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Kommentar

Merz' Wahlsieg
Alles riskiert, wenig gewonnen

Ein Kommentar von
Lesezeit 5 Minuten
Friedrich Merz, leader of Germany's conservative Christian Democratic Union (CDU) and his party's main candidate for Chancellor addresses supporters after the first exit polls in the German general elections were announced on TV during the electoral evening in Berlin on February 23, 2025. (Photo by INA FASSBENDER / AFP)

Die CDU hat die Wahl gewonnen. Dass der neue Bundeskanzler, der zehnte dieses Landes, Friedrich Merz heißt, wäre dennoch vorschnell zu sagen.

Friedrich Merz hat seine eigenen Ziele verfehlt und die Bildung einer stabilen Regierung extrem erschwert.

Die Union hat die Wahl gewonnen, ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz ist geschwächt. Der Sieg von CDU und CSU reicht nicht zum Durchregieren, und Merz hat mit seinem Wahlkampf den politischen Parteien der Mitte so schwere Verletzungen zugefügt und die politische Landschaft so aufgewühlt, dass eine Koalitionsbildung äußerst schwierig wird.

Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik ist es einer Partei gelungen, die Regierungszentrale so schnell zurückzuerobern. Dass der neue Bundeskanzler, der zehnte dieses Landes, deshalb Merz heißt, wäre dennoch vorschnell zu sagen.

Bundestagswahl 2025: Deutschland braucht eine handlungsfähige Regierung

Deutschland braucht zwar rasch eine handlungsfähige Regierung. Der Weg dahin ist aber deutlich komplizierter geworden. Das liegt an der Stärke der AfD, die größte Oppositionspartei sein wird, und an der Schwäche der SPD, die für das Scheitern der von ihr geführten Ampel gnadenlos abgestraft wurde.

Diese Sozialdemokratie kämpft ab heute um ihr Überleben als Volkspartei. Sie wird in jeder Konstellation einen möglichst hohen Preis für eine Regierungsbeteiligung verlangen, vielleicht sogar den Rückzug von Merz – obwohl sie das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren hat. Oder gerade deshalb.

Zur Erinnerung: Die SPD lässt über mögliche Koalitionsverträge die Parteibasis abstimmen, wo die klaffenden Wunden nach Merz Reden und Handeln auch dann nicht verheilt sein werden, wenn die Spitzengremien sich mit der Aussicht auf Kabinettsposten besänftigen lassen würden.

Wie kann Friedrich Merz nun den „Politikwechsel“ angehen, den sich viele in diesem Land offenbar wünschen? Wie will er Sofortprogramme für die Wirtschaft und zur Bekämpfung der illegalen Migration starten, wenn für eine Koalition nur Partner in Betracht kommen, die seine Vorschläge bisher rundheraus abgelehnten?

Merz hat alles riskiert. Und wenig gewonnen. Er nahm mit seinem Plan gegen illegale Migration quasi im Alleingang die Zustimmung der AfD in Kauf, er trieb seine Partei fast in eine Zerreißprobe und brachte zugleich Hunderttausende Demonstranten auf deutsche Straßen. Das Ergebnis: klar unter 30 Prozent. Vor seinem „Tabubruch“ waren es zumindest 30 und drüber. Erreichen wollte er noch weit mehr. Gemessen daran ist Merz alles andere als ein strahlender Sieger.

Ohne Not hat der CDU-Spitzenkandidat mit seinem „steilen Move“ (Söder) der Linken einen Höhenflug beschert, die SPD zerrissen und die FDP („vier Prozent sind vier zu viel“) an den Rand des Abgrunds geschubst. Nur: Die Union stärker zu machen als in der Zeit nach dem Bruch der Ampel, das hat Merz mit all seinen Manövern nicht geschafft. Sein Vorgehen war den Preis schlicht nicht wert.

Wie kann Friedrich Merz nun den „Politikwechsel“ angehen, den sich viele in diesem Land offenbar wünschen? Wie will er Sofortprogramme für die Wirtschaft und zur Bekämpfung der illegalen Migration starten, wenn für eine Koalition nur Partner in Betracht kommen, die seine Vorschläge bisher rundheraus abgelehnten?

Eine Minderheitenregierung hat Merz konsequent ausgeschlossen, eine Zusammenarbeit mit der AfD ebenfalls. CSU-Chef Markus Söder schloss auch noch Koalitionen mit den Grünen aus, bevor er am Wahlabend wieder leicht zurückruderte.

Bundestagswahl 2025: Vieles hängt nun an einer historisch schwachen SPD

Merz aber wird seine Politik vom „faktischen Einreiseverbot“ für alle Asylsuchenden an den deutschen Außengrenzen mit der SPD kaum umsetzen können. Mit den Grünen, die über Familienzuzug diskutieren, würde seine angekündigte Migrationswende schon gar nicht funktionieren. Von anderen Themen wie Soforthilfen für die Wirtschaft ganz abgesehen.

Gleichzeitig hat die AfD, allen Massenprotesten zum Trotz, ihr Ergebnis fast verdoppelt. Sie wird sich als größte Oppositionspartei ständig dem rechten Rand der demokratischen Mitte als Mehrheitsbeschafferin andienen. Auch das macht das Regieren nicht einfacher.

Vieles hängt nun an einer historisch schwachen SPD, die im Wahlkampf zwei entscheidende Fehler beging. Erstens: Olaf Scholz, der seit gestern Abend Geschichte ist, hätte nicht erneut antreten dürfen. Die Arroganz der Parteigremien, den Kanzler der unbeliebtesten Regierung seit Bestehen der Bundesrepublik wieder als Spitzenmann in den Wahlkampf zu schicken, wurde hart abgestraft. Wer nur probiert statt Umfragen studiert, darf sich nicht wundern.

Zweitens: Die SPD hat viel zu sehr auf Moral gesetzt statt auf Inhalt. Gegen Merz, gegen rechts, gegen „Tabubruch“. Vom „Tor zur Hölle“ sprach Fraktionschef Rolf Mützenich vor der Abstimmung über die Migrationspolitik im Bundestag. Doch sollte der Kölner – wie alle in seiner Partei – irgendwann erkennen, dass auch viele SPD-Kernwähler diese „Hölle“ ihrer gefühlten Stillstands-Partei vorgezogen haben und sich offenbar hier wohler fühlen als bei der blass gebliebenen Rechtfertigungstruppe um den gescheiterten Kanzler Scholz.

Bundestagswahl 2025: Möglich, dass Koalitionsverhandlungen unter diesen Voraussetzungen viele Wochen dauern

Mehr als 600.000 Wähler sind von der SPD zur AfD gewechselt. Ausgerechnet zu der Partei, gegen die man Brandmauer um Brandmauer baute, ohne die eigenen Wähler ernsthaft zu fragen, warum sie die Absicht haben, diese Mauer zu ignorieren. Weil die SPD sowieso in Regierungsbeteiligung bleiben wird – und es da fast schon egal zu sein scheint, wie viele Stimmen sie verloren hat und künftig womöglich noch verliert? Das ist eine Mathematik der Macht mit trügerischen Ergebnissen.

Möglich, dass Koalitionsverhandlungen unter diesen Voraussetzungen viele Wochen dauern. Das wäre desaströs: innenpolitisch, aber gerade auch in der geopolitisch höchst schwierigen Lage, in der wir uns befinden. Niemand in der Welt ist bereit, auf Deutschland zu warten – bei dem Tempo, das Donald Trump gerade vorlegt. Die Zeit läuft. Umso mehr sind Brückenbauer gefragt.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der in Nordrhein-Westfalen eine schwarz-grüne Landesregierung recht geräuschlos führt und für die Union in NRW ein Ergebnis über dem Bundesdurchschnitt holte, wird in den nächsten Tagen und Wochen eine wichtige Rolle spielen.

Wüst ist einer dieser Brückenbauer. Er wird gebraucht. Derzeit eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen: vielleicht auch als Kanzler. Für den Fall , dass Merz aus staatspolitischen Erwägungen einem Regierungsbündnis mit der SPD geopfert werden muss, weil sonst gar nichts mehr ginge in der demokratischen Mitte.

Deutschland hat gewählt. Die Parteien, die jetzt für Regierungsverantwortung in Frage kommen, haben keine Wahl: Sie müssen sich einigen.

Eine neue Regierung der Mitte muss innenpolitisch liefern, außenpolitisch Führungsstärke zeigen und vor allem: zusammenhalten. Sonst ist das, was wir heute als Wahlergebnis der AfD sehen, nur ein Vorbote dessen, was uns morgen erwartet.