Kritik von OpferschützernBKA registriert Anstieg politisch motivierter Gewalt
Berlin – Die Polizei hat im vergangenen Jahr mehr politisch motivierte Straftaten registriert als jeweils in den zehn Jahren zuvor - und das obwohl die meisten Menschen 2020 viel Zeit zuhause verbracht haben. Wie aus der am Dienstag veröffentlichten Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) hervorgeht, stieg die Zahl gegenüber dem Vorjahr um fast neun Prozent auf 44.692 Straftaten. Bei politisch motivierter Gewalt lag die Zahl der Fälle demnach sogar um fast 19 Prozent über dem Wert des Vorjahrs, und damit etwa auf dem Niveau von 2018.
Bei links motivierten Gewalttaten verzeichnete die Polizei laut Statistik sogar einen Anstieg um rund 45 Prozent auf 1526 Delikte. Auf das Konto von Rechten gingen demnach 1092 Gewalttaten, der Anstieg lag hier bei knapp elf Prozent. 591 politisch motivierte Gewalttaten konnte die Polizei keinem der gängigen Phänomenbereiche zuordnen. Das waren deutlich mehr als im Jahr zuvor und dürfte wohl auch mit der Corona-Pandemie zu tun haben, die Anlass bietet für unterschiedlichste Verschwörungserzählungen.
Die Bundesländer meldeten im Zusammenhang mit der Pandemie im vergangenen Jahr insgesamt 3559 politisch motivierte Straftaten - unter anderem Körperverletzung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und Propagandadelikte. Die Mehrheit - knapp 60 Prozent - dieser Straftaten waren laut BKA weder rechten oder linken Gruppierungen zuzuordnen. Sie richteten sich den Angaben zufolge vor allem gegen das Gesundheitswesen, den Staat, seine Einrichtungen und Symbole, gegen die Polizei und gegen „sonstige politische Gegner“.
Mehr als verdoppelt hat sich gegenüber dem Vorjahr die Zahl der Straftaten, die sich gegen staatliche Einrichtungen und Symbole, Amts- und Mandatsträger richteten.
Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt halten Statistik für unvollständig
Judith Porath, Vorstand des Verbands der unabhängigen Opferberatungsstellen (VBRG), sagte, die von den Polizeibehörden der Länder gemeldeten Zahlen zu rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt seien unvollständig. Als Beispiel nannte sie eine lebensgefährliche Messerattacke auf einen jungen Algerier in Schweinfurt, die fälschlicherweise nicht als rassistischer Angriff gewertet worden sei.
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Insgesamt gab es laut VBRG 1322 Angriffe mit rechtem, rassistischen oder antisemitischem Hintergrund. Damit wurden den Angaben zufolge in der Hälfte aller Bundesländer im Jahr 2020 täglich mindestens drei bis vier Menschen Opfer rechter Gewalt. Von den 1922 direkt von diesen Taten Betroffenen seien fast ein Fünftel besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche gewesen. Rund zwei Drittel aller Angriffe - 809 Fälle - waren demnach rassistisch motiviert und richteten sich überwiegend gegen Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung sowie gegen Deutsche mit dunkler Hautfarbe.
Antisemitismus und Rassismus durch Pandemie verstärkt
Eine weitere große Gruppe, bei der der VBRG im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg verzeichnete, ist die Gruppe der sogenannten politischen Gegnerinnen und Gegner. Hier gab es der VBRG-Statistik zufolge 237 Fälle. Die Angaben beziehen sich auf die sechs ostdeutschen Länder sowie Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) beklagte einen in der Corona-Krise aufkeimenden Antisemitismus und Rassismus. Es gebe hier eine „bedrohliche Normalisierung“, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Teilhabe der Angegriffenen bedrohe, sagte Rias-Vertreter Benjamin Steinitz. Bei einigen Protesten gegen die Infektionsschutzmaßnahmen trete „der dauernd latent vorhandene Antisemitismus hinter dem Verschwörungsdenken nun offen zutage“.
VBRG-Vorstandsmitglied Porath warf den Behörden vor, viele rassistische Straftaten nicht als solche zu registrieren. Erneut fehlten in den Jahresbilanzen der Strafverfolgungsbehörden der Länder und des Bundeskriminalamt (BKA) zahlreiche Gewalttaten aus 2020, „in denen die Täter mit unglaublicher Brutalität vorgegangen sind und offensichtlich aus rassistischer und rechter Motivation gehandelt haben“, sagte Porath. Die „nach wie vor mangel- und lückenhafte Erfassung“ verschleiere „das Ausmaß der tödlichen Dimension rechter Gewalt und lässt die Betroffenen im Stich“. (dpa, afp)