Bidens Wiederwahl hängt mit davon ab, ob er die illegale Einwanderung eindämmen kann, erläutert Klaus Larres von der University of North Carolina.
Amerika verstehenBidens Schicksal entscheidet sich an der Grenze zu Mexiko

Migranten versuchen, von Mexiko aus mit einem Leiter über die Grenzmauer in die USA zu gelangen.
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Seit dem Beginn seiner Präsidentschaft wird Joe Biden in den USA vorgeworfen, nichts gegen die illegale Einwanderung an der südlichen Grenze der USA zu Mexiko zu unternehmen. Die unkontrollierte Einwanderung unterminiere die Stabilität und die nationale Identität des Landes, so ist immer wieder aus den Reihen der Populisten um Ex-Präsident Donald Trump zu hören. Seit Monaten ist im Weißen Haus fieberhaft nach einer Lösung gesucht worden. Bidens Wiederwahl hängt womöglich davon ab, ob er es schafft, die illegale Zuwanderung einzudämmen.
Die US-Grenze zu Mexiko reicht vom Pazifischen Ozean im Westen bis zum Golf von Mexiko im Osten. Sie ist mehr als 3100 Kilometer lang und kann daher nur schwer kontrolliert werden. Viele Menschen sind so verzweifelt, dass sie immer wieder Schlupflöcher finden oder den gewaltigen Rio Grande durchschwimmen und dabei größte Gefahren auf sich nehmen, um in die USA zu gelangen. Dort finden sie relativ leicht Arbeit, können bei den vielen schon im Land lebenden Familienangehörigen unterkommen und ein neues Leben in relativer Sicherheit beginnen. Die meisten der Flüchtlinge kommen aus Mexiko, viele aber auch aus Venezuela, El Salvador, Guatemala und zunehmend auch aus China und anderen asiatischen Ländern.
15 Milliarden US-Dollar für Trumps Grenzbefestigung
Viele der Flüchtlinge in den USA sind aber gar nicht über die Grenze von Mexiko in die USA gekommen, sondern indem sie einfach nach Ablauf ihres Touristen- oder Arbeitsvisums nicht mehr nach Hause zurückgekehrt und stattdessen in den USA abgetaucht sind. 2020 befanden sich unter den 330 Millionen Einwohnern in den USA etwa elf bis zwölf Millionen illegale Einwanderer, also etwas weniger als vier Prozent. Seit Beginn der Biden-Regierung sollen angeblich mindestens weitere drei bis vier Millionen Flüchtlinge hinzugekommen sein. Das wird zumindest von Donald Trump und seinen Anhängern immer wieder verkündet. Aber genaue Zahlen kennt niemand.
Und Trumps vollmundiges Versprechen, während seiner eigenen Präsidentschaft eine lange Mauer entlang der Grenze zu Mexiko zu bauen, um illegale Grenzüberschreitungen zu verhindern, ließ sich nicht umsetzen. Die von Trump neu gebaute Mauer ist nur 120 Kilometer lang. Daneben ließ er lediglich die von vormaligen Regierungen gebaute 600 Kilometer lange alte Mauer ausbessern und wieder instand setzen. Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 15 Milliarden US-Dollar. Das sind 12,5 Millionen pro Kilometer.
Auf der Strecke blieb das Los vieler vom Schicksal hart getroffener Menschen
Jetzt hat Biden reagiert und harte Kontrollen an der Grenze zu Mexiko eingeführt. Auf der Strecke blieb dabei das von fast jeder Demokratie in der Welt garantierte Recht auf Asyl für politisch Verfolgte. Auf der Strecke blieb dabei auch das Los vieler vom Schicksal hart getroffener Menschen, die das Pech haben, auf der falschen Seite der Grenze geboren und tiefer Armut, kriegerischen Auseinandersetzungen, Mafiabanden und anderen schlimmen Zuständen in zahlreichen Ländern Südamerikas ausgesetzt zu sein.
Schon im Februar 2024 hatte die Biden-Regierung versucht, mit dem von den Republikanern dominierten Repräsentantenhaus einen konstruktiven Kompromiss in der Grenzfrage zu finden. Ein erfolgversprechendes Übereinkommen stand nach langen Verhandlungen auch in Aussicht. Doch dann mischte Trump sich ein. Per Telefon gelang es ihm, viele republikanische Abgeordnete davon abzubringen, für den mit der Biden-Regierung ausgearbeiteten Kompromiss zu stimmen.
Präsident Biden vor einem fast unlösbaren Dilemma
Dabei war Trump die sich zuspitzende Lage an der südlichen Grenze völlig egal. Es ging ihm einzig darum zu verhindern, dass Präsident Biden im Wahlkampf einen großen politischen Erfolg in der Grenzfrage verzeichnen könnte. Stattdessen durfte Trump mit Genugtuung feststellen, dass Biden nicht zuletzt wegen der ungelösten Grenzfrage Biden bei Umfragen immer schlechter abschnitt.
Der Präsident stand in der Tat vor einem fast unlösbaren Dilemma. Seine Tatenlosigkeit in der Grenzfrage stieß nicht nur bei den Anhängern Trumps, sondern vor allem auch bei den vielen unentschiedenen Wählern und den meisten Zeitungen und Fernsehstationen im Land auf schärfste Kritik. Würde er aber hart durchgreifen, hätte er die Entrüstung des starken linken Flügels seiner eigenen Demokratischen Partei zu gewärtigen, der ihm ohnehin nicht recht über den Weg traut.
8300 illegale Grenzübertritte in einem Monat
Nicht zuletzt müsste Biden dann aber auch damit rechnen, dass die vielen Wähler südamerikanischer Abstammung ihm bei der Präsidentschaftswahl im November ihre Stimme verweigern würden. Das wiederum könnte womöglich das Ende von Bidens Hoffnung auf eine Wiederwahl bedeuten.
Es dauerte viele Monate, bis sich das Weiße Haus zu einer Entscheidung durchrang, während die Zustände an der Grenze mit Mexiko immer chaotischer wurden. Im Mai gelang es etwa täglich 8300 Menschen, illegal und unkontrolliert die Grenze zu überschreiten und in den USA unterzutauchen. Noch zwei Monate zuvor hatte es lediglich 3000 solcher Fälle pro Tag gegeben.
Eine Gewerkschaft hat Klage gegen die Aussetzung des Asylrechts eingereicht
Was war Bidens Lösung? Seine Regierung entwickelte einen Zweistufenplan. Der Präsident erklärte einen nationalen Notfall und hob das Recht auf politisches Asyl auf für den Fall, dass sieben Tage in Folge mehr als 2500 illegale Grenzübertritte stattfänden. Seit Jahren schon liegt die Zahl allerdings erheblich höher. Nur wenn über einen Zeitraum von zwei Wochen täglich hinweg weniger als 1500 illegale Flüchtlinge die Grenze in die USA überschritten, würde das volle Asylrecht wieder hergestellt.
Flüchtlinge, die die Grenze von Mexiko ohne rechtmäßige Papiere überwinden, werden jetzt sofort ohne Asylanhörung deportiert. Die „American Civil Liberties“-Gewerkschaft hat Klage gegen die Aussetzung des Asylrechts eingereicht. Es gibt in der Tat nur ganz wenige Ausnahmen von Bidens drastischer neuer Grenzpolitik. Etwa wenn Flüchtlinge überzeugend auf die ihnen im Heimatland drohende Gefahr für Leib und Leben hinweisen können, wird ihnen eine Asylanhörung gewährt. Sie können dann bis zu diesem oft erst Monaten später stattfindenden Termin im Land bleiben.
Auch Kinder, die ohne Eltern in die USA gelangt sind, werden nicht sofort wieder zurückgeschickt. Und denjenigen, die schon vor Grenzübertritt per App einen Antrag auf Asyl eingereicht hatten, wird weiterhin ein Asylverfahren angeboten.
Wer auffliegt, wird deportiert
Um den linken Flügel seiner Partei zu besänftigen, der über die Aussetzung des Asylrechts stark erbost ist, hat Biden eine zweite Stufe seines Einwanderungsplans angekündigt. Die Regierung deutete eine umfangreiche Reform des juristischen Status von Ehepartnern US-amerikanischer Bürger an, die oft schon seit vielen Jahren in den USA leben. Derzeit erhält man durch die Heirat mit US-Staatsbürger nicht automatisch ein Bleiberecht. Wer auffliegt, wird deportiert. Jetzt soll es für diese Personengruppe ein Bleibe- und Arbeitsrecht geben. Auch sollen sie sich legal um eine „Green Card“ (permanentes Aufenthaltsrecht) bewerben dürfen. Betroffen sind 1,2 Millionen Menschen – viele von ihnen kommen ursprünglich aus Südamerika.
Biden hofft, durch dieses große Reformvorhaben neue Wählerschichten zu gewinnen und auch die progressiven Linken in seiner eigenen Partei auf seine Seite zu ziehen. Ob das so einfach gelingt, ist offen. Erst einmal muss Biden sein Vorhaben auch in die Tat umsetzen.
Der Wahlkampf bestimmt mittlerweile die gesamte US-Innenpolitik. Das tragische Schicksal vieler von der komplexen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik der USA betroffener Menschen spielt dabei nur ganz am Rande eine Rolle. Allerdings ist der unkontrollierte Zulauf einer großen Zahl von Flüchtlingen über die mexikanisch-amerikanische Grenze für die USA auch nicht akzeptabel. Bidens Zweistufenplan geht in die richtige Richtung – wenn denn beide Stufen umgesetzt werden.
Zur Person
Klaus Larres ist Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der University of North Carolina, Chapel Hill. In seiner Kolumne schreibt der gebürtige Schleidener aus Sicht eines Deutschen über die USA als Wahlheimat und liebsten Forschungsgegenstand.