Der Grünen-Vorsitzende Nouripour spricht im Interview darüber, warum er am Freitag auf einer Gegendemo zu den Friedenskundgebungen spricht.
Grünen-Chef Nouripour„Die Äußerungen von Frau Wagenknecht wirken in der Ukraine wie Hohn“
Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer haben für Samstag zu einer Friedenskundgebung gegen den Ukraine-Krieg aufgerufen. Bereits am Freitag spricht der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour auf einer Gegendemo. Hier erklärt er, warum.
Herr Nouripour, Sie haben kürzlich Kiew besucht. Wie war Ihr Eindruck in der Stadt?
Die Menschen sind angespannt wegen der anstehenden Großoffensive. Gerade denjenigen, die ich schon viele Jahre kenne, habe ich die Erschöpfung angesehen. Viele haben auch daran erinnert, dass sie nicht erst ein Jahr Krieg hinter sich haben, sondern dass sie sich bereits seit 2014 im Krieg befinden. Diese vielen Jahre von Unsicherheit und Bedrohung sind etwas, das bei uns zuweilen in Vergessenheit gerät. Doch egal, mit wem ich gesprochen habe: Es gibt einen großen Mut und eine große Zuversicht. Das hat mich tief beeindruckt.
Nun veranstalten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer am Samstag eine Demo für Frieden zwischen Russland und der Ukraine. Sie hingegen sprechen schon am Freitag auf einer Gegendemo. Warum?
Weil es keinen Frieden geben wird, wenn Russland gewinnt. Nicht für die Ukraine, aber auch nicht darüber hinaus. Wenn Putin mit dieser Aggression durchkommt, wird er als nächstes womöglich Moldau oder Georgien angreifen. Die Menschen in der Ukraine wollen sich verteidigen und für ihre Freiheit und ihr Land kämpfen. Wer wie ich mit den Menschen vor Ort in Kontakt ist, weiß, dass die Äußerungen von Frau Wagenknecht dort wie Hohn wirken.
Es gibt Vorwürfe, dass sich die Initiatorinnen nicht ausreichend von Rechtsextremisten abgrenzten – während Frau Wagenknecht ihrerseits den Grünen attestiert, selbst militaristisch und damit „rechts offen“ zu sein. Was sagen Sie dazu?
Der Vorsitzende der AfD ist einer der Erstunterzeichner des Manifests. Die Linkspartei muss sich fragen lassen, wie sie damit umgehen will, dass eines ihrer bekanntesten Gesichter zusammen mit AfD-Vorsitzenden Papiere unterschreibt. Für uns gilt die regelbasierte Ordnung des Völkerrechts, das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung und ihre Souveränität. Schmutzige Deals mit Russland auf Kosten Dritter machen, ist nichts, wofür wir stehen können. Abgesehen davon muss ich hier mit einem Pappkameraden aufräumen.
Inwiefern?
Es wird so getan, als seien die einen für Diplomatie und die anderen für eine Fortsetzung des Krieges. Aus eigenem Erleben kann ich sagen: Frieden ist alles, nur nicht einfach. Alles dafür zu tun, was möglich ist, ist das Gebot der Stunde. Dazu gehört, dass unsere Außenministerin Annalena Baerbock alle Gesprächsformate nutzt, um voranzukommen. Der Wille im Kreml ist allerdings nicht da. Und es wäre falsch, die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, bis die Ukraine überrannt wird und Putin einseitig Bedingungen diktiert, die keinen Frieden bringen.
Bis heute verstehen sich die Grünen als Friedenspartei, die Führung plädiert aber ziemlich unisono für Waffenlieferungen an die Ukraine. Werden Pazifisten bei Ihnen heimatlos?
Wir sind und bleiben eine Friedenspartei. Der 24. Februar hat uns als gesamte Gesellschaft vor die Frage gestellt, wie wir damit umgehen, wenn ein Land völkerrechtswidrig angegriffen wird, wenn Menschen verschleppt, traumatisiert, ermordet werden. Unsere Partei hat sich mit überwältigender Mehrheit sehr klar positioniert, dazu gibt es auch einen Parteitagsbeschluss. Frieden ist, wie schon gesagt, kompliziert. Wir haben gelernt, dass in Einzelfällen die Unterlassung von militärischer Hilfeleistung zu weit größerem Übel führen kann. Das ist im Falle der Ukraine überdeutlich der Fall.
Müssen nicht auch die Befürworter von Waffenlieferungen einräumen, dass der Krieg noch Jahre dauern kann?
Ich weiß nicht, wie lange das dauert. Ich weiß nur, dass Krieg keine Naturkatastrophe ist, sondern Menschenwille. Der Kreml kann den Krieg jederzeit beenden, wenn er seine Truppen aus dem Nachbarland abzieht. Es ist wichtig, dass die Politik überlegt, wie sie verantwortlich kommuniziert, damit keine Abnutzungseffekte entstehen.
Und wenn es am Ende zu einem Atomkrieg kommt: Hätte der Westen dann etwas falsch gemacht? Oder muss man mit diesem Risiko einfach leben?
Das letzte Jahr hat gezeigt, dass der Kreml keine Ausreden braucht, um Völkerrecht zu brechen und die Friedensordnung in Europa zu beschädigen. Es ist notwendig, vorsichtig mit der Situation umzugehen, damit wir als Nato-Staat da nicht mit reingezogen werden. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass das System Putin auf Angstmache nach innen wie nach außen basiert. Von dieser Angst können wir uns nicht lähmen lassen.