Nach dem Sturz von Assad wird das Ausmaß seiner „Maschinerie des Todes“ immer klarer. Hunderttausende Syrer bleiben vermisst.
Massengräber belegen Assads Terror„So etwas haben wir seit den Nazis nicht mehr gesehen“
Das Ausmaß der Gewaltherrschaft von Baschar Al-Assad wird nach dem Sturz des Diktators immer greifbarer. Die in Syrien gefundenen Massengräber deuteten eindeutig auf eine „Maschinerie des Todes“ unter Assad hin, erklärte der amerikanische Staatsanwalt für internationale Kriegsverbrechen, Stephen Rapp, nachdem er zwei Massengräber in den Städten Qutayfah und Najha in der Nähe von Damaskus besucht hatte.
„Es sind sicherlich mehr als 100.000 Menschen, die in dieser Maschine verschwunden sind und zu Tode gefoltert wurden“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den ehemaligen US-Beauftragten für Kriegsverbrechen. Angesichts der Massengräber habe er „keinen großen Zweifel“ an den kolportierten Zahlen. „So etwas haben wir seit den Nazis nicht mehr gesehen“, fügte Rapp an, der bereits Kriegsverbrechertribunale in Ruanda und Sierra Leone geleitet hat. Mittlerweile arbeitet Rapp mit der syrischen Zivilgesellschaft zusammen, um Beweise für Kriegsverbrechen zu dokumentieren und mögliche Prozesse vorzubereiten.
Massengräber in Syrien entdeckt: „Maschinerie des Todes“
„Von der Geheimpolizei, die Menschen von der Straße und aus ihren Häusern verschwinden ließ, über die Gefängniswärter und Verhörbeamten, die sie aushungerten und zu Tode folterten, bis hin zu den Lastwagen- und Bulldozerfahrern, die ihre Leichen versteckten, arbeiteten Tausende von Menschen in diesem System des Tötens“, führte Rapp aus. „Wir sprechen von einem System des Staatsterrors, das zu einer Maschinerie des Todes wurde.“
Schätzungen zufolge wurden seit 2011, als Assads Niederschlagung der Proteste gegen ihn zu einem regelrechten Krieg ausartete, Hunderttausende Syrer getötet. Assad, der nach Moskau geflohen ist, hatte wiederholt bestritten, dass seine Regierung Menschenrechtsverletzungen begeht, und seine Gegner als Extremisten bezeichnet.
Allein in Outayfah sollen mehr als 100.000 Leichen verscharrt sein
Der Leiter der in den USA ansässigen syrischen Hilfsorganisation „Syrian Emergency Task Force“, Mouaz Moustafa, der auch das 40 Kilometer nördlich von Damaskus gelegene Qutayfah besuchte, schätzt unterdessen, dass allein dort mindestens 100.000 Leichen verscharrt wurden. Satellitenaufnahmen scheinen diese Behauptung zu stützen. Dort ist zu sehen, wie etwa das Massengrab in Qutayfah in den letzten Jahren immer größer geworden ist.
Bei diesen Zahlen könnte es sich jedoch nur um die Spitze des Eisbergs handeln. Die Internationale Kommission für vermisste Personen in Den Haag teilte mit, sie habe Hinweise, die auf bis zu 66 noch nicht bestätigte Massengräber in Syrien hindeuten. Nach Angaben internationaler und syrischer Organisationen, darunter die Vereinten Nationen und das „Syrian Network for Human Rights“, gelten weiterhin mehr als 150.000 Menschen als vermisst.
Zeugen schildern Todesmaschinerie: „Ein Ort des Schreckens“
Auch Augenzeugenberichte deuten unterdessen auf systematische Tötungen in Syrien hin. „Die Gräber wurden auf organisierte Weise vorbereitet – der Lastwagen kam, lud seine Ladung ab und fuhr wieder weg. Es waren Sicherheitsfahrzeuge dabei und niemand durfte sich nähern. Jeder, der zu nahe kam, ging mit ihnen unter“, sagte Abb Khalid gegenüber Reuters, der als Bauer in der Nähe eines der Massengräber arbeitet. „Dies ist ein Ort des Schreckens“, erklärte ein anderer Anwohner, der aus Angst vor Konsequenzen anonym bleiben wollte, berichtete die US-Nachrichtenagentur weiter.
Angehörige von vermissten Syrern schildern unterdessen ihre verzweifelte Suche nach ihren verschwundenen Familienmitgliedern in den letzten Jahren. Oft genügte bereits ein falsches Wort, um in Syrien in einem der Foltergefängnisse zu landen. Die Haftanstalten wie das berüchtigte Saidnaja-Gefängnis dienten jedoch nicht nur Machthaber Assad zur brutalen Unterdrückung der Opposition. Seine Beamten und Anhänger nutzten die Verzweiflung der Angehörigen auch aus, um hunderte Millionen Euro von ihnen zu erpressen.
Verzweifelte Angehörige durchsuchen Foltergefängnis
„Mein Bruder wird seit 2011 vermisst“, sagt Sanaa Omar der Nachrichtenagentur afp. Mohammed sei 15 Jahre alt gewesen, als er in Aleppo verschwand. „Wir haben in allen Gefängnissen in Aleppo nachgesehen, in allen Abteilungen. Und wir haben jeden bezahlt: Anwälte, die sagten, dass sie wüssten, wo er sei und versprachen, uns Dokumente zu bringen“, schildert die 38-Jährige. Über den Bruder erfuhren sie dennoch nichts.
„Mein Vater fuhr jedes Jahr nach Damaskus und traf sich mit Anwälten oder Leuten, die angeblich mit der Regierung zusammenarbeiteten. Sie nahmen 200.000, 300.000 oder 400.000 syrische Pfund“, sagt sie. Aber auch deren Versprechen, Mohammed besuchen zu können, erfüllten sich nie. „Wir haben sie fast fünf Jahre lang bezahlt, aber am Ende haben wir die Hoffnung verloren“, sagte Omar.
Jetzt ist sie nach Damaskus gereist, um nach dem Ende von Assads Gewaltherrschaft Gewissheit über das Schicksal ihres Bruders zu bekommen. Sie steht in der Leichenhalle eines Krankenhauses. Dorthin haben die siegreichen Islamisten alle Toten gebracht, die sie in den Gefängnissen fanden und nicht identifizieren konnten. Nach dem Sieg der islamistischen Milizen stehen die Türen des Saidnaja-Gefängnisses nun offen, die Gefangenen kamen frei. Der düstere Komplex liegt in einem trockenen Tal mit prächtigen Villen 30 Kilometer nördlich von Damaskus.
Assad setzt sich nach Russland ab – mit viel Geld
Angehörige durchsuchen dort nun die zurückgelassenen Dokumente in der Hoffnung, Hinweise auf die Vermissten zu finden. „Ich suche nach meinem Bruder. Er war seit 2019 in Saidnaja“, erklärte Hassan Haschem. Der Mann ist aus Hama angereist, um einen letzten verzweifelten Versuch zu unternehmen, Antworten zu finden. Die Familie habe mehr als 11.000 Euro für Versuche bezahlt, dem Bruder zu helfen. „Er ist verheiratet und hat vier Töchter. Er hat nie etwas Falsches getan“, so Haschem.
Während die Angehörigen in Syrien nach Assads Sturz verzweifelt weiter nach Hinweisen auf ihre verschwundenen Familienmitglieder suchen, hat Assad in Russland einen Unterschlupf gefunden. Der Diktator, der für die nun immer offensichtlichere „Maschinerie des Todes“ in Syrien verantwortlich ist, hat Berichten zufolge bereits in den letzten Jahren große Mengen Bargeld nach Russland geschafft und dort Luxusimmobilien gekauft. Mehr als 200 Millionen Euro soll Assad so beiseite geschafft haben, auch die von Angehörigen erpressten Gelder dürften die Familienkasse des Diktators in den letzten Jahren gefüllt haben.