Auftrag der türkischen RegierungDitib spitzelte in Köln und Region
Köln – Der Spionageauftrag kam per E-Mail von Diyanet, der Religionsbehörde der türkischen Regierung in Ankara. Er ging an die türkischen Generalkonsulate in Deutschland und deren Religionsattachés. Nicht alle reagierten, zumindest aber die Vertreter in Köln, Düsseldorf und München. Sie leiteten den Auftrag weiter – an die Imame der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt der Religionen (Ditib). Und die lieferten prompt, was von ihnen gefordert wurde, sammelten Informationen über mögliche Anhänger der Gülen-Bewegung in ihrem Sprengel. Ob die anderen zehn Konsulate in Deutschland gar nicht erst reagierten oder ihre Berichte die Kommission des türkischen Parlaments in Ankara, das sich mit dem Putschversuch befasst, bloß nicht rechtzeitig erreichten, ist noch unklar.
„In Bergneustadt, wo sich unsere Moschee befindet, betreibt Fetö als Bildungseinrichtung lediglich den Lernort Aktive Lernhilfe“, schreibt der Religionsbeauftragte aus Bergneustadt an den Religionsattaché des Generalkonsulats in Köln, der diesen und neun weitere Einzelberichte, die alle mit vollem Namen von den Imamen unterschrieben sind, nach Ankara weiterreichte. „Dieser Ort dient als Hauptquartier im gesamten Oberbergischen Kreis. Spenden, Opfergaben, Mitgliedschaften und menschliche Ressourcen werden hier gesammelt und weitergeleitet. Mitglieder wie auch der Vorsitzende sind Teil unserer Moscheegemeinde und verbreiten Lügen über unsere religiösen Dienste.“
Die Abkürzung „Fetö“ steht für „Fetuhlahci Terrörörgütü“ – die Terrorganisation der Gülen-Bewegung, wie sie von der Erdogan-Regierung bezeichnet wird. Die macht Anhänger der Gülen-Bewegung für den gescheiterten Putschversuch in der Nacht zum 16. Juli verantwortlich – und ganz offensichtlich werden deren Anhänger jetzt nicht nur in der Türkei verfolgt, sondern stehen auch in Deutschland unter Beobachtung.
Gülen-Anhänger im Visier
Aus den Unterlagen, über die „Die Welt“ exklusiv berichtet hatte und die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen, geht eindeutig hervor, dass die Religionsbehörde in Ankara auf diesem Weg ein möglichst umfassendes Bild über mutmaßliche Gülen-Anhänger in Deutschland haben will. Und das nicht nur in Deutschland. Das Schreiben vom 20. September ging an sämtliche türkische Auslandsvertretungen.
Besonders erschreckend: Vier Imame aus dem Bereich des Generalkonsulats Köln, genauer gesagt aus den Moscheen Bergneustadt, Engelskirchen, Fürthen und Betzdorf, beschränkten sich keineswegs bloß auf eine Einschätzung der Lage. Sie listeten mehr als 30 Namen von Personen auf, denen sie unterstellen, Anhänger der Gülen-Bewegung zu sein. „In der unten aufgeführten Namensliste sind diejenigen, welche in der Moscheegemeinde Eyüp Sultan in Engelskirchen Spenden, Beiträge und Opfergaben sammeln und Unterschlupf bieten. Diese Hilfen werden nicht in der Moschee, sondern in Häusern und Wohnungen gesammelt“, schreibt der Imam aus Engelskirchen. Teilweise wird sogar auf die Herkunft verwiesen. „Kommen aus Denizli, kommen aus Sivas.“
Islam-Experte kritisiert türkische Religionsbehörde
Das jüngste Gutachten der türkischen Religionsbehörde Diyanet zur Gülen-Bewegung enthält für den Islam-Experten Timo Güzelmansur auch „problematische Aussagen“ für das Verhältnis zum Christentum. In dem Papier werde die Organisation des umstrittenen Predigers Fethullah Gülen als „trojanisches Pferd“ bezeichnet, die „im Dienste böser Mächte stehe“, zitierte der Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle in Frankfurt aus dem Gutachten. Diese „bösen Mächte“ würden mit den Dialogpartnern der Gülen-Bewegung gleichgesetzt, zu denen auch christliche Vertreter gehören. Zugleich erinnere das Papier an die Koransure 5,51, die gläubigen Muslimen von einem freundschaftlichen Umgang mit Christen und Juden abrate. Gülen selbst werde als christlicher Agent bezeichnet, „der durch den interreligiösen Dialog den muslimischen Glauben zerstören will“. Das Gutachten setzt sich aus 20 Einzelbeschlüssen des Hohen Rats für Religion zusammen. Der Rat ist die höchste religiöse Autorität in der Türkei. Mit Blick auf Berichte über ein angespanntes Verhältnis zwischen in der Deutschland lebenden Gülen-Anhängern und der Ditib äußerte sich Güzelmansur besorgt. Er frage sich, welche Konsequenzen das Diyanet-Gutachten für das friedliche Miteinander der Religionen mit sich bringe. (kna)
Sechs Imame aus dem Bereich des Kölner Generalkonsulats melden keine besonderen Auffälligkeiten von möglichen Gülen-Anhängern. In den fünf Einzelberichten, die der Düsseldorfer Relgionsattaché nach Ankara schickt, tauchen namentlich lediglich Einrichtungen auf, die aus Sicht der Spitzel mutmaßlich Anhängern der Gülen-Bewegung zuzurechnen sind, darunter befindet sich auch ein Bericht des Ditib-Imams aus Duisburg. Dort steht eine der größten Zentralmoscheen in Deutschland.
Ditib bestreitet Vorwürfe
Mit den Vorwürfen konfrontiert reagierte die Ditib, deren rund 1000 Imame aus der Türkei mit einem beamtenähnlichen Status nach Deutschland geschickt und vom türkischen Staat bezahlt werden, am Dienstag äußerst einsilbig. Man weise die Anschuldigungen zurück. Man habe keine Anweisungen erhalten und würde ihnen auch nicht Folge leisten. Ditib-Moscheen seien Orte der Spiritualität, und der Verband sei überparteilich. Die Ditib betreibt in Deutschland rund 970 Moscheegemeinden und ist damit der größte islamische Dachverband.
Auf die Details der Berichte vor allem des Kölner Generalkonsulats vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ angesprochen, bestätigt Bekir Alboga, Sprecher des Bundesverbands der Ditib, dass es das Schreiben der Diyanet an die türkischen Auslandvertretungen gegeben habe, Dieses sei fälschlicherweise in einen zu großen Verteiler gelangt.
Anfrage von gemäßigten Muslimverbänden
Im Vorfeld einer Euroasien-Islam-Konferenz in Istanbul vor drei Monaten sei von den gemäßigten Muslimverbänden aus den asiatischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, darunter Usbekistan, Kasachstan, Turkmenistan und Kirgisistan die Anfrage gekommen, wie man mit radikalen muslimischen Kräften umgehen müssen. „Sie haben die Religionsbehörde Diyanet gebeten, ihnen solides Wissen über den Islam zu vermitteln. Wir müssen die Muslime sachgemäß informieren, um fundamentalistischen Tendenzen begegnen zu können.“
Die Religionsbehörde habe das zugesichert und die Geistlichen im Gegenzug aufgefordert, Informationen über mögliche Anhänger der Gülen-Bewegung oder die Wahabiten zu sammeln. Das sind Anhänger einer puristisch-traditionalistischen Richtung des sunnitischen Islams. Diese Mail sei dann versehentlich an alle Auslandseinrichtungen geschickt worden. „Das war schlicht ein Fehler und so nicht vorgesehen“, sagt Alboga. „Die meisten Religionsattachés in Deutschland haben es registriert und sofort gesehen, dass es sie gar nicht betrifft. Deshalb haben sie auch nicht reagiert.“ Im Kölner Fall habe sich der Religionsattaché in Urlaub befunden. Sein Stellvertreter habe die Lage falsch eingeschätzt. „Wir als Bundesverband haben von der Kommunikation gar nichts mitbekommen und davon erst aus den Medien erfahren“, sagt Alboga.
Also alles nur eine Panne, ein Missverständnis? In der offiziellen Stellungnahme, die von der Ditib am Donnerstagnachmittag verschickt wird, liest sich das anders. Das ist nicht von kleinen Fehlern, sondern von möglichem „Amtsmissbrauch“ die Rede. „Die in den Ditib-Gemeinden tätigen Imame stehen derzeit im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit. Aktuell wird einigen Imamen vorgeworfen, in den Gemeinden Gülen-Anhänger bespitzelt zu haben. Die Vorwürfe wiegen schwer.“
„Werden entsprechende Maßnahmen beraten“
Imame übten ihr Amt „im Rahmen eines Treueverhältnisses aus und sind besondere Vertrauenspersonen, allein mit der Aufgabe der religiösen Betreuung.“ Fehlerhaftes Verhalten Einzelner dürfe nicht zur Beeinträchtigung der religiösen, sozialen und friedensstiftenden Tätigkeit der Imame führen. „Wer aber außerhalb seiner eigentlichen Aufgabe tätig wird, handelt nicht in unserem Sinne.“ Man werde die „schwerwiegenden Vorwürfe untersuchen, und zwar sauber und transparent. Anschließend gilt: Wer sein Amt missbraucht, hat mit Konsequenzen zu rechnen. Als Verband werden wir entsprechende Maßnahmen beraten“.
Die Ditib steht schon seit längerem wegen enger Kontakte zum türkischen Staat in der Kritik. Was mit den Listen, die aus ihrer Sicht fälschlicherweise nach Ankara gelangten, dort geschieht, könne man nicht sagen. Man sei eine Religionsgemeinschaft und trage „ausschließlich zum Wohle der Gesellschaft und des Individuums bei“. Das werden die Menschen, die mit ihrem vollen Namen und ohne ihr Wissen dem türkischen Staat aus mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung übermittelt wurden, sicher anders sehen.