Der ARD-Korrespondent Vassili Golod spricht über sein Leben und wie es sich anfühlt, im Krieg zu berichten. Eine Rolle, die er nie wollte.
ARD-Korrespondent Vassili Golod„Mir sind in Deutschland mehr Nazis begegnet als in der Ukraine“
Als Sohn einer russischen Mutter und eines ukrainischen Vaters wurde ARD-Ukraine-Korrespondent Vassili Golod in Charkiw geboren. Im RND-Interview spricht er darüber, wie er vor zehn Jahren in der Küche seiner Oma den „Krieg in den Köpfen“ schon spürte und wie er mit Bekannten umgeht, die an Verschwörungserzählungen rund um den Krieg glauben.
Vassili Golod (29) ist seit September 2022 Ukraine-Korrespondent der ARD, vorher arbeitete er unter anderem in London und in Köln für das Erste. Außerdem macht er gemeinsam mit Jan Kawelke und Salwa Houmsi den Podcast „Machiavelli – Rap & Politik“. Golod ist geboren in der ukrainischen Stadt Charkiw, sein Vater ist Ukrainer, seine Mutter Russin. Aufgewachsen ist er im niedersächsischen Bad Pyrmont.
An Montag, 13. Februar, läuft eine 45-minütige Reportage mit dem Titel „Ukraine – Krieg im Leben“ um 20.15 Uhr im Ersten. Darin hat Golod verschiedene Menschen in der Ukraine begleitet und seine Eindrücke in der Doku verarbeitet.
Vassili Golod, Sie sind Ukraine-Korrespondent bei der ARD, ein wichtiger Job in diesen Zeiten. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?
Ich habe einen sehr hohen Anspruch an meine Berichterstattung. Völlig unabhängig davon, ob viele oder wenige Menschen zuschauen. Wichtig ist, dass das, was wir berichten, korrekt ist. Das ist meine persönliche Verantwortung als Korrespondent und unsere gemeinsame Verantwortung als öffentlich-rechtliches Medium. Ich habe zuvor auch aus Großbritannien berichtet und war im WDR Newsroom als Chef vom Dienst tätig. Der journalistische Anspruch ist überall gleich.
Bezogen auf die Ukraine kommt dazu, dass ich mich mit dem Land und der gesellschaftspolitischen Situation gut auskenne. Das ist einerseits biografisch bedingt durch meine familiären Wurzeln. Im Studium habe ich mich mit der Geschichte der Ukraine und Russlands wissenschaftlich auseinandergesetzt und auch schon vor Beginn des Angriffskriegs aus beiden Ländern berichtet.
Ihr Vater ist Ukrainer, Ihre Mutter Russin. Was macht das mit Ihnen, die Ukraine so zu sehen? Wie können Sie journalistisch Abstand davon gewinnen – oder ist das in dem Fall nicht so wichtig?
Das ist sogar sehr wichtig. Entscheidend ist, das journalistische Handwerk zu beherrschen. Ich wurde in Charkiw geboren, meine Mutter stammt aus Nischnij Tagil im Ural, dort werden auch russische Panzer hergestellt. Aufgewachsen bin ich seit meinem zweiten Lebensjahr in Bad Pyrmont. Das alles prägt meine Biografie. Aber in erster Linie identifiziere ich mich als Journalist. Präzise und verständlich zu berichten, hat für mich die höchste Priorität.
Außerdem verstehe ich die Sprache und kann durch mein Wissen um die Region die Ausgangslage klar einordnen. Die Ukraine ist ein demokratischer Staat, der das eigene Staatsgebiet verteidigt. Dazu hat die Ukraine moralisch und völkerrechtlich jedes Recht. Russland ist ein autokratischer Staat, der die Ukraine völkerrechtswidrig überfällt. Das muss man klar benennen. Das ändert aber nichts daran, dass ich in meinem Berichtsgebiet nicht auch in anderen Feldern genau hinsehen würde.
Worauf zum Beispiel?
Korruption bleibt in der Ukraine auch im Krieg ein Thema. Der stellvertretende Infrastrukturminister wurde entlassen, weil er sich mit 400.000 Dollar bestechen ließ. Er sollte wegschauen, wenn Staatsgelder veruntreut werden, die für Generatoren gedacht waren. Da versucht sich einer zu bereichern, während Millionen Menschen leiden. Das ist niederträchtig.
Bietet der Krieg auch Chancen, diese Korruption zu bekämpfen, oder fehlt dazu die Zeit?
Die Menschen in der Ukraine sagen, sie führen zwei Kriege. Einen Verteidigungskrieg gegen Russland und einen gegen die Korruption im eigenen Land. Die Gesellschaft will den Kampf gegen die Korruption unter keinen Umständen ruhen lassen. 2013 und 2014 haben die Menschen auf dem Maidan gegen ihren korrupten Präsidenten Janukowytsch protestiert und für den Weg ihres Landes in die EU. Seitdem hat sich extrem viel getan in der Ukraine. Gleichzeitig ist allen klar, dass noch viel passieren muss – auch mitten im Krieg.
Sie reden auch oft mit Menschen aus der Zivilgesellschaft. Werden Sie überall positiv empfangen oder gibt es auch Zweifel?
Es gibt in der Ukraine eine große Offenheit gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Pressefreiheit ist für die ukrainische Gesellschaft ein hohes Gut. Die Menschen begegnen uns oft mit Dankbarkeit dafür, dass wir darüber berichten, was in ihrem Land passiert. Dass wir zeigen, was ist, während es parallel sehr viel Propaganda in Russland gibt. Viele Menschen in der Ukraine haben Verwandte in Russland. Ich habe beispielsweise eine Frau getroffen im Ort Slatyne, 15 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Dieses Dorf wurde nahezu vollständig zerstört. Sie hat mir die Trümmer ihres Hauses gezeigt und mir erzählt, dass ihre Verwandtschaft in Russland den Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Sie hat jetzt alle familiären Verhältnisse gekappt, weil das unerträglich für sie ist.
Erleichtert es Ihnen den Zugang zu den Menschen, dass Sie ihre Sprache sprechen?
Ja, natürlich. Ich spreche Russisch, weil ich in Charkiw geboren wurde, einer Stadt, die lange Zeit mehrheitlich russischsprachig war. Viele Menschen in der Ukraine wollen jetzt aber kein Russisch mehr sprechen, weil es für sie die Sprache des Aggressors ist. Selbst Menschen, die ihr Leben lang russisch gesprochen haben, lernen jetzt Ukrainisch. Ich verstehe Ukrainisch und lerne es auch gerade zu sprechen. Es ist auf jeden Fall ein Vorteil, weil die Menschen mich auf Russisch verstehen und ich sie verstehe.
Wie ist es in Ihrer Familie: Gibt es da auch Streit wegen des Kriegs? Ich hatte gelesen, dass Ihre russische Oma auch der Propaganda glaubt.
Meine russischen Großeltern sind inzwischen verstorben. Den Krieg in den Köpfen hat Russland bereits vor vielen Jahren angefacht. Erstmals spürte ich das vor etwa zehn Jahren in der Küche meiner Oma in Nischnij Tagil. Sie hat voller Hass Dinge über die Ukraine gesagt, die sie im Fernsehen gehört hatte. Über das Land, in dem ich geboren wurde. Und zwar, ohne dass sie dort war oder Kontakt dorthin hatte. Einfach nur auf Grundlage der Desinformationen durch das russische Staatsfernsehen. Es ist unter anderem der Einfluss der staatlichen Propaganda, der dazu führt, dass die überwältigende Mehrheit in Russland nichts gegen den Angriffskrieg unternimmt. Und indem die Menschen nichts machen, unterstützen sie den Krieg. Ich habe auch Freunde und Verwandte, die leider ein Teil dieser stillen Mehrheit sind.
Versuchen Sie, Bekannte, die den Krieg unterstützen, von den Fakten zu überzeugen?
Wenn jemand in meinem Umfeld Falschinformationen verbreitet und etwa von einem „Nazi-Regime“ in der Ukraine spricht, widerspreche ich und argumentiere mit Fakten. Zum Beispiel damit, dass es rechtsextreme Parteien nicht mal ins Parlament geschafft haben. Überhaupt sind mir sind in Deutschland mehr Nazis begegnet als in der Ukraine. Und in Russland habe ich noch mehr Nazis gesehen. Der russische Präsident spricht der Ukraine ihre Staatlichkeit ab. Das versuche ich argumentativ darzulegen. Aber wenn du jeden Tag im Fernsehen mehrere Verschwörungsmythen serviert bekommst, aus denen du dir was aussuchen kannst, dann sind Fakten plötzliche keine Kategorie mehr. Dann gibt es nur noch die emotionale Ebene.
Haben Sie den Eindruck, dass die Beeinflussung durch das Staatsfernsehen auch ein Generationenproblem ist?
Es ist ein Generationenthema, aber nicht nur. Natürlich gucken vor allem Ältere Fernsehen. Aber das, was im Fernsehen gemacht wird, wird inzwischen auch auf Social-Media-Kanälen verbreitet. Der russische Staat investiert viel Geld in die Propaganda im Netz. Es gibt in Russland außerdem eine Art Gesellschaftsvertrag zwischen dem Staat und seiner Bevölkerung. Der Staat macht politisch, was er will, und solange die Menschen sich nicht in seine Politik einmischen, lässt er sie in Ruhe. Sobald die Menschen politisch werden und den Staat kritisieren, bekommen sie Probleme.
Die russische Zivilgesellschaft wird schon lange unterdrückt. Putins Russland führt seit vielen Jahren auch einen Kampf nach innen. Deshalb gibt es viele Menschen, auch junge, die sagen: „Was soll ich denn machen? Ich habe ja nichts mit dem Staat zu tun.“ Das ist eine Fehlannahme. Natürlich können sie etwas tun, auch wenn es unter autokratischen Verhältnissen sehr schwer ist. Jeder sollte sich die Frage stellen: Ist es vertretbar, nichts zu tun, wenn dein Staat im Nachbarstaat Menschen tötet und die Soldaten deines Staates Menschen vergewaltigen?
Wie funktioniert das, mit einem TV-Team durch ein Kriegsland zu reisen?
Wir haben ukrainische Ortskräfte mit Kontakten und Erfahrung, die uns bei Recherchen unterstützen. Außerdem haben wir ein Team aus Sicherheitsberatern, die die Sicherheitslage prüfen, bevor wir auf Reisen gehen. Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, kein unnötiges Risiko einzugehen. Ich bin kein klassischer Kriegsreporter, der die Gefahr sucht. Ich bin ein Korrespondent in einem Land, in dem Krieg herrscht.
TV bedeutet auch fast immer Bewegtbild. Wann filmen Sie und wann nicht?
Als im Januar der Hubschrauber abgestürzt ist, in dem auch der ukrainische Innenminister an Bord war, sind Teile dieses Hubschraubers auf einen Kindergarten gefallen. Dabei ist auch ein Kind gestorben. Als wir an den Unfallort kamen, haben wir gesehen, wie die Eltern des toten Kindes darüber informiert wurden. Das ist etwas, was ich niemals vergessen werde. Das ist aber auch etwas, bei dem wir uns entschieden haben, es nicht zu drehen, weil es die Intimsphäre dieser Familie betrifft. Wir versuchen, so viel wie möglich zu zeigen, weil es wichtig ist abzubilden, was in diesem Krieg passiert.
Was macht es mit Ihnen, mit solchen Schicksalen konfrontiert zu sein?
Das zeigt mir immer wieder, dass es seit dem 24. Februar 2022 keinen Menschen in diesem Land gibt, der nicht in irgendeiner Weise von diesem Krieg betroffen ist. Selbst bei Menschen, bei denen gefühlt alles normal ist, ist innerlich nichts normal. Es ist immer das Gefühl da, dass jeden Moment etwas passieren könnte. Dieses Gefühl und das Wissen über das, was passiert ist, werden für immer bleiben und Generationen prägen. In der Ukraine, in ganz Europa und wahrscheinlich auf der ganzen Welt. Der brutale Angriffskrieg Russlands ist ein massiver Tabubruch.
In welchen Momenten spüren Sie das besonders?
Zum Beispiel als wir für die Doku „Krieg im Leben“ Künstlerinnen und Künstler begleitet haben, die für Soldaten Musik machen. Wir sind mit denen zu einem Auftritt gefahren und auf dem Weg dorthin sind in Kiew zeitgleich Raketen eingeschlagen. Unser Sicherheitsberater hat empfohlen, den Dreh abzubrechen. Die Künstler wollten aber weiter und wir haben uns im Team entschlossen, dass wir dieses Risiko eingehen, weil das eben ein Teil der Dokumentation ist. Wenn wir aussteigen, dokumentieren wir nicht das, was passiert. Wirklich wohl fühlst du dich in so einer Situation nicht, aber auch das gehört zur Arbeit in einem Kriegsgebiet.
Sie sprechen nicht nur mit Menschen im Volk, sondern haben zuletzt auch Selenskyj interviewt. Wie viel Zeit hatten Sie mit ihm – und wie viel ist davon dann im Fernsehen gelandet?
Die 38-Minuten-Version, die in der ARD-Mediathek steht, ist das volle Gespräch. Im „Brennpunkt“ sind zwei Ausschnitte gesendet worden. Im linearen Programm gibt es weiterhin Sendezeiten, die begrenzt sind. Aber uns war wichtig, dass alle, die sich dafür interessieren, auch das Gespräch in voller Länge sehen können und so ein Verständnis dafür bekommen, wie der ukrainische Präsident denkt und argumentiert.