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Mathe, Chemie, DeutschDiese Youtuber sind die Abitur-Retter in Corona-Zeiten

Lesezeit 5 Minuten
Daniel Jung Youtuber

Ein Star auf Youtube: Daniel Jung gibt Mathe-Nachhilfe.

Köln – Er selbst nennt sich Mathematikübersetzer. Für seine jugendlichen Fans klingt das viel zu nüchtern. In den Kommentaren unter seinen Youtube-Videos feiern sie Daniel Jung wie den Retter und Heiland persönlich: "Danke, du hast mein Abi gerettet oder „Gott segne dich“, steht da. „Bester Mann. Du hast mir ein halbes Jahr Mathe in zehn Minuten erklärt.“

Der Remscheider ist einer der erfolgreichsten Youtuber im deutschen Bildungssektor und so etwas wie der Nachhilfelehrer der Nation: mehr als 250 Millionen Mal wurden seine 2500 selbst produzierten Mathe-Lern-Videos geschaut.

Und das längst nicht erst seit dem Lockdown im Frühjahr. 2,5 Millionen Schüler und Studenten erreicht er pro Monat, die sich kostenlos die Videos anschauen. Seit dem ersten Lockdown ist noch eine Fangruppe hinzukommen: Viele Eltern, die zu Hause zu Lehrern werden mussten. „Die waren dankbar, sich mit meinen Videos wieder den Mathestoff in Erinnerung rufen und dem Nachwuchs erklären zu können.“

Knackig und kompakt

Wer eines seiner selbst produzierten Lernvideos anschaut, ist überrascht, wie unaufwendig die Zukunft des digitalen Lernens daherkommt: Jung steht vor einem Whiteboard und erklärt mit Stift in der Hand klassisch knackig-kompakt jedes erdenkliche Thema der Mathematik. Die Top Drei bei den Klickzahlen: Parabeln, lineare Funktionen und bedingte Wahrscheinlichkeiten. „Das ist irre: So wie der das erklärt, hab ich das jetzt so richtig verstanden“, staunt Tara Keller (12), die sich einen Tag vor der Mathearbeit mit der antiproportionalen Verteilung rumschlägt. Die Videos sind nie länger als etwa fünf Minuten und beschränken sich auf ein eng umrissenes Thema. Jung sagt: „Für viele ist Mathe ein Angstfach. Und viele haben da auch Lücken. Die können sie ganz gezielt in ihrem Tempo schließen und sich das zur Not zehn Mal nacheinander anhören. Bis sie es verstanden haben.“

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Digitale didaktische Konzepte

Für Jung war Mathe nie ein Angstfach. Er liebte es schon in der Grundschule. „Auch das Erklären ist mir in die Wiege gelegt“, erzählt er. Schon als Schüler habe er vor Unterrichtsbeginn die Aufgaben seiner Mitschüler korrigiert und in den Pausen Nachhilfe gegeben. Eigentlich wollte er nach dem Mathestudium auch Lehrer werden. Aber als Jung merkte, dass er seine Begabung, mathematische Inhalte zu erklären, digital viel breiter einsetzen konnte, verwarf er den Plan: „Durch diese Plattform erreiche ich viel mehr Menschen als an einer einzelnen Schule“, sagt er. Außerdem will er mit seinen Erfahrungen zur digitalen Weiterentwicklung der Schulen beitragen – unter anderem mit seinen Podcasts und Seminaren zu digitalen Konzepten, die er auch in Köln anbietet.

Denn: Während sich Angela Merkel und die Ministerpräsidenten darüber streiten, ob angesichts der Pandemielage analoger und digitaler Wechselunterricht mit geteilten Klassen eingeführt werden sollte, ist ein Teil der Schüler längst im hybriden Lernen angekommen. Sie gucken nicht nur Netflix und Zocken, sondern haben ihre digitalen Nachhilfelehrer, die ihnen auf Youtube den Stoff erklären: egal ob in Geschichte, Chemie, Physik oder Deutsch. Sie lassen sich etwa von dem dafür sogar mit dem Grimmepreis dekorierten Dramaturgen Michael Sommer über dessen Youtube-Kanal „Weltliteratur to go“ die Klassiker mit Playmobilfiguren nachspielen: Faust in 9 Minuten, Nathan der Weise in 8 Minuten – humorvoll und lehrreich, „damit es sich ins Großhirn einbrennt“, wie er sagt.

Oder sie nutzen die Möglichkeit, sich von Quarks-Redakteurin Mai Thi Nguyen-Kim auf ihrem Schulkanal „musstewissen“ im Fach Chemie bei Redoxreaktionen und Atombindung auf die Sprünge helfen zu lassen.

Jeder kann sich in dem immer größeren Angebot, seine digitalen Lieblingslehrer aussuchen.

Lehrer weiter unverzichtbar

Die Frage, die Jung umtreibt, ist, wie die Erfahrungen damit genutzt werden können, um – auch nach Corona – einen guten Mix aus digitalem und analogen Unterricht hinzubekommen. „Ein Tablet macht noch keinen digitalen Unterricht. Und hybrid heißt nicht, von 8 bis 14 Uhr vor einem Videostream Frontalunterricht konsumieren.“ Noch wichtiger als Tablets seien ausreichend Angebote für Weiterbildung und didaktische Konzepte. Der Youtuber will mit seiner Arbeit nicht Lehrer überflüssig machen. Im Gegenteil: „Der Lehrer ist – gerade als Bezugsperson – unverzichtbar. Nur in einer veränderten Rolle.“

Bislang investierten Mathelehrer bis zu 80 Prozent ins Erklären von Regeln. Wenn Lehrer gezielt Video-Tutorials einsetzen würden, entstünden neue Spielräume. Flipped Classroom – also umgedrehtes Klassenzimmer heißt das Konzept: Wissen eignen sich die Kinder zuhause an in Online-Tutorials und guten Lernvideos. Dann bleibt in der Schule im Präsenzunterricht Raum zum Vertiefen und zum Diskutieren.

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„Spaß an Mathe entsteht durch das Erkennen von Mustern und Strukturen. Nicht durch Anwenden von Regeln, die dann in der Klassenarbeit abgetestet werden“, sagt Jung. Durch die Freiräume könnte mehr Bezug zum Alltag geschafft werden: „Alles um uns rum ist Mathematik. Warum nicht am Beispiel der Pandemie das exponentielle Wachstum vermitteln? Warum nicht lehren, dass Parabeln nicht nur Prüfungsthema sind, sondern dass sie überall zu finden, etwa im Weltraum. Dann wird Mathe spannend!“

Lehrer als Lernbegleiter

Der Lehrer ist für Jung in Zukunft nicht mehr in erster Linie Wissensvermittler. „Er wird Lernbegleiter, der begeistert, und den Weg vom Lernen zum Verstehen ebnet.“ Wenn er sagen soll, was Schüler in einer digital transformierten Gesellschaft können müssen, nennt er zwei Kernkompetenzen. Erstens: Lernen lernen. „Die Welt wandelt sich so schnell, dass ich die Kompetenz erwerben muss, lebenslang zu lernen und mir Inhalte selbstständig beizubringen – vor allem digital.“ Und zweitens: „Das neue Wissen heißt Verstehen.“ Sich Faktenwissen eintrichtern, um es für die Prüfung auszuspucken und dann zu vergessen – das sei von gestern. Echtes Verstehen, das habe die Hirnforschung erwiesen, entstehe da, wo man gemeinsam in der Gruppe Problemlösungen entwickelt, wo diskutiert wird oder sich Schüler gegenseitig Zusammenhänge erklären. Analog im Klassenraum, aber eben auch digital: Wenn die Hälfte der Klasse, die zuhause ist, über digitale Plattformen in Teams gemeinsam an kniffligen Aufgaben arbeitet.