StreitDie Handtasche als Waffe
Stockholm – Vielleicht war es etwas zu viel an Zivilcourage. Die nach Schweden eingewanderte Polin Danuta Danielsson, deren Mutter im Konzentrationslager war, konnte es nicht ertragen, als am 13. April 1985 Neonazis im südschwedischen Städtchen Växjö einen Aufmarsch durchführten. Die kleine, stämmige Frau wurde so wütend, dass sie einem der Teilnehmer hinterherlief und ihn mit ihrer schweren Handtasche auf Hinterkopf und Schulter schlug.
Ein Fotograf der Zeitung „Dagens Nyheter“ verewigte diesen Augenblick. Das Pressefoto „Tante mit Tasche“ erlangte als Symbol für Zivilcourage in ganz Schweden Bekanntheit und wurde zigfach abgedruckt, selbst in Schulbüchern. In Växjö wollten die Sozialdemokraten der Dame mit Handtasche ein Denkmal setzen. Doch daraus wird nichts.
Die aus Växjö stammende Künstlerin Susanna Arwin wollte die Statue anfertigen. Sie studierte 1985 in New York, als ihre Mutter ihr einen Zeitungsausschnitt mit dem Bild zuschickte. „Auch bei uns im kleinen Växjö passiert so allerhand“, schrieb sie vor 30 Jahren der Tochter aus der schwedischen Provinz in die Weltmetropole. Die Tochter ließ sich inspirieren. Die „schwedische Tante“ ist seither ein Leitmotiv in Arwins Arbeiten. So hatte sie gar eine Armee aus Tanten aus Beton errichtet, die an die antike chinesische Terrakottaarmee erinnern soll.
Doch dann änderten sich in Växjö die politischen Mehrheitsverhältnisse und es entstand bald eine landesweite Debatte um die Statue. Während linksfeministische Befürworter in ganz Schweden an bereits existierende Standbilder Damenhandtaschen hängten, um ihre Solidarität auszudrücken, argumentierten andere, es werde damit zu Gewalt aufgerufen. Und es kamen immer mehr Ungereimtheiten über den zunächst vermeintlich eindeutigen Fall von Zivilcourage heraus.
Selbstmord nur drei Jahre später
So soll Danielsson psychisch krank gewesen sein. Sie ging Selbstgespräche führend durch die Stadt und begann manchmal ohne ersichtlichen Grund, Passanten anzuschreien. Sie selbst soll das Tantenfoto gehasst haben. Sie war erst 38 Jahre alt und ein wenig eitel. Auch wenn sie Nazis aufgrund ihrer Familiengeschichte tatsächlich abgrundtief hasste, wollte sie nicht als alte Tante mit Handtasche in Schwedens Geschichte eingehen, haben Verwandte später betont und sich gegen ein Denkmal ausgesprochen.
Danuta Danielsson selbst konnte das Wort nicht erheben. Drei Jahre, nachdem sie landesweite Bekanntheit erlangt hatte, nahm sie den Fahrstuhl in die oberste Etage des Wasserturms der Stadt und sprang in die Tiefe.
Man dürfe in einer Demokratie mit Worten, aber nicht mit Gewalt – selbst wenn es sich bei der Waffe nur um eine Handtasche handele – gegen andere Meinungen vorgehen, argumentierte letztlich erfolgreich die rechtsliberale Stadtpolitikern Eva Johansson, die seit Jahreswechsel als Vorsitzende im Kulturausschuss der Stadt sitzt.
Eine Statue wird es in ihrer Stadt also nicht geben. Sogar die Sozialdemokraten hat Johansson am Ende auf ihre Seite geholt. Doch mehrere andere schwedische Städte haben nun ihr Interesse am Tanten-Denkmal bekundet. Auch die Künstlerin will ihre Figur nach wie vor aufstellen – dann eben anderswo.