Politische Inhalte spielen bei der mit Spannung erwarteten TV-Debatte eine eher untergeordnete Rolle, analysiert Karl Doemens.
Analyse zum TV-Duell in den USAWie Donald Trump in Kamala Harris’ Falle ging
Im Rückblick kann man wohl sagen, dass diese ungewöhnlichste Präsidentschaftsdebatte der jüngsten Geschichte schon entschieden war, bevor sie offiziell begonnen hatte. Um kurz nach 21 Uhr amerikanischer Zeit betraten Kamala Harris und Donald Trump von gegenüberliegenden Seiten die Bühne, und die 59-Jährige ging mit entschlossenem Schritt auf den Ex-Präsidenten zu. „Kamala Harris“, stellte sie sich vor und reichte dem verdutzten Kontrahenten zur Begrüßung die Hand.
Es war eine vergiftete Geste. Aber Trump konnte nicht ausschlagen. Von diesem Augenblick an hatte die demokratische Bewerberin für das Weiße Haus das Heft in der Hand. Während der folgenden anderthalb Stunden wütete der Ex-Präsident mit meist finsterem Gesichtsausdruck, er attackierte seine Gegnerin und mehr noch ihren „Boss“ Joe Biden, und er beschrieb die Lage des Landes in den düstersten Farben. Aber eines schaffte er nicht – in die Offensive zu kommen.
Dabei hätte die amtierende Vizepräsidentin einiges zu erklären gehabt: Laut Umfragen ist eine Mehrheit der Amerikaner mit der Wirtschafts- und der Einwanderungspolitik der Biden-Regierung unzufrieden. Harris hat bislang nur wenige konkrete politische Vorhaben angekündigt, und sie hat ihre Position etwa zum Fracking und zur Krankenversicherung in der Vergangenheit ohne wirkliche Erklärung geändert. Aber die Demokraten-Politikerin kam glänzend vorbereitet zu dem 90-minütigen Streitgespräch und hatte sich bei Trump einen Trick abgeschaut: Sie ignorierte unbequeme Fragen und antwortete, was sie an Botschaften herüberbringen wollte.
Trump ist schnell in der Defensive
Gleich in der ersten Runde, als es eigentlich darum ging, ob es den Amerikanern wirtschaftlich derzeit besser als vor vier Jahren gehe, schaffte sie es, über ihre Herkunft als „Mittelklasse-Kind“ zu reden, ihren Plan für einen erweiterten Kinderfreibetrag anzupreisen und den republikanischen Wettbewerber wegen der „Trump-Umsatzsteuer“ anzugehen. Schon war Trump in der Defensive: Verärgert konterte er, die von ihm geplanten Zölle müssten keineswegs von den US-Bürgern, sondern von den Chinesen bezahlt werden – eine von vielen Falschaussagen.
Anfangs noch sichtlich nervös, schwamm sich Harris bald frei. Und in fast jeder Antwort baute sie einen Köder ein. Mal war es das radikale „Project 2025“ einer rechten Denkfabrik, von dem sich Trump schon unzählige Male zu distanzieren versucht hat, mal das Erbe von 400 Millionen Dollar, ohne das er seine Karriere nie habe aufbauen können, mal seine Verurteilung im Schweigegeldprozess. Jedes Mal biss der narzisstische Politiker an und holte zu einem Dementi aus.
Harris wollte Trump auflaufen lassen
„Ich werde etwas Ungewöhnliches tun und Sie aufrufen, eine von Donald Trumps Kundgebungen zu besuchen“, wandte sich Harris irgendwann direkt an die Fernsehzuschauer. Dann könnten sie sehen, welche unsinnigen Behauptungen er dort verbreite und wie die Zuhörer „aus Erschöpfung und Langeweile“ frühzeitig nach Hause gingen. „Darauf muss ich antworten“, erregte sich wie auf Knopfdruck ihr Gegenüber. „Bei mir gehen keine Leute. Ich habe die größten Kundgebungen.“
Trump zu provozieren, sich selbst zu entblößen, ihn auflaufen zu lassen und lächerlich zu machen – das war offensichtlich Harris’ Strategie. Und sie ging auf. Zwar hatte der Republikaner keinen lautstarken Wutausbruch und vermied eine frauenfeindliche oder rassistische Attacke, wie er sie bei anderen Gelegenheiten gefahren hatte. Aber die zunehmende Verärgerung war ihm anzusehen. Seine üblichen Tiraden über den Niedergang des Landes, das „von der ganzen Welt ausgelacht“ werde, und die angeblich sämtlich kriminellen Migranten, die inzwischen selbst die Haustiere von braven Bürgern in Ohio töten und verspeisen würden, klangen seltsam abgestanden.
Trump über Biden: „Wir haben einen Präsidenten, der nicht weiß, ob er noch lebt“
Richtig in Rage geriet Trump absurderweise über jemanden, der demnächst von der politischen Bühne abtritt: Joe Biden. Der 81-Jährige verbringe „seine ganze Zeit am Strand“, monierte er und forderte Harris auf, ihren Chef „aufzuwecken“, damit dieser die Südgrenze schließen könne. Ausführlich beklagte sich Trump, dass Biden seine Kandidatur zurückgezogen habe. Dann wetterte er: „Wir haben einen Präsidenten, der nicht weiß, ob er noch lebt.“ Das Schattenboxen mit dem früheren Gegenspieler gipfelte in dem Ausruf: „Denkt daran: Sie ist Biden!“ Harris nutzte die Vorlage gern: „Offensichtlich bin ich nicht Joe Biden, und ich bin sicher nicht Donald Trump.“
Über die politischen Vorhaben der beiden Bewerber erfuhren die Amerikaner extrem wenig. Harris wiederholte mehrfach ihre Vorhaben für Steuererleichterungen und Hausbauprämien, versicherte Israel der amerikanischen Solidarität, mahnte aber zugleich die Rechte der Palästinenser an, warb für ein im Kongress gescheitertes Gesetz zur Migrationsbegrenzung und betonte, der Klimawandel sei real. Trump propagierte seine Einfuhrzölle, behauptete, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten hätte es unter seiner Präsidentschaft nie gegeben, und kündigte für die nahe Zukunft extrem vage „ein Konzept für einen Plan“ zu einer Reform der Krankenversicherung an.
Doch TV-Duelle sind keine Infoveranstaltungen. Es geht deutlich mehr um die Performance als um die Substanz. Und da lag Kamala Harris an diesem Abend überraschend deutlich vorn. Den düsteren Untergangsszenarien von Trump setzte sie ein freundlich lächelndes Gesicht und einen optimistischen Auftritt entgegen. „Ich glaube, Sie haben heute Abend zwei sehr unterschiedliche Visionen für unser Land gehört“, sagte sie in ihrem Schlusswort. „Eine, die sich auf die Zukunft konzentriert, und eine andere, die sich auf die Vergangenheit konzentriert.“