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Wenn das Publikum fehlt: Applaus aus der Konserve

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Berlin – Wenn es dieser Tage im Fernsehen klatscht, ist es zwar oft Beifall - doch der Applaus kommt meist aus der Konserve. Weil die Corona-Auflagen Studiopublikum verbieten, müssen die paar Anwesenden selbst die Hände schwingen. Oder aber der Applaus wird eingespielt.

Bei der RTL-Tanzshow „Let's Dance” etwa wurden so sogar Hebefiguren während eines Tanzes bejubelt. ProSieben ließ Heidi Klums „Topmodels” digital beklatschen. Und für die Geisterspiele der Fußball-Bundesliga bietet Sky sogar verschiedene „Sound-Optionen”: neben dem Original eine alternative Tonspur mit eingespielter Stadionatmosphäre.

„So wird suggeriert, dass Live-Publikum da ist. Das sind aber alles schlechte Kompromisse”, sagt Musikwissenschaftlerin Jutta Toelle von der Gustav-Mahler-Privatuniversität für Musik in Klagenfurt am Wörthersee. Entweder stutze der Zuschauer, weil er weiß, dass im Saal eigentlich nicht groß jemand applaudieren kann. Oder die Sender verzichten auf die Publikumsreaktionen - dann aber fehle etwas.

So kommen viele Talkshows inzwischen ohne Lacher und Zwischenapplaus aus. Beim Eurovision-Song-Contest-Ersatz im Ersten fiel auf, dass nach den Beiträgen kein euphorischer Applaus aufbrandete. Stattdessen verharrten Künstler sekundenlang in Stille in ihrer Schlusspose.

Die großen deutschen TV-Sender geben unisono an, dass von Format zu Format entschieden werde, ob Alibi-Applaus eingespielt wird.

Manche thematisieren das auch ganz direkt, etwa in der ZDF-Show zu Thomas Gottschalks 70. Geburtstag. Komikerin Carolin Kebekus wiederum sagte zur Premiere ihrer neuen Sendung im Ersten: „Wenn ich hier stehe und rede, ist es einfach scheiße, wenn es keine Reaktion gibt.” Ein Beitrag zeigte zwei Ton-Macher, wie sie mit allerhand Equipment versuchen, Applaus zu imitieren. Und die „heute-show” blendet Applaus-Szenen unterschiedlichster Sendungen und Veranstaltungen ein wie „Musik ist Trumpf” von anno dazumal, einen klatschenden Seelöwen aus einem „Wunschkonzert der Volksmusik” oder einen Zwischenapplaus aus einem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.

Wie wichtig Applaus den Menschen ist, wurde nicht zuletzt in der Corona-Krise deutlich. Quasi in aller Welt bekundeten Menschen von ihren Balkonen aus den Helfern Beifall. Ärzte und Krankenschwestern klatschten gewissermaßen zurück. Und selbst die CSU spielte in den ersten Minuten ihres ersten digitalen Parteitags jenen Applaus ein, mit dem einst Markus Söders Wahl zum Vorsitzenden gefeiert wurde.

„Applaus ist eine starke soziale Norm, die wir fast tagtäglich reproduzieren”, sagt Professorin Toelle. Es gehe in der Regel um Performance-Situationen, in denen Zuschauern Darbietenden Respekt für eine Aufführung zollen, die sie selbst meist nicht hätten leisten können. Dieses Ritual sei in der europäischen Kultur verwurzelt, so Toelle. Schon in der griechischen Mythologie sei den Musen Beifall gespendet worden. „Es hat mit der Kolonialisierung und Globalisierung zu tun, dass inzwischen überall auf der Welt geklatscht wird.”

Zudem funktioniere Applaus als eine Art Gleichmacher, weil alle mitklatschen, so Toelle. Eine Studie aus Deutschland, Großbritannien und Schweden hatte vor einigen Jahren gemessen, dass sich Applaus - Achtung, Corona-Metapher - wie ein Virus ausbreitet. Demnach dauerte es im Schnitt 2,93 Sekunden, bis nach dem ersten Klatscher auch der letzte im Publikum angesteckt war und applaudierte.

Dass nun die Sender die coronabedingt publikumslosen Produktionen tontechnisch untermalen, erklärt Toelle mit einem Gewöhnungseffekt: „Wir wollen die Sendung so schauen, wie sie immer war.” Der eingespielte Applaus weise dann zum Beispiel auf einen guten Gag hin, zeige aber auch, wann die Show vorbei ist. „Und die Sendung wird unterteilt. Man weiß dann: Jetzt kommt wieder der Moderator.”

Medienwissenschaftler Herbert Schwaab von der Universität Regensburg vergleicht den eingespielten Beifall mit den Lachern der US-Sitcoms aus den 80er/90er Jahren wie „Eine schrecklich nette Familie”. Die Reaktionen des Publikums wurden bei der deutschen Synchronisation durch Lachen vom Band ersetzt. „Das ist eine schwache Erinnerung an den Live-Charakter.” Manchmal habe er auch den Eindruck, es werde zu wenig bedacht, in welchem Moment welche Reaktion passend wäre.

Doch auch wenn es ab und zu merkwürdig wirkt, aus einem leeren Studio aufbrausendes Klatschen zu hören, kann Schwaab dem in gewisser Weise etwas Positives abgewinnen: „Man wird daran erinnert, dass etwas fehlt. Und man macht sich bewusst, welche Rolle das Publikum spielt.” (dpa)