Das StreitgesprächBrauchen wir auf der Autobahn ein Tempolimit oder nicht?
- Das Klimapaket der Bundesregierung geht vielen nicht weit genug. Das Thema Tempolimit wurde gar nicht angeschnitten.
- Bleibt also immer noch die Frage: Brauchen wir auf der Autobahn ein Tempolimit oder nicht?
- Im Streitgespräch: Klimafreundlicher Autofahrer und Redakteur Christian Hümmeler mit Schnellfahrer und Volontär Alexander Holecek.
Köln – Pro: „Deutschland gehört mit Nordkorea zum exklusiven Klub der Tempofans“Christian HümmelerKlar, wer ohne Tempolimit auf der Autobahn unterwegs ist, hat es besser. Macht schon Spaß, auf einer perfekt ausgebauten Autobahn bei Tempo 180 über Stunden die linke Spur zu belegen, sich an den eigenen Fahrkünsten zu erfreuen und gleichzeitig die Grenzen deutscher oder internationaler Ingenieurskunst zu testen – und dann ist man auch noch viel schneller am Ziel. Funktioniert super. Dann jedenfalls, wenn man die Fahrt am Neujahrsmorgen gegen fünf Uhr antritt. Oder an einem ganz späten Samstagabend auf der A31 Richtung Friesland unterwegs ist.
Zu praktisch allen anderen Zeiten bestimmen leider andere das Tempo. Und das sind gar nicht so sehr diese runden Schilder mit rotem Rand und schwarzen Zahlen. Es sind zum Beispiel die Lastzüge, die in Europas zentralem Transitland inzwischen nicht nur die rechte, sondern auch die mittlere Spur der Autobahn zufahren. Und die vor eigenen Überholmanövern den Blick in den Rückspiegel tunlichst vermeiden. Werden schon bremsen, die Penner hinter mir, scheinen sie zu denken.
Dank Baustellen und Staus geht es auf Tempo Null
Es sind aber auch die Verzweifelten, die mit ihrem Auto sehr gerne gemütlich unterwegs wären, aber rechts auf der Autobahn vor lauter Lastwagen keinen Platz mehr finden. Und dann bleibt eben nur noch die linke Spur, den Blick starr nach vorne, die Hände fest am Lenkrad – auch wenn sich ihr Durchschnittstempo auf 89 Stundenkilometer einpendelt.
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Wie stehen Sie zum Thema Tempolimit? Brauchen wir eine feste Grenze für Geschwindigkeiten auf Autobahnen?
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Und es sind nicht zuletzt die Baustellen, die zuverlässig alle 30 bis 40 Autobahnkilometer den Verkehr auf Tempo Null herunterbremsen. Hier wirken sich gleich zwei deutsche Phänomen verschärfend aus: Die Baustelle bleibt garantiert ein paar Monate stehen. Und nachts oder am Wochenende wird auf keinen Fall gearbeitet. Möglicherweise gibt es gar Wechselwirkungen zwischen den Phänomenen. Außerhalb Deutschlands jedenfalls sind Autobahnbaustellen Raritäten.
Das Tempolimit als Karrierekiller
Dafür gibt es außerhalb Deutschlands Tempolimits. Weltweit. In fast allen Ländern, abgesehen von Afghanistan, Nordkorea und Somalia und ein paar indischen Bundesstaaten. Gut, das muss kein Maßstab sein. Auch das Frauenwahlrecht gibt es ja nicht in allen Ländern der Welt. Aber ein wenig Orientierung darüber, wo dieses Land steht, verschafft der ziemlich exklusive Klub der Tempofans dann doch.
Dennoch gibt es in Deutschland kein Thema, von dem sich Politiker jeglicher Farbe konsequenter fernhalten als von einem Tempolimit auf Autobahnen. Das kann man verstehen, ist doch schon die vorsichtige Andeutung, dass man ja vielleicht über Tempo 120 mal nachdenken könne, bis heute ein konsequenter Karrierekiller für jeden Mandatsträger. Allerdings ändern sich gerade ziemlich viele Dinge. Das Klima etwa. Könnte ja durchaus ein Argument sein für eine Reduzierung. Jeder einzelne Verkehrstote auf der Autobahn ist es schon lange. Und der Rest? Siehe oben.
Christian Hümmeler, 51, Leitender Redakteur, ist früher gerne schnell gefahren. Geht heute nicht mehr. Wirbt schon deshalb dafür, die Realität nicht länger zu ignorieren.
Contra: „Wer an einen Baum knallt, stirbt auch bei 60 Stundenkilometern“
Alexander Holecek
Das ist so schön einfach und überfordert auch keinen: Die dicken Autos sind schuld. Klimawandel, Ölkriege, Lungenkrebs. Bald sicher auch noch an Laktoseintoleranz und Haarspliss. Und die Raser sind sowieso am schlimmsten. Bloß: Um die geht’s hier eben nicht. Wer mit 80 km/h durch die Spielstraße donnert oder Rennen auf dem Auenweg veranstaltet, ist kriminell und gehört nicht ans Steuer. Menschen, die – wo es erlaubt und machbar ist – auf der Autobahn zügig fahren, mit Rasern gleichzusetzen, ist üble Nachrede. Erst recht mit der Moralkeule: „Du Panamera-Protzer mit deiner Kalaschnikow auf vier Rädern bringst mich armen Fiat-Wurm hier unten irgendwann noch um!“ Passt an jede Latrinenwand, stimmt aber nicht.
Wir brauchen endlich zuverlässige Eisenbahnen
Versuchen wir es stattdessen mit Logik. Dann wird zuerst die Klimathese hinfällig: Eine Person verbraucht von Köln nach Berlin sogar allein im Auto und selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass sie ein Drittel mit Tempo 250 zurücklegen kann, immer noch weniger CO2 als im Flugzeug. Wie wär’s also mit Tempolimits für Flugzeuge? Oder noch besser: mit einer schnellen, zuverlässigen Eisenbahn bis Berlin. Dann nähmen alle, die die Autobahn nicht ertragen, den Zug und die Straßen wären frei.
Ob es dann weniger Unfälle gäbe, lässt sich kaum sagen. Denn die wenigsten passieren auf geraden, unbeschränkten Autobahnen. Die weit überwiegende Zahl der Opfer stirbt auf Landstraßen oder in Städten. Denn wer an einen Baum prallt, stirbt auch bei Tempo 60. Aber niemand käme auf die Idee, alle Bäume an Landstraßen aus Sicherheitsgründen zu fällen. Nur ein paar eben, an besonders kritischen Stellen.
Den Wert der Zeit kann niemand messen
So wie es vielerorts zurecht Tempolimits auf Autobahnen gibt. Denn es geht ja nicht darum, den Rhein bei Leverkusen mit Tempo 200 zu überqueren. Das ginge auch gar nicht: Wegen der Baustellen. Was im Übrigen eine Zumutung ist: Baustellen, auf denen nie jemand arbeitet und die offenbar nur der Schikane dienen, um faktisch doch Tempolimits durchzusetzen.
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Auf den paar Kilometern bis zur nächsten Baustelle aber, etwa im Niemandsland zwischen Hannover und Berlin sonntags um 6:30 Uhr, soll dann auch 250 fahren dürfen, wer das will. Warum man das tut, kann allen egal sein, solange niemand gefährdet wird. Berechnungen, dass sich so selbst auf langen Strecken kaum Zeit sparen lässt, sind fadenscheinig. Den Wert der Zeit kann niemand messen, da ihn die Menschen subjektiv wahrnehmen. Jeder hat das Recht, am schnellen Fahren Spaß zu haben, es als Teil seiner Freiheit zu sehen oder es einfach nur eilig zu haben, weil das Essen kalt wird oder der FC gleich spielt.
Alexander Holecek, 28, Volontär, ist oft in Eile, weil er spät dran ist. Es ist ihm peinlich, aber er hat neulich ein 130-Schild übersehen. Wenn er seinen Führerschein zurück hat, versucht er, soweit es geht, die Verkehrsregeln einzuhalten.