Vor 100 Jahren wurde Horst Muys geboren. „True Crime Köln“ erinnert an das „Enfant terrible“ des Karnevals, der sich immer wieder mal mit der Polizei prügelte.
Vom Klingelpütz in die KarnevalsbüttTrotz vieler Eskapaden blieb Horst Muys „der leeve Jung“
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Horst Muys am Kontrabass im Eilemann-Trio in den 50er Jahren
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Ob er denn nicht freundlicherweise unter dem Auto hervorkriechen wolle? Die zwei Polizisten auf der Friesenstraße hatten eine wirklich unangenehme Aufgabe zu erledigen. Sie sollten einen Haftbefehl gegen den Karnevalisten Horst Muys vollstrecken, während sich der Büttenredner an einem ungewöhnlichen Platz seiner Verhaftung zu entziehen versuchte. Ein Wirt aus einem Lokal an der Friesenstraße brachte in regelmäßigen Abständen Kölsch und Korn zum Flüchtigen.
Anderthalb Stunden lang habe Muys unter dem Auto gelegen und getrunken, erinnerte sich sein Fahrer Horst Siegers später. Dann sei den Polizisten die rettende Idee eingefallen, den Wagen abschleppen zu lassen. Völlig betrunken sei Muys dann festgenommen und ins Stadtgefängnis Klingelpütz gebracht worden. „Dann wor der Kolleg för en Woch weg.“
Es ist eine der vielen Geschichten, die sich um das kurze Leben von Horst Muys ranken, der vor 100 Jahren geboren wurde. Nicht alles wird stimmen, vieles ließ sich über die Jahre prächtig ausschmücken. Weil Muys schon mit 45 Jahren an den Folgen seines ungesunden Lebenswandels starb, konnte seine Karriere und sein Leben nie richtig biografisch aufgearbeitet werden. „True Crime Köln“, die Podcast-Reihe des Kölner Stadt-Anzeiger, widmet sich in der aktuellen Folge dem Schaffen des „Enfant terrible“ des Kölner Karnevals und seinem Verhältnis zu Recht, Gesetz und nicht zuletzt den Gesetzeshütern. Die nannte Muys gerne „grüne Funken“, mit denen er ab und zu einen Disput handgreiflich auszufechten versuchte.
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Seine Eskapaden und Gefängnisaufenthalte baute er imagefördernd in seine Büttenreden ein, was ihm damals keiner übelnahm. Das Auftrittsverbot, das vom Festkomitee Kölner Karneval zeitweise verhängt wurde, hatte nichts mit seinen Gesetzesverstößen, sondern mit seinen Witzen zu tun. „Selbst abgebrühten Konsumenten von Herrenwitzen stockte der Atem, wenn Muys richtig loslegte“, schrieb der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in einem Nachruf nach seinem Tod im Juli 1970.
Klingelpütz durcheinander gebracht
Ein Schwerverbrecher war Horst Muys sicher nicht, auch wenn er gerne mit der Bekanntschaft zu einigen schweren Jungs aus dem Kölner Rotlichtmilieu kokettierte. Bei den meisten Gerichtsprozessen ging es um sogenannte „Vergehen“. Das waren Delikte, die im schlimmsten Fall mit einer kurzen Gefängnisstrafe geahndet werden: Trunkenheit am Steuer, Fahren ohne Führerschein, nicht gezahlter Unterhalt, Prügeleien oder Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Sein Fahrer berichtet von einer Haftstrafe im Stadtgefängnis, das sich damals noch mitten in der Stadt zwischen Hansaring und Eintrachtstraße befand. Der Leiter des Klingelpütz‘ habe um eine vorzeitige Haftentlassung des Gefangenen gebeten, weil der die Ordnung im Gefängnis völlig durcheinandergebracht habe.
Das, was Horst Siegers über Muys erzählt, hat höchsten Unterhaltungswert und ist nicht selten lustiger als mancher Witz des Büttenstars. Humor verändert sich genau wie der Umgang mit gesellschaftlichen Minderheiten, die bei Muys für manch fragwürdige Pointe herhalten mussten. Doch das, was Siegers zu berichten hatte, sind unglaubliche, schräge und bis heute sehr lustige Erzählungen über ein Original. „True Crime Köln“ präsentiert Auszüge aus einem Interview, das Muys‘ Begleiter dem Kölner Journalisten Herbert Hoven im Jahr 2008 gegeben hat.
Hoven hat sich intensiv mit Muys beschäftigt. Solche Typen würden heute auf den Karnevalsbühnen fehlen, sagt er im Gespräch mit Helmut Frangenberg. Wenn er jemanden benennen sollte, der dem Meister von einst noch am nächsten komme, würde er den Blötschkopp Marc Metzger nennen. Es ist die direkte Verbindung zum Publikum im Saal, die beide auszeichnet. Grenzen dürften überschritten werden, ohne dabei zu einem krakeelenden Rüpel zu werden. Das beherrscht Muys perfekt: Der Mann konnte galant, charmant und höflich den versautesten Witz erzählen. Er hat sein Publikum nie beschimpft. Er blieb stets „Der leeve Jung“.
Glasauge im Dekolleté
Dass der Fahrer des Blötschkopps irgendwann einmal Geschichten, wie die von Horst Siegers erzählen kann, ist unwahrscheinlich. Da dürften die beiden weniger gemeinsam haben. Siegers lernte Muys kennen, nachdem dieser Männer auf dem Barbarossaplatz verletzt hatte. Er war betrunken gegen eine Leiter gefahren, auf der die Arbeiter standen, die eine Oberleitung der KVB reparieren wollten. Als ihn die Polizei anhielt, sei die Lage weiter eskaliert, so Siegers. Ohne Führerschein und bandagiert habe Muys danach dringend einen Fahrer gebraucht, der nicht nur das Chauffieren übernahm. Siegers war von da an für alles mögliche zuständig. So hatte er sich zum Beispiel auch um Glasaugen zu kümmern.
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Single Cover mit Lotti Krekel aus dem Jahr 1969: Ne Besuch im Zoo
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Horst Muys hatte bei Dreharbeiten für einen Edgar-Wallace-Krimi bei einem Unfall ein Auge verloren. Die Glasaugen, die er danach trug, wurden nicht selten zweckentfremdet. Muys schmiss sie gerne in Biergläser und Dekolletés. Überliefert ist die spektakuläre Geschichte, wie er mit seinem herausgenommenen Glasauge das amerikanische Sexsymbol Jayne Mansfield beeindruckte und dann mit ihr in einer Bar im Friesenviertel zum Schnapstrinken versackte. Die Schauspielerin hatte zuvor eine Show in den Sartory-Sälen gespielt. Siegers erinnert sich, wie er immer wieder nach dem Auge von Muys suchen musste. Irgendwann sei er das leid gewesen und habe bei einem Glasbläser in Niehl zwanzig Exemplare bestellt. „Von da an hatte ich immer ein Glasauge in Reserve.“
Tiefer Blick in verletzte kölsche Seele
In Erinnerung ist Muys auch als toller Sänger geblieben. Nach ersten Erfahrungen auf Karnevalsbühnen als Kontrabassist im Eilemann Trio in den 50er Jahren machte er als Solist weiter. Unzählige Lieder hat er auf besondere Weise interpretiert, eine gemeinsame Schallplatte mit Lotti Krekel wurde zum großen Verkaufserfolg. Seine Version vom „Kölsche Jung“ gilt bis heute als die beste Interpretation des Klassikers. Muys singt mit dem Wissen um den Unfalltod seines kleinen Sohnes und lässt seine Zuhörerinnen und Hörer dabei tief in seine verletzte kölsche Seele schauen.
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Als der Schauspieler und Witze-Erzähler starb, zog ein Trauerzug mit rund 7000 Menschen über den Melaten-Friedhof. Karnevalisten, Unter- und Halbweltgrößen sowie Prostituierte defilierten am Grab vorbei. Der letzte Akt passte zum Leben des umstrittenen Stars: Trauergäste verprügelten Friedhofsgärtner, weil diese zu früh das Grab zuschaufeln wollten.
Die neue Folge von „True Crime Köln“ – pünktlich zum Höhepunkt der diesjährigen Fastelovends-Session und anlässlich des 100. Geburtstags des Karnevalisten – kann man überall hören, wo es Podcasts gibt, und über die Homepage des „Kölner Stadt-Anzeiger“.