Es wird Zeit, dass der Westen den Diktator Alexander Lukaschenko politisch schärfer ins Visier nimmt, meint Autor Matthias Koch
Der Unmensch von MinskDer Westen muss sich mehr mit Lukaschenkos Diktatur auseinandersetzen
Am 9. August 2020 begann die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Belarus. Diktator Alexander Lukaschenko ließ keine Panzer rollen wie Chinas Führung auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Er zeigte sein widerwärtiges Wesen auf andere Art: zeitlich versetzt, an diversen Orten, mit diversen Methoden, als Mosaik der Grausamkeiten.
In Minsk ließ Lukaschenko Regimegegner in Busse ohne Nummernschild schubsen, für viele begann eine Fahrt ohne Wiederkehr. In Provinzstädten ließ er Oppositionelle bei gekippten Fenstern foltern, die Anwohner sollten die Schreie hören. Zur exzessiven Brutalität kam eine orwellianische Totalüberwachung: Weil Weiß-Rot die Farbe der Opposition war, rückten Lukaschenkos vermummte Häscher schon gegen Menschen vor, deren einziges Verbrechen darin lag, dass sie weiße und rote T-Shirts auf dem Balkon zum Trocknen aufhängten.
Belarus: Lukaschenko lässt Regimegegner verschwinden
Anfangs gingen in Minsk rund 100.000 Menschen auf die Straßen, junge Frauen vorneweg. Heute, nach drei Jahren Terror, bietet Belarus keine ermutigenden Bilder mehr. Viele Gegnerinnen und Gegner des Regimes, darunter Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, leben im Ausland. Andere sind in Haft.
Manche ließ Lukaschenko auch gezielt verschwinden. Der Diktator verfährt, als befolge er ein Handbuch des Unmenschen. Im Verschwindenlassen, das wussten Gewaltherrscher von Josef Stalin bis Augusto Pinochet, liegt eine besonders perfide Form der Machtausübung. Indem ein Regime offen hält, ob ein Gefangener überhaupt noch lebt, stößt es zugleich Familie und Freunde in einen permanenten Alptraum.
Die im Jahr 2020 verhaftete Maria Kolesnikowa zum Beispiel hatte in Stuttgart klassische Musik unterrichtet und war wegen der Aussicht auf einen Machtwechsel zurück nach Minsk gegangen. Ein Bild, das die damals 38-Jährige, Kurzhaarschnitt, roter Lippenstift, hinter Gittern zeigt, ging um die Welt: Maria formt mit den Händen zum Fotografen gewandt ein Herz - ihre Handgelenke sind gefesselt.
Derzeit wissen weder ihr Vater noch ihre Schwester noch ihre Anwältin, wo sich Maria befindet und wie es ihr geht. Seit Mitte Februar 2023 darf sie keine Anrufe, Briefe oder Besuche mehr bekommen. Zu den letzten Nachrichten aus Marias Strafkolonie gehörte es, dass sich nach einer Notoperation wegen eines Magengeschwürs im Jahr 2022 ihr Gesundheitszustand rapide verschlechtert hat. Was ist das für ein Regime, das missliebige Menschen und ihre Angehörigen so viehisch behandelt?
Lukaschenko provoziert Nato-Staat Polen
Der Westen sollte, statt sich seufzend abzuwenden, die Auseinandersetzung mit Lukaschenko verstärken. Dafür sprechen nicht nur humanitäre, sondern auch strategische Gründe. Als der Unmensch von Minsk vor drei Jahren seinen Wahlsieg behauptete, kamen die ersten Glückwünsche aus Moskau und Peking. Kein Wunder: Im Machtspiel der Demokratiegegner Wladimir Putin und Xi Jinping ist Lukaschenko eine nützliche Figur. Derzeit provoziert Lukaschenko den Nato-Staat Polen durch provokative Zündeleien an der Grenze.
Es wird Zeit, dass der Westen Lukaschenko politisch schärfer ins Visier nimmt: Unternehmen die Demokratien dieser Erde genug gegen diese wahrhaft düstere Gestalt der Weltgeschichte? Verdient nicht die Opposition von Belarus, die wacher, vitaler und mutiger ist als die russische, deutlich mehr Unterstützung?
Lukaschenko mag so breitbeinig auftreten, wie er will - man wird trotz alledem das Gefühl nicht los, sein Regime könne politisch eher kippen als das in Moskau. Tun wir genug, um jene zu stärken, die sich genau dies vorgenommen haben? In Belarus geht es nicht nur um Belarus. Eine demokratiepolitische Kettenreaktion, die in Minsk beginnt, könnte globale Bedeutung bekommen.