Viele Positionen von Viktor Orbán, derzeit Ratspräsident der EU, weichen deutlich von der Brüsseler Linie ab. Wie passt das zusammen? Peter Györkös gibt Antworten.
Ärger um Orbáns Europa-Kurs„Warum verlässt Ungarn nicht die EU, Herr Botschafter?“
Herr Györkös, Sie haben an einem Empfang in der Düsseldorfer Staatskanzlei teilgenommen. Ist das Verhältnis zwischen Ungarn und NRW ungetrübt?
Péter Györkös: Nein, überhaupt nicht. Wir wissen, wo die Konfliktpunkte liegen, aber was ich hier in NRW sehr schätze: Man ist bereit, über diese Trübthemen mit uns zu sprechen. Wir haben eine gemischte Regierungskommission, wichtige gemeinsame Projekte im Bereich Gesundheitswesen, Zusammenarbeit zwischen Unikliniken, Städtepartnerschaften, und auch die wirtschaftlichen Bindungen sind ganz stark. Wir schätzen es, wenn man mit uns und nicht über uns redet. Deswegen ist für mich dieser Dialog sehr wichtig.
Anlass Ihres Besuchs war ja die Ratspräsidentschaft Ungarns, die unter dem Slogan „Make Europe great again“ steht und offenbar durch Ex-US-Präsident Donald Trump inspiriert ist. Warum setzt Ungarn auf diese Provokation?
2011 hatten wir schon eine Ratspräsidentschaft unter dem Motto „Strong Europe“. In den letzten 10 bis 15 Jahren wurde die EU weniger reich, dafür schwächer im internationalen Vergleich – das wird durch den Draghi-Bericht bestätigt. Seit mindestens einem Jahrzehnt verliert Europa im globalen Wettbewerb konsequent und permanent an Gewicht. Ungarn möchte, dass dieser Trend gestoppt und umgekehrt wird. Wir brauchen Wettbewerbsfähigkeit und eine stärkere Verteidigungsfähigkeit. Wenn es Provokationen braucht, um berechtigte Diskussionen anzustoßen, dann nehmen wir diese Rolle an.
Ein Thema ist ja auch die Migrationspolitik. Ministerpräsident Viktor Orbán schlägt vor, Asylverfahren außerhalb der EU abzuhalten. Wie kann das funktionieren?
Unsere Position ist seit 2015 konsequent. Wenn wir nicht stoppen, was auf uns zukommt, wird Europa untergehen. Heute sehen wir schon, dass die zwei größten Errungenschaften der europäischen Integration wegen der Unfähigkeit, illegale Migration zu stoppen, in Gefahr sind: Schengen und der Binnenmarkt. Wir begrüßen, dass auch in Deutschland über Grenzkontrollen geredet wird, aber dabei geht es um die Kontrolle der falschen Grenzen. Man sollte nicht die Binnengrenzen kontrollieren, sondern die Außengrenzen.
Sie wollen also eine Festung Europa?
Ja, ganz genau. Anders geht es nicht. Das hört sich nicht schön an, aber alle anderen haben es geschafft: Japan, Australien, China. Nur Europa nicht. Damit wir die Situation unter Kontrolle kriegen, haben wir ein einziges Mittel: einen effektiven Schutz der Außengrenzen. Wir müssen für Menschen in Not vor Ort Hilfe leisten, denn ihre Probleme können wir nicht auf europäischem Boden lösen.
Trump will ja eine Mauer an der mexikanischen Grenze bauen. Ist es nicht eine Utopie anzunehmen, man könne ganz Europa mit einem eisernen Vorhang abschotten?
Nur weil es viele Vertreter der europäischen Linken nicht hören wollen, ist der Vorschlag ja nicht falsch. Der Eiserne Vorhang an den Grenzen des Warschauer Pakts war gegen das eigene Volk gerichtet. Der Aufbau von Grenzanlagen an der EU-Grenze soll das eigene Volk schützen. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Ungarn macht den Gasboykott gegen Russland nicht mit. Fühlt sich Ungarn dem Putin-Regime enger verbunden als der EU?
Ungarn ist ein Land ohne Küsten. Wir können uns das Gas nicht wie Deutschland mit dem Schiff anliefern lassen. In Ungarn werden 80 Prozent der Wohnungen mit Gas geheizt. Wir wollen eine eigene Energiestrategie umsetzen, in der Nuklearkraft und erneuerbare Energien wichtige Stützpfeiler sind. Aber wir sind noch in der Umsetzungsphase - und auf die Lieferungen aus Russland angewiesen.
Ungarn ist unter Regierungschef Orbán in der EU in die Rolle eines Isolierten geraten. Hat es für Sie überhaupt noch Sinn, in dem Staatenbündnis zu sein?
Natürlich. Kaum in einem Land ist die christliche Tradition Europas so tief verwurzelt wie in Ungarn. Die Menschen fühlen sich als Europäer, beim Referendum im Jahr 2003 stimmten 83 Prozent der Bürger für den EU-Beitritt. Es ist gut für Ungarn, Teil des größten Binnenmarkts der Welt zu sein. Seit 2004 konnte unsere Wirtschaft stark aufholen, auch dank des Binnenmarkts und der europäischen Kohäsionspolitik. Wir wollen die EU nicht abschaffen, sondern stärker machen.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist Orbán zuletzt hart angegangen. Fühlt sich Ungarn von der Kommission noch vertreten?
Nein. Als Kommissionspräsidentin sollte sie vermitteln. Aber sie hat ihre neutrale Position als Hüterin der Verträge verlassen und verleumdet Ungarn, ein Feind Europas zu sein. Das ist sehr bedauerlich.
Orbán ist zu nach Moskau und Peking gereist, hat mit Putin und mit Chinas Staatsoberhaupt Xi Jinping über den Krieg in der Ukraine gesprochen. Ein EU-Mandat dafür hatte er nicht, in Brüssel gab es heftige Kritik. Missbraucht Ungarn die Ratspräsidentschaft?
Keineswegs. Und am Anfang seiner Mission war er in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Der Ministerpräsident war ja nicht in seiner Funktion als EU-Ratspräsident unterwegs. Wir müssen uns fragen, wie wir den Krieg anhalten können, und da ist ein Waffenstillstand der erste Schritt. Nach der Reise gab es ein Treffen zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump. Der ukrainische Außenminister war in Peking, und es gab die Initiative von China und Brasilien. Unsere Initiative hat also zumindest eine gewisse Dynamik ausgelöst.