Abraham Lehrer, Vorsitzender der Kölner Synagogen-Gemeinde und Vizepräsident des Zentralrats der Juden, beklagt Antisemitismus auch in queeren Milieus.
AntisemitismusEs ist zum Verzweifeln!
„Ist es eine Provokation, wenn ich einen Davidstern trage oder ein anderes jüdisches Symbol, das von Nichtjuden als solches identifiziert werden kann? Ist es zu provokant, mit dem Davidstern auf eine Demo, auf eine Party oder auf eine Podiumsdiskussion zu gehen? Provoziert meine Herkunft, die Geschichte meiner Familie, meine Existenz, mein Respekt vor meinen Ahnen und meiner Religion?“
Ich zitiere aus einem kürzlich erschienen Beitrag von Ina Rosenthal, frauen- und geschlechterpolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen Berlin. Sie steht mit diesen Fragen nicht allein.
Ich möchte an dieser Stelle insbesondere über die Atmosphäre und Gefühlslage zu sprechen, in der sich der dramatische Anstieg antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober ereignet.
Nur wenige Tage vor dem Erscheinen des Beitrags von Ina Rosenthal, am 8. Juli, fand in Berlin anlässlich des „Dyke March“ eine queere Soli-Party statt, an der auch eine Gruppe jüdischer queerer Menschen teilnahm. Sie wollten zeigen, dass es sie gibt, dass sie sich Sorgen machen um ihre Sicherheit in queeren Räumen und dass israelische sowie jüdische Queers nicht allein sein müssen. Die Gruppe wollte mit den Veranstalterinnen und Organisatorinnen der Soli-Party in Kontakt treten. Sie brachten Pride-Flaggen mit, auf denen Davidsterne abgebildet waren, Plakate, auf denen „Safe-Space for Jews and Israelis“ stand oder „Believe Israeli women“. Sie wurden aufgefordert, die Flaggen einzupacken, da dort kein Raum für nationale Symbole sei. Gemeint war der Davidstern.
Jüdinnen und Juden wurde von einem Großteil der Anwesenden umzingelt, bedrängt und als Faschisten und noch viel Übleres beschimpft, was ich an dieser Stelle nicht reproduzieren will. Eine jüdische Person erlitt eine Panikattacke, als sich vor dem Veranstaltungsort eine wütende Menschenmenge bildete. Die Polizei musste intervenieren.
Antisemitismus macht keinen Halt vor progressiven, linken, queeren Räumen
Den genauen Verlauf dieses bedrückenden Vorfalls kennen wir, weil kurz darauf ein Betroffenenbericht veröffentlicht wurde. Ohne diesen Bericht gäbe es nur die Stellungnahme der Veranstaltenden, die eine gänzlich andere Geschichte erzählen, nämlich: Eine Gruppe queerer jüdischer Personen habe willentlich provoziert, die Veranstaltung stören und bewusst die Polizei auf alle hetzen wollen. Dieses Statement, unterstellt Jüdinnen und Juden in verschwörungsideologischer Manier eine Agenda und spricht ihnen ihre Erfahrung ab.
Dieser Abend war kein Einzelfall. Er hat gezeigt, dass Antisemitismus in jeder Gesellschaftsschicht vorhanden ist, und leider keinen Halt vor progressiven, linken und queeren Räumen macht. Ein Milieu kann emanzipatorisch für den eigenen Befreiungskampf sein, ohne konsequent gegen jede Form der Unterdrückung vorzugehen. Leider wird die Unterdrückung von Juden dabei besonders häufig nicht wahrgenommen oder nur in der Vergangenheit verortet.
Ist die queere Bewegung in Köln so anders gestrickt als in Berlin?
Seit vielen Jahren bin ich ein treuer Besucher des Auftaktempfangs der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker zum CSD im Rathaus – aus Überzeugung. Sie verstehen, dass die Lektüre des Berichts von Ina Rosenthal in mir die Frage aufgeworfen hat: Wofür hast du das gemacht? Oder: Ist die queere Bewegung in Köln so anders gestrickt als in Berlin? Ich glaube nicht.
Der Ausschluss von Jüdinnen und Juden aus diesen Räumen produziert nicht nur mehr Polarisierung, sondern ist ihre natürliche Konsequenz. Mit Ausnahme einer Mitarbeiterin des Veranstaltungsorts griff niemand ein. Zivilcourage? Fehlanzeige. Hier sehe ich einen Gradmesser für den Zustand unserer Demokratie. Je stärker eine Minderheit ausgegrenzt oder diskriminiert wird, und je stärker die Mehrheit dies mitträgt oder schweigend wegschaut, desto schlechter ist es um die Demokratie bestellt.
Jüdische Personen, insbesondere jene, die an mehreren Fronten gleichzeitig kämpfen, sind frustriert. Das spitzt sich seit dem 7. Oktober zu. Denn sie leisten eine doppelte Bildungsarbeit: Auf der einen Seite klären sie beispielsweise über Queerfeindlichkeit in der zunehmend nach rechts rückenden Mehrheitsgesellschaft auf. Auf der anderen Seite über Antisemitismus in der eigenen Community. Und nicht alle sind ausgebildete Pädagogen, viele tun das in ihrer Freizeit aus der Sorge heraus, ihren Platz in der Gesellschaft oder in ihrer Community zu verlieren.
Antizionismus ist ohne Antisemitismus nicht zu denken
Was den Angriff auf die Gruppe jüdischer queerer Personen zu motivieren schien, ist ein altes antisemitisches Stereotyp: Juden könnten aufgrund ihrer Beziehung zu Israel keine loyalen Bürger ihrer Heimatländer sein. In diesem Fall passender: Juden könnten aufgrund ihrer realen oder zugeschriebenen Beziehung zu Israel keine loyalen Mitstreiter einer Solidaritätsbewegung sein. Es ist zum Verzweifeln! Und es zeigt auf, dass Antizionismus eben nicht ohne Antisemitismus zu denken ist.
Weder sind alle Juden Zionisten, noch ist Zionismus eine monolithische Ideologie. Aber es geht darum, dass es heute de facto einen jüdischen Staat Israel gibt und dass es Personen gibt, die sagen, dass dieses Land nicht existieren dürfe. Wenn wir in Deutschland über Antizionismus sprechen, ist das eine andere Debatte als in Israel, weil wir uns hier in einer Gesellschaft befinden, die antisemitische Kontinuitäten aufweist, und weil wir schon immer israelbezogenen Antisemitismus hatten. Lange bevor der Staat überhaupt existierte. Wer auf offener Straße antizionistische Slogans brüllt und sich wundert, wenn Juden sich davon bedroht fühlen, ist entweder böswillig oder weiß nichts über die jüdische Community.
Netanjahus Verhalten ist klar abzulehnen
Kleiner Einschub einer Selbstverständlichkeit: Natürlich ist die Kritik an einer oder der aktuellen israelischen Regierung erlaubt und legitim. Die Äußerungen eines Ministers Itamar Ben-Gvir über das Aushungern des Gaza-Streifens, die Vorhaben der amtierenden Regierung zum Umbau und Entmachtung der Judikative oder das Verhalten des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sind klar abzulehnen und zu kritisieren – wie vom Zentralrat der Juden in Deutschland auch geschehen. Das ist aber absolut kein Grund, dem Staat Israel sein Existenzrecht abzuerkennen.
Viele Juden verließen in den 1990er Jahren die ehemalige Sowjetunion, in der es aufgrund jahrzehntelanger antizionistischer Kampagnen zu gefährlich war, offen jüdisch zu sein. Ein Großteil von ihnen ist zu uns nach Deutschland gekommen.
Gesamtgesellschaftlich hingegen werden häufig nicht-jüdische Stimmen rezipiert, die wenig über die Lebensrealität von Jüdinnen und Juden in Deutschland, dem Land der Täter, wissen, sowie beispielsweise von der grassierenden Altersarmut, weil sie selbst noch in einem antisemitischen Diskurs verharren, der Juden als Mächtige und Reiche positioniert. Das richtet erheblichen Schaden in der jüdischen Gemeinschaft an. Die meisten Juden und Jüdinnen hierzulande haben Migrationserfahrung und bewiesen den Mut, sich trotz Fremdenfeindlichkeit im Deutschland der Baseballschlägerjahre eine neue Heimat aufzubauen. Schon damals wollte Deutschland sich nicht als Einwanderungsland begreifen.
Viele Juden kämpfen bis heute gegen Ungleichbehandlung
Drei Jahrzehnte später sind 80 bis 90 Prozent der zugewanderten Jüdinnen und Juden auf Grundsicherung im Alter angewiesen, sie leben in Armut oder am Existenzminimum. Ihnen wurden die Arbeitsleistungen und Bildungsabschlüsse aus ihren Heimatländern nicht anerkannt, und sie fanden sich in Tätigkeiten im Niedriglohnsektor wieder, die weit unter ihren Qualifikationen lagen. Der deutsche Staat verpasste es, diese Menschen in den Arbeitsmarkt einzugliedern.
Viele Juden kämpfen bis heute gegen Ungleichbehandlung und die Anerkennung ihrer Notlage. Die jüdischen Migranten wurden nicht offiziell eingeladen, aber einen besonderen Status haben sie schon erhalten. Wer Politik für die jüdische Gemeinschaft machen will, muss soziale Gerechtigkeit mitdenken. Soziale Benachteiligung von Jüdinnen und Juden hat ein gravierendes Sichtbarkeitsproblem, sowohl mit Blick auf die Gegenwart als auch auf die Vergangenheit.
Die wirtschaftliche Verfolgung und Enteignung von Juden unter den Nationalsozialisten spielte in der Erinnerungspolitik lange keine Rolle – dafür sorgten sämtliche Entlastungs- und Schuldabwehrnarrative im post-nationalsozialistischen Deutschland. Entschädigungsleistungen an Schoa-Überlebende wurde von Jüdinnen und Juden erkämpft. Der Weg dorthin war für Betroffene steinig und belastend – bis heute.
Schoa-Überlebende erkennen den alten Hass gegen Juden in neuem Gewand
Wir müssen uns eines immer wieder vor Augen führen: Nämlich, dass die Pioniere der Erinnerung an die Aufarbeitung der Naziverbrechen in allererster Linie Juden waren. Bis 1978 wurde der Jahrestag des Pogroms am 9. November nur von Juden gedacht. Für die jüdische Gemeinschaft galt: Überleben ist Widerstand.
Heute gibt es 245.000 Überlebende der Schoa auf der Welt, 14.000 in Deutschland, die Hälfte lebt in Israel. Jetzt brauchen sie uns am meisten. Sie werden durch unseren Staat gut unterstützt und viele von ihnen klären unermüdlich als Zeitzeugen über die Verbrechen der Nationalsozialisten auf und bieten im Bundestag Rechtspopulisten und Rechtsextremen die Stirn.
Am 7. Oktober gab es unter den Opfern des Massakers Überlebende der Schoa. Dieser Tage sorgen sich Überlebende um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Sie erkennen den alten Hass gegen Juden in neuem Gewand. Auch Zeitzeugen und die Botschaft ihrer Mahnungen werden zu Zielscheiben des Hasses.
Die AfD hat ein rein instrumentelles Verhältnis zu Juden
Die Erinnerung an die Schoa wird von vielen Seiten aus angegriffen. Selbst tote Juden sind keine guten Juden mehr. Die AfD ist die Partei, in der Geschichtsrevisionismus bis hin zur Leugnung der Schoa zu Hause ist. Die in Teilen gesichert rechtsextreme Partei gibt sich als Garant jüdischen Lebens aus und greift im gleichen Atemzug die Erinnerungskultur an mit dem Ziel, „positive und identitätsstiftende“ deutsche Geschichtsschreibung in den Vordergrund zu stellen. Am Ende sind es also wieder die Juden oder die „anderen“, die den Deutschen mit dem „Schuldkult“ das Leben schwer machen. Dieses „Andere“ ist im völkischen Weltbild seit jeher assoziiert mit dem Judentum. Der Dreh- und Angelpunkt der völkischen Projektionen ist der Antisemitismus. Die AfD hat ein rein instrumentelles Verhältnis zu Juden.
Das begreift die jüdische Gemeinschaft, aus der uns vermehrt besorgte Stimmen erreichen. Der derzeitige Rechtsruck beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl vieler Jüdinnen und Juden erheblich. Wenn andere Parteien rechtspopulistische und rechtsextremistische Narrative übernehmen, verhelfen sie diesen zu vermeintlicher Legitimität. Und noch wichtiger: Sie verlieren die Perspektive der Betroffenen von menschenfeindlichen Einstellungen und Übergriffen aus dem Blick.
Claudia Roths „Konzept Erinnerungskultur“ ist ein Fiasko
Hier muss ich Claudia Roth als Ministerin einen dicken Vorwurf machen, der auf die Bundesregierung und ihre Partei zurückfällt. Der Entwurf für das neue „Rahmenkonzept Erinnerungskultur“ ist inhaltlich und von der Präsentation her ein Fiasko. Die dort vorgesehenen Änderungen stellen leider nur Rückschritte auf der ganzen Linie dar. Aber vor allem ist eine Veröffentlichung des Entwurfs, ohne die Beteiligten und Betroffenen vorher zu unterrichten und zu befragen, handwerklich einfach nur schlecht gemacht. Sie scheint es nun verstanden zu haben. Das Rahmenkonzept wird so nicht kommen, und dafür sind wir dankbar.
Im gleichen Atemzug muss hier aber auch die fehlende Solidarität der Mehrheitsgesellschaft als dicker Mangel genannt werden. Wo sind die Lichterketten von Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda oder Solingen? Es gab in Kommunen Tage, an denen die Menschen mit einer Kippa sich öffentlich auf den Straßen gezeigt und bewegt haben. Einfache Formen von Zivilcourage, die der jüdischen Gemeinschaft das Gefühl geben: Wir sind hier erwünscht und gewollt.
Muslime sind nicht pauschal die Feinde der Juden
Die AfD agitiert unumwunden gegen Muslime und andere Minderheiten in Deutschland und versucht dabei, „die“ Muslime als Feinde der westlichen Welt oder „der“ Juden darzustellen. Muslime sind nicht pauschal die Feinde der Juden.
Die Feinde aller Demokraten in diesem Land sind Extremisten, egal ob aus rechtsextremer, linksradikaler oder islamistischer Gesinnung heraus. Die Aussage „nichts wird nach dem 7. Oktober 2023 so wie früher sein“, die ich teile, führt uns zu einigen grundlegenden Fragen: Wie kann es im heutigen jüdisch-muslimischen Dialogprozess zu einem Verständnis kommen, das keine Gleichgestimmtheit voraussetzt? Wie ist ein Vertrauen in einem aktuell scheinbar grenzenlosen Misstrauen möglich? Neben dem stetig hohen Vorkommen antisemitischer Vorfälle aus dem rechtsextremen Milieu steigt seit dem 7. Oktober der islamische Antisemitismus drastisch an, darunter vermehrt mit Fällen extremer Gewalt. Viele Dialogakteure haben den Eindruck, vor den Scherben ihrer Arbeit zu stehen.
Jede Opferkonkurrenz sollte sich verbieten
Den Spruch, „was interessiert mich das, was damals passiert ist?“, höre ich aus der weiß-deutschen Mehrheitsgesellschaft. Was ich aus migrantischen Milieus vielmehr höre, ist: „Ja, aber was hat das denn mit unserer Diskriminierung zu tun?“ Dieses Gefühl kann sich in einer Art Opferkonkurrenz manifestieren.
Wer den Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus einebnet, kann Auschwitz nicht begreifen, ist nicht fähig, jüdische Perspektiven angemessen zu sehen und empathisch über den einzige Schutzanker von Jüdinnen und Juden, Israel, nachzudenken.
Dabei sollte sich jede Form der Opferkonkurrenz mit Blick auf die Schoa eigentlich verbieten. Alle Verfolgten, selbsterklärend auch jene in den Kolonien, mussten ihre Anerkennung hart erkämpfen – bis heute. Das haben wir gemeinsam.
Ein völlig verzerrtes Israelbild
Was mich sorgt, ist, wie die Erinnerung an die Schoa im akademischen Umfeld beharrlich bekämpft wird. Insbesondere durch die Brille des Postkolonialismus wird teilweise ein völlig verzerrtes Israelbild entworfen. Darum warnen wir so beharrlich vor den Folgen des schleichenden akademischen Boykotts israelischer Wissenschaft. Folgen, die sich bereits heute abzeichnen und unsere Debattenkultur verengen. Debatten werden an den israelischen Unis erhitzt ausgefochten und in die Öffentlichkeit getragen: Israelis kritisieren die in Teilen rechtsextreme Regierung und ihr Vorgehen im Gazastreifen; man sorgt sich um die Zukunft und den Frieden der Region – und ist dabei erklärter Zionist.
Ich vermute, das übersteigt die Ambiguitätstoleranz jener radikalisierten Studierenden, die am 7. Mai die HU in Berlin besetzten und Wände sowie Büros von Lehrenden mit roten Hamas-Dreiecken versahen. Ich kenne keine anderen Beispiele, wo die Linke sich so emphatisch mit Reaktionärem verbindet, wie es heute im Fall der Hamas geschieht.
Zivilgesellschaftliche Projekte dürfen nicht um ihre Existenz fürchten
In einer Zeit, in der antidemokratische Tendenzen, Fake News, Populismus und gewalttätige Übergriffe an der Tagesordnung sind, dürfen wir nicht zulassen, dass wichtige Stimmen verstummen oder Hilfsangebote, die viele Menschen betreffen, ausgedünnt werden.
Darum möchte ich die Abgeordneten des Bundestags vor dem Hintergrund der anstehenden Haushaltsberatungen im Bundestag darin bekräftigen, für Demokratiearbeit zu kämpfen. Zivilgesellschaftliche Projekte dürfen in Krisenzeiten nicht um ihre Existenz fürchten. Gemeinnützige Organisationen und Initiativen in ganz Deutschland unterstützen Betroffene, vermitteln therapeutische oder juristische Hilfe und vernetzen Engagierte. Sie beraten Menschen, die aus radikalen Milieus aussteigen wollen und entwickeln Perspektiven. Sie bieten Teilhabe-Chancen und unterstützen marginalisierte Gruppen. All dies ist Teil der Daseinsvorsorge, von der alle profitieren – nicht zuletzt die jüdische Gemeinschaft.
Laut gegen Antisemitismus zu sein, kann schlimmstenfalls bedeuten, unter Polizeischutz leben zu müssen. Ohne Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft überlegt man zweimal, ob man so ein Leben möchte. Viele im Bildungssektor sind momentan an ihren Grenzen. Die Bundesmittel dürfen hierfür nicht verhandelbar sein. Denn fast noch schlimmer als die Angst vor Angriffen, ist das Gefühl, dass da niemand wäre, der einschreiten und sich schützend vor dich stellen würde.
Die Gefühlslage von Jüdinnen und Juden in Deutschland wird zum Beispiel auch durch die vermaledeiten und elendigen Posts in den Social Media oder die Sicherheit jüdischer Einrichtungen bestimmt. Doch würde die Ausführung dieses wichtigen Themas an dieser Stelle zu weit führen.
Das mir persönlich Wichtigste ist die Zivilcourage. Sie hat einen direkten und fast unmittelbaren Einfluss auf die Stimmungslage jüdischer Menschen. Daher möchte ich mit einem Aufruf an die Mehrheitsgesellschaft enden, sich zu engagieren und eine einfache Form von Zivilcourage zu praktizieren.
Ich hoffe, dass möglichst viele Wähler in Brandenburg, Sachsen und Thüringen keine extremistische oder populistische Partei wählen. Unsere Demokratie ist zu wertvoll, um sie den Populisten zu überlassen.
Zur Person
Abraham Lehrer, geb. 1954, ist Vorsitzender der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Sein Beitrag ist eine geringfügig bearbeitete Fassung der Ansprache, die Lehrer auf dem Sommerfest der Kölner Grünen am 22. August gehalten hat.