich Nikita Chruschtschow (Denis Rodnyansky) dem Kampf gegen die Nazis verschrieben und wird nach Stalins Tod dessen Nachfolger als sowjetischer Staatschef. Einen besonderen Wandel vollzieht die US-amerikanische Kernphysikerin Joan Hinton (Meriel Hinsching), die erst die Entwicklung der Atombombe vorantreibt, um später als überzeugte Kernwaffengegnerin im maoistischen China zu leben.
Wie kann ein Mensch vor dem brutalen Hintergrund von Zerstörung, Vernichtung und Zerfall überhaupt integer bleiben? Diesem hochaktuellen und nur schwer auflösbaren Problem nähert sich „Die Spaltung der Welt“ auf zahlreichen Ebenen. Behutsam tastet sich die Reihe an ihre Figuren heran, zeigt sie in all ihren Zweifeln und Ambivalenzen. Die immer mitschwingende Frage „Wie hätte ich gehandelt?“ macht die große Weltgeschichte auf diese Weise emotional nachvollziehbar. Viel mehr kann man von einem TV-Format wohl kaum erwarten. (tsch)