AboAbonnieren

Vom Ex-Freund erschossenNach Mord an Tochter: „Es wird nie wieder alles gut“

Lesezeit 9 Minuten
Die Mutter von Constanze K. blickt auf ein Bild ihrer Tochter.

Die Mutter von Constanze K. blickt auf ein Bild ihrer Tochter.

Constanze K. war 27 Jahre alt, als sie von ihrem Ex-Freund umgebracht wurde. Ein Gespräch mit ihrer Mutter über Trauer und die Frage nach dem Warum.

An jedem dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder ehemaligen Partner getötet. Am 26. April 2019 wurde Constanze K. von ihrem Ex-Freund umgebracht. Er lauerte ihr vor ihrer Wohnung in Neuss auf. Sie floh in einen Blumenladen, wo er sie erschoss. Constanzes Mutter sagt, der Täter werde trotz Höchststrafe wieder freikommen, sie und ihr Mann hätten „lebenslang“. Frau K. möchte anonym bleiben.

Frau K., vor fünf Jahren wurde Ihre Tochter Constanze von ihrem Ex-Freund erschossen. Wie haben Sie und Ihr Mann ins Leben zurückgefunden?

Frau K.: Wir haben anfangs nur funktioniert. Die Beerdigung, die Auflösung von Constanzes Wohnung. Wenn ich junge Frauen mit langen blonden Haaren sah, durchfuhr es mich: Da ist Constanze! Für meinen Mann und mich war klar: Wir werden den Prozess vom ersten bis zum letzten Tag verfolgen. Ich habe alle Vernehmungsprotokolle gelesen und bin in den Blumenladen in Neuss gegangen, wo er sie getötet hat. Ich habe mich auf die Treppenstufe gesetzt, auf der sie saß, als sie noch den Notruf absetzte. Sie konnte nicht weiter fliehen, der Durchgang war versperrt. Ich hatte den Moment ihrer Ermordung so verinnerlicht, dass ich in meinen Albträumen ein erstarrter Engel war, der über der Szene schwebte, ihr aber nicht helfen konnte. Wir haben uns bald einen Hund angeschafft. Wir brauchten ein Lebewesen im Haus.

Wie hat der Täter auf Sie während des Prozesses reagiert?

Ich habe ihm immer direkt in die Augen gesehen. Er hat immer weggesehen. Er hat unentwegt mitgeschrieben und den Richter zurechtweisen wollen. Er war mal bei „Deutschland sucht den Superstar“, vielleicht wollte er sich profilieren, das Medieninteresse war groß. Er hatte sich nach dem Mord auf die Bahngleise gelegt und überlebt, aber danach keine Beine mehr. In den Gerichtssaal ließ er sich mit einer Decke über dem Kopf im Rollstuhl reinfahren. Nur seine Stümpfe schauten darunter hervor, das sollte wohl zeigen, ihm gehe es auch schlecht. Als gruselig beschrieben das viele damals. Andere nannten es feige.

Wie ergeht es Ihnen, seitdem Sie das Nötigste geregelt hatten?

Die schlimmen Tage im Jahr sind Constanzes Todestag, ihr Geburtstag, Weihnachten. Letztes Jahr im Dezember kam dann noch ein GAU dazu.

Was war passiert?

Wir erhielten die Nachricht, dass Constanzes Apple MacBook in den Asservaten nicht mehr zu finden ist. Wir hatten es ihr damals zu Ostern geschenkt. Kurz vor dem Mord. Wir hatten gehofft, dass darauf noch etwas Persönliches zu finden ist. Es blieb zur Untersuchung bei den Behörden. Jetzt ist es weg.

Was heißt das, das Gerät ist weg?

Es sollte entschlüsselt werden, aber die Sicherheitsstandards von Apple sind hoch. Wir wurden vertröstet, es sei irgendwo unterwegs zwischen Bundeskriminalamt, Labor, Kriminaltechnik, Staatsanwaltschaft. Und dann die endgültige Nachricht, dass es nicht mehr da ist. Einen Tag später bekamen wir die Information, dass Constanzes Mörder am 13. Dezember „ausgeführt wird in sein Elternhaus“. Zum zweiten Mal in dem Jahr. Er darf wenige Jahre nach der Tat bei seinen Eltern Kaffee trinken. Wir werden Constanze nie wiedersehen.

Wie geht es Ihnen heute?

Meine Trauer kommt in Wellen. Mal sind sie so hoch, dass die mich verschlucken, mal sind sie weicher, dann kann ich bis zum Horizont schauen. Jeder trauert auf seine Weise. Mein Mann macht sich Vorwürfe, dass er Constanze als Vater nicht beschützen konnte. Und ich mache mir Vorwürfe, dass ich als Mutter einen Mord an ihr nicht für möglich gehalten habe.

Was hilft Ihnen, bis zum Horizont zu schauen?

Wenn ihr Todestag vorbei ist, haben wir bis zu ihrem Geburtstag eine etwas ruhigere Zeit. Aber dann ist schnell wieder Weihnachten. Ein paar Wochen, bevor das passiert ist, war Constanze Patentante geworden von einem Jungen, der wie sie am 4. Oktober Geburtstag hat. Sie war so stolz. Wir dürfen ihn und Kinder anderer Freundinnen von Constanze auf ihren weiteren Lebenswegen begleiten. Das gibt uns Kraft und Stärke zum Weiterleben.

Wann schlagen die Wellen über Ihnen zusammen?

Wenn ich Constanzes Taufspruch Psalm 91 höre: „Denn Gott hat seinen Engeln befohlen, dich zu beschützen auf all deinen Wegen.“

Wie war Constanze?

Das Wertvollste und Liebevollste, was wir in unserem Leben erfahren durften. Unser Glück. Unsere Zukunft. Sie war lebenslustig, sportlich, hat ein Studium zur Sozialarbeiterin gemacht und für die Arche gearbeitet …

… ein christliches Kinder- und Jugendwerk der Evangelischen Kirche ...

… am 1. Juni 2019 sollte sie mit 27 Jahren die Leitung in Düsseldorf übernehmen. Sie hatte sich riesig gefreut. Die Kinder liebten sie. Wir hatten eine sehr enge Verbindung zueinander. Ich konnte es nicht gut haben, wenn sie nachts mit dem Fahrrad allein nach Hause fuhr. Ich habe sie lieber morgens um fünf Uhr nach einer Party abgeholt. Jogginghose an und los. Es hätte ihr sonst vielleicht etwas passieren können.

Wann hat Constanze gemerkt, dass dieser Mann ihr gefährlich wird?

2017 ist sie mit ihm zusammengekommen, im Januar 2018 zu ihm nach Meerbusch gezogen und schon im Oktober 2018 wieder ausgezogen. Er hat sie danach mit WhatsApp-Nachrichten bombardiert, manchmal 60 und mehr am Tag. Am 1. Januar 2019 wollte sie die Festplatte ihres Computers holen, die sie bei ihrem überstürzten Auszug zurücklassen musste. Er hat versucht, sie zu vergewaltigen. Er verletzte sie mit einem Messer an der Hand, würgte sie am Hals und schlug ihr ins Gesicht, sie lief zu einer Nachbarin, die einen Rettungswagen rief, die Polizei nahm den Vorfall auf. Er hat ihr später weiter nachgestellt und sie belästigt. Sie hat sich an den Weißen Ring gewandt und einen Selbstverteidigungskurs gemacht. Das Kontaktverbot kam aber erst am 3. April.

Warum erst dann?

Er hatte Constanze Ende März aufgelauert und sie in ihrem Auto bedrängt. Er hatte die Festplatte dabei. Sie war sein letztes Druckmittel. Er hatte sie aber gelöscht. Constanze konnte ihn aus dem Wagen scheuchen. Danach rief sie uns weinend an. Wir schalteten unseren Anwalt ein. Innerhalb von zwei Tagen erließ das Amtsgericht Neuss ein Annährungsverbot. Danach war Ruhe. Es war aber die Ruhe vor dem Sturm.

Das Amtsgericht hat später erklärt, eine elektronische Fußfessel zur Überprüfung des Kontaktverbots sei nicht angezeigt gewesen, weil Constanze nicht gesagt habe, dass sie um ihr Leben fürchte.

Das klingt in meinen Ohren zynisch. Man muss also ahnen, dass man umgebracht werden soll, sonst wird die Sache nicht so ernst genommen. Der Vergewaltigungsversuch reichte nicht aus, um ihren Schutz zu erhöhen.

Welche Erinnerung haben Sie an den 26. April 2019?

Es war ein Freitag. Ich kam kurz nach 13 Uhr von einer Beerdigung nach Hause. Um 16:15 Uhr klingelte es. Zwei junge Frauen von der Kripo standen vor der Tür. Constanze sei in Neuss verstorben, sagten sie. Ich habe nur geschrien. Ich hatte doch am Vorabend noch mit ihr telefoniert. Es kamen noch zwei Notfallseelsorgerinnen. Wir wollten sofort nach Neuss fahren, aber die Kripo riet uns davon ab. Wir könnten nichts weiter tun, hieß es.

Das Gericht verurteilte den damals 32-Jährigen wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Damit kommt er nicht schon nach 15 Jahren aus dem Gefängnis. Verschafft Ihnen das Genugtuung?

Es gibt keine höhere Strafe in Deutschland. Er kann damit aber trotzdem nach 15 Jahren einen Antrag auf Entlassung stellen. Er wird wohl rauskommen, wenn er etwa um die 50 Jahre alt ist, kann heiraten, Kinder bekommen.

Es ist das Ziel des Staates, dass Mörder nach Absitzen ihrer Strafe resozialisiert werden. Sie sollen ja für die Gesellschaft keine Gefahr mehr sein.

Genau, der Täter hat nicht lebenslang. Wir haben lebenslang.

Haben sich seine Eltern bei Ihnen gemeldet? Sie kannten sich ja.

Nein. Nachdem er Constanze im Auto bedrängt hatte, habe ich den Vater angerufen und ihm gesagt, dass sein Sohn unsere Tochter in Ruhe lassen soll. Er wollte mit ihm sprechen. Sein Sohn werde ihr schon nichts tun, sagte er. Drei Wochen später war sie tot. Nein, sie haben sich bei uns nicht gemeldet.

Was machen Sie an diesem 26. April 2024?

Wir haben ein kleines Ritual. Wir fahren nach Neuss in den Blumenladen. Dort lassen wir ein schönes großes Herz stecken, bringen es auf den angrenzenden Friedhof und zünden Kerzen an. Wir sind Constanze dort an ihrem Todestag so nah. Als ob ihre Seele in dem Laden schwebte. Der Inhaber, seine Frau und die Angestellte tun mir leid. Sie müssen jeden Tag an der Ecke vorbei, in der es für Constanze kein Entrinnen mehr gab. Wäre sie auf den Friedhof gelaufen, hätte er sie nicht bekommen, sie war viel sportlicher als er. Aber gegen die Pistole hatte sie keine Chance.

Gibt es etwas, das sie in Constanzes Sinne weiterführen?

Mein Mann und ich sind nicht auf Facebook, aber Constanze hatte auf ihrer Seite diesen Spruch: „Manchmal sollst du einfach aufhören, an dir zu zweifeln und ständig zu zögern, sondern einfach vertrauen, dass alles gut wird. Vielleicht nicht so, wie du es geplant hast, aber so, wie es einfach richtig ist.“ Sie war in ihrem Glauben so gefestigt.

Können Sie Constanzes Spruch auch für sich annehmen?

Vielleicht hat sie das geschrieben, falls irgendetwas passieren sollte. Dass für sie dann alles gut wird.

Aber haben Sie das Vertrauen, dass alles gut wird, und es einfach richtig ist, wie es ist?

Es ist nicht richtig, wie es ist. Und es wird nie wieder alles gut.

Können Sie trotzdem innerlich so etwas wie Frieden finden?

Frieden nicht. Dafür fehlt sie uns zu sehr. Es tröstet uns, dass sie nicht vergessen wird. Constanze wollte am 28. April 2019 am Marathon-Lauf in Düsseldorf teilnehmen. Ihre Freundinnen haben ihre Startnummer mitgenommen und auf dem Rhein schwimmen lassen. Constanze wollte immer ins Disneyland nach Paris. Ihre Freundinnen sind später hingefahren und haben uns ein Foto geschickt, wie sie alle vor dem Eiffelturm stehen - mit einem Bild von Constanze. Sie schrieben darunter: Constanze ist bei uns. Es bleibt aber das Warum. Warum musste sie ausgerechnet diesen Mann kennenlernen? Auf diese Frage werden wir leider nie eine Antwort bekommen.