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Kommentar

Debatte um Verbot der AfD
Das Treffen von Potsdam reicht nicht für ein Parteiverbot

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Lesezeit 5 Minuten
Demonstration gegen Rechtsextremismus und die AfD vor dem Reichstagsgebäude in Berlin am Samstag, 3. Februar

Demonstration gegen Rechtsextremismus und die AfD vor dem Reichstagsgebäude in Berlin am Samstag, 3. Februar

Politische Reibereien und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erschweren den Kampf gegen die Rechtspopulisten der AfD.

Ginge es nach den Menschen, die seit Wochen zu Hunderttausenden auf Deutschlands Straßen für unsere Demokratie und gegen deren Feinde demonstrieren, dann wären die Tage der „Alternative für Deutschland“ (AfD) gezählt.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Die AfD erfreut sich – trotz aktueller Einbußen in den Meinungsumfragen - in einem erheblichen Teil der Bevölkerung des konstanten Rückhalts. Laut „Forsa“ liegt sie bundesweit derzeit bei 19 Prozent. Umfragen in den Ländern sehen die AfD in Brandenburg bei 30 Prozent, in Thüringen bei 33 und in Sachsen bei 34 Prozent. Bleiben die Zahlen auf diesem Niveau, sind Wahlsiege der AfD in den drei genannten Ländern, in denen in diesem Jahr Landtagswahlen anstehen, nicht mehr auszuschließen. Und auch im Deutschen Bundestag wäre ein nochmaliges Erstarken nach der Wahl 2025 keine Überraschung.

Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs für NRW, Michael Bertrams, bei der Verkündung eines Urteils. Foto: Rolf Vennenbernd dpa/lnw  +++(c) dpa - Bildfunk+++

Michael Bertrams, früherer Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen

Eine solche Perspektive ist für Verfassungsjuristen ebenso alarmierend wie für Politiker der demokratischen Parteien. Gemeinsam ist ihnen die Sorge, antidemokratische Parteien wie die AfD könnten versuchen, aus unserer Demokratie ein autoritäres System zu machen und dafür Einfluss auf unsere Justiz zu nehmen, insbesondere auf das Bundesverfassungsgericht, aber auch auf die Verfassungsgerichte der Länder.

Warnendes Beispiel ist etwa Polen, wo es den Rechtspopulisten der dortigen PiS-Partei in den vergangenen Jahren gelungen war, das Verfassungsgericht mit eigenen Anhängern zu besetzen. Ein vergleichbares Szenario ist mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder Brandenburg, Sachsen und Thüringen derzeit zwar ausgeschlossen, weil die Richterinnen und Richter dieser Gerichte nach geltender Rechtslage jeweils mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit zu wählen sind. Doch schon bei Erreichen eines Stimmenanteils von mehr als einem Drittel wäre die AfD umgekehrt in der Lage, eine Richterwahl zu blockieren. Sie könnte damit Druck auf die anderen Parteien ausüben und versuchen, eigene Kandidaten durchzubringen. Jedenfalls hätte die AfD ein deutlich größeres Mitspracherecht bei der Richterwahl.

Viele Vorschriften für die höchsten Gerichte ließen sich mit einfacher Mehrheit ändern

Abgesehen davon sind zahlreiche Vorschriften, welche die Stellung der genannten Gerichte und deren Verfahrensabläufe betreffen, nur einfachgesetzlich geregelt und deshalb bereits mit einfacher Mehrheit zu ändern. Das betrifft beispielsweise die im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht normierten Werte der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Gerichts sowie gerade auch die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für die Richterwahl oder die auf zwölf Jahre begrenzte Amtszeit.

In Anbetracht dieser Rechtslage hat neben vielen anderen der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier vorgeschlagen, die genannten wichtigen, einfachgesetzlichen Regelungen im Grundgesetz zu verankern, womit ihre etwaige Änderung dann an eine Zwei-Drittel-Mehrheit geknüpft wäre.

Friedrich Merz hat die Mitwirkung an einer Grundgesetzänderung aufgekündigt

Für eine entsprechende Verfassungsänderung bedarf es allerdings wiederum einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Bis vor kurzem galt eine solche Mehrheit als gesichert. In der Generaldebatte zum Haushalt kündigte Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) vorige Woche jedoch an, seine Fraktion werde an einer Grundgesetzänderung nicht mehr mitwirken. In der parlamentarischen Zusammenarbeit mit den Regierungsfraktionen habe die Union schlechte Erfahrungen gemacht. Damit sind alle Überlegungen vorerst vom Tisch, die Resilienz des Bundesverfassungsgerichts durch eine grundgesetzliche Absicherung zu stärken. Die AfD dürfte sich ins Fäustchen lachen.

Weiteren Anlass dürfte ihr auch die anhaltende Diskussion über die Frage bieten, ob nun in Karlsruhe ein Verbotsantrag gegen die Partei gestellt werden soll oder nicht. Seit Wochen beschert diese Diskussion der AfD eine breite öffentliche Aufmerksamkeit. Zugleich lässt sie die zu einem Verbotsantrag berechtigten Verfassungsorgane Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung als entscheidungsschwach und handlungsunfähig erscheinen.

Ob die AfD die Voraussetzungen für ein Parteiverbot erfüllt, ist fraglich

Es ist jedoch nach wie vor zweifelhaft, ob die Voraussetzungen überhaupt erfüllt sind, die das höchste deutsche Gericht an ein Parteiverbot stellt. Eine Partei kann nämlich nur dann verboten werden, wenn sie nicht nur eine verfassungsfeindliche Haltung vertritt, sondern diese auch in aktiv-kämpferischer, aggressiver Weise umsetzen will. Für ein Verbot genügt es also nicht, dass oberste Verfassungswerte in der politischen Meinungsäußerung in Zweifel gezogen, nicht anerkannt, abgelehnt oder ihnen andere entgegengesetzt werden. Eine Partei muss vielmehr planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigen wollen. Dies setzt voraus, dass konkrete, gewichtige Anhaltspunkte vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann.

Ob die AfD diese Voraussetzungen erfüllt, ist fraglich. Angesichts ihrer hohen Umfragewerte ist es nicht ausgeschlossen, dass sie 2024 in den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen die stärkste parlamentarische Kraft wird. Nach wie vor trifft es jedoch auf Bedenken, der gesamten AfD zu attestieren, sie sei in ihren Zielen oder im Verhalten ihrer Anhänger „aktiv-kämpferisch, aggressiv“ darauf aus, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Dafür bedürfte es gerichtsfester Erkenntnisse etwa des Verfassungsschutzes.

Nun hat das Netzwerk „Correctiv“ das „Geheimtreffen von Potsdam“ aufgedeckt, an dem auch AfD-Mitglieder teilgenommen und die Möglichkeit einer millionenfachen „Remigration“ unerwünschter Ausländer diskutiert haben, selbst solcher mit deutschem Pass. Zweifellos offenbart diese Zielsetzung eine menschenverachtende, „verfassungsfeindliche Haltung“. Eine solche reicht aber – wie dargelegt – für ein Parteiverbot nicht aus.

Zudem stellen führende AfD-Vertreter ihre Zustimmung zu solchen Plänen in Abrede. Sie behaupten, unter „Remigration“ lediglich die Rückführung aller illegal in Deutschland lebenden Ausländer ohne deutschen Pass zu verstehen. Solange dies nicht widerlegt ist und es im Übrigen an jeglichen Erkenntnissen fehlt, wie und mit welchen Mitteln die verfassungsfeindlichen Fantasien des Potsdamer Treffens realisiert werden sollten, kann jedenfalls nicht von der Umsetzung einer verfassungsfeindlichen Haltung in aktiv-kämpferischer, aggressiver Weise die Rede sein.

Gleichwohl gibt schon eine bloße Beteiligung an solcherlei Überlegungen Anlass zu größter Sorge um unsere Demokratie. Die Wachsamkeit der Demokraten und die Schärfung der vorhandenen Instrumente einer wehrhaften Demokratie sind daher notwendiger denn je.