Die Fußball-WM in Katar beginnt und damit legt sich ein noch stärkerer Schatten über das Interesse an allen anderen Sportarten. Im Interview spricht die Kölner Präsidentin des Deutschen Tischtennis-Bundes über den Frust der Sportarten der zweiten Reihe, Timo Bolls Chancen auf Olympia 2024 und eine wachsende Freizeit-Szene.
Tischtennis-Präsidentin„Timo Boll hat geschrieben – Günter Wallraffs Schläger ist kaputt“
- Claudia Herweg ist Kölnerin und seit Anfang des Jahres Präsidentin des Deutschen Tischtennis-Bundes. Als Sportlerin hat sie einst in der zweiten Frauen-Bundesliga Tischtennis gespielt
- Sie hat eine Karriere in der Tischtennis-Industrie hinter sich und lange Jahre den größten europäischen Hersteller von Tischtennis-Belägen geführt, die Firma ESN
- Nach einer Phase beim Weltverband ITTF, wechselte sie an die Spitze des deutschen Verbands. Sie wurde 1966 in Köln-Porz geboren und lebt in der Kölner Innenstadt
Das Gespräch ist eine stark gekürzte und redaktionell bearbeite Version eines Podcast-Interviews, das sie hier in voller Länge hören können:
Frau Herweg, im Tischtennis gab es zuletzt eine Erfolgsmeldung: Bei den Mannschaftsweltmeisterschaften hat die deutsche Nationalmannschaft der Herren die Silbermedaille gewonnen, die Frauen die Bronzemedaille. Wie sehr freut Sie das?
Claudia Herweg: Ja, die Ergebnisse haben ganz Tischtennis-Deutschland sehr gefreut.
In der Antwort steckt aber ein bisschen das Problem des Sports. „Tischtennis-Deutschland hat sich gefreut.“ Wieso kriegen nicht mehr Leute solche Erfolge mit?
Das ist mein Auftrag, darauf Antworten zu finden. Tischtennis ist weltweit unter den Top-5-Sportarten und in Deutschland unter den Top 10 der olympischen Sportarten. Wir haben aber ein Transparenzproblem.
Bei der Basketball-Europameisterschaft ist RTL nach deutschen Erfolgen in der Vorrunde in die Liveberichterstattung eingestiegen. Sowas gab es bei der Tischtennis-WM nicht. Macht das ein bisschen neidisch?
Ich freue mich für andere Sportarten, wenn man dem Fußball ein bisschen den Rang ablaufen kann – so sehr ich auch Fußballfan bin. Wir andere Sportarten haben es verdient, deutlich mehr mediale Akzeptanz zu bekommen. Im Tischtennis haben wir es in diesem Jahr nur bei den Europameisterschaften in München geschafft, auch sportfremde Zuschauer in die Halle zu bekommen. Und dass eigentlich, obwohl Tischtennis im Freizeitsport ein sehr großer Markt ist. Vom Basketball können wir lernen und werden wir lernen.
Bei der Basketball-EM war Dirk Nowitzki sehr präsent. Sein Trikot wurde in Köln in einer Zeremonie unter das Hallendach gezogen. Ihr Superstar ist seit mehr als 20 Jahren Nationalspieler Timo Boll. Wie setzen Sie ihn ein als Zugpferd für den Sport?
Im Moment noch zu wenig.
Einen Ansatz gibt es ja, der ihnen in den Schoß gefallen ist. Olli Schulz, aus dem Podcast „Fest und Flauschig“ an der Seite von Jan Böhmermann, hat Timo Boll zum Duell herausgefordert …
… und unser Europamiester Dang Qiu war zuletzt in einer ProSieben-Show.
Also, Tischtennis braucht Events. Was haben Sie für Ideen?
Es gibt das neue Konzept World Table Tennis des internationalen Tischtennisverbands, eine neue und professionelle Turnierserie mit ganz neuer Präsentation des Sports: schwarzer Boden, schwarzer Tisch, deutlich mehr Kamera- und Zeitlupentechnik. Der nächste Schritt wird sein, dass man die Rotation des Balls messen und die Platzierung des Balls aufzeigen kann. Das macht das Spiel transparenter, verständlicher. Denn für Tischtennisspieler ist die Rotation des Balls das Salz in der Suppe.
In Deutschland hat schon einige Jahre kein größeres Turnier mehr stattgefunden.
Das ändert sich glücklicherweise. Wir holen eines der neuen World Table Tennis Champions Events im Oktober 2023 nach Frankfurt. Dort spielen die Top 32 der Welt – Frauen und Männer. Das wird ein wirklich cooles Event.
Fußballer Thomas Müller, Sänger Justin Bieber, Schauspielerin Susan Sarandon, die zaubernden Ehrlich Brothers und hier in Köln Minister Karl Lauterbach und Journalist Günter Wallraff: Was haben die alle gemeinsam?
Sie finden alle, dass Tischtennis eine unglaublich geile Sportart ist. Letztens habe ich übrigens eine Nachricht von Timo Boll bekommen, dass Günter Wallraffs Schläger kaputt sei – und ob ich helfen könne, das alte Holz flicken zu lassen oder eines zu bekommen, das ähnlich alt ist. Da sind wir noch dran (lacht).*
In den vergangenen 20 Jahren hat Ihre Sportart fast 200.000 Mitglieder verloren, es sind jetzt noch etwa 500.000 Vereinsmitglieder in Deutschland. Das sind ja fast Dimensionen wie in der katholischen Kirche, was den Mitgliederschwund angeht.
Der Trend ist in eigentlich allen Sportarten so. Das ist kein Tischtennisphänomen, sondern ein gesellschaftliches Problem. Wir müssen Angebote machen, die besser zur Lebenssituation der Menschen passen. Wer am Sonntag einfach mit Freunden zwei, drei Stunden ein Turnierchen spielen möchte, soll sich auf einer digitalen Plattform anmelden können. Da arbeiten wir dran.
In Köln ist der Nukleus einer neuen Tischtennis-Szene entstanden. Es gibt einige hundert aktive Spielerinnen und Spieler, die sich an die Steinplatten, Betonplatten in den Parks treffen. Schaffen Sie es als Verband, den Kontakt zu denen herzustellen?
Das ist unser wichtigster Zielmarkt und Kernmarkt der nächsten Jahre. Wir haben fünf bis zehn Millionen Freizeitspieler und für diese werden wir eine deutschlandweite Turnierlandschaft entwickeln. Der Wettkampfbereich ist natürlich extrem wichtig. Aber er ist eben nicht der einzige für uns. Wir müssen uns öffnen und neu denken.
Die Szene hat bereits Turniere veranstaltet von beachtlicher Größe.
Das sind super engagierte Leute und ich mag das lockere Ambiente. Vater und Sohn spielen gemeinsam, und auch die Besucher haben Spaß.
Es gibt kaum eine Sportart, die einen so niedrigen Frauenanteil hat wie Tischtennis. Warum ist das so?
Es sind wohl vor allem gesellschaftliche Entwicklungen – was junge Mädchen gerne machen und womit sie ihre Zeit verbringen wollen, das hat sich verändert.
Schauen wir auf die Zukunft im Profisport. Nationalspieler Timo Boll ist 41 Jahre alt und spielt immer noch auf Weltniveau. Er will sich für die Olympischen Spiele 2024 in Paris qualifizieren. Glauben Sie, er schafft das?
Ich glaube fest an Timo. Im Weltcup-Finale ist er zuletzt unter die besten Acht gekommen. Wenn er fit ist, ist er weiterhin gefährlich für jeden Spieler weltweit.
Sie haben nicht die Sorge, ihm irgendwann sagen müssen, Timo, es ist jetzt doch vielleicht vorbei …
… ich glaube, er ist der Erste, der sagt, wenn es nicht mehr geht. Jetzt freue ich mich erstmal, dass er in Frankfurt im nächsten Jahr ein internationales Heimturnier bekommt.
*Auf Nachfrage berichtet Günter Wallraff, sein Schläger sei nur extrem abgewetzt und nicht komplett kaputt. Aber ihn habe einmal ein Alptraum geplagt, dass der Schläger in tausend Stücke zerbrochen sei – und das sei sehr hart gewesen.