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Auf Fragen nach Putin und Krieg„Beleidigt selbst mich zutiefst“ – Empörung über „zynische“ Wagenknecht-Antworten

Lesezeit 5 Minuten
Sahra Wagenknecht, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), spricht auf einer Veranstaltung. (Archivbild)

Sahra Wagenknecht, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), spricht auf einer Veranstaltung. (Archivbild)

Die Umfragewerte des BSW sind schlecht – und für die jüngsten Aussagen aus den Reihen der Wagenknecht-Partei gibt es scharfe Kritik.

Es läuft nicht rund im Wahlkampf für das Bündnis Sahra Wagenknecht. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl rangiert die Partei in den meisten Umfragen unter der Fünf-Prozent-Hürde – und droht den Einzug in den Bundestag zu verpassen. Ruhig wird es um die Partei unterdessen nicht: Nun sorgen sowohl Interview-Auftritte der Parteigründerin Sahra Wagenknecht als auch die Worte ihres Mitstreiters Fabio De Masi für scharfe Kritik.

So verweigerte Wagenknecht im Interview mit Youtuber Tilo Jung eine Antwort auf die Frage nach dem Existenzrecht der Ukraine, trotz mehrfachen Nachhakens von Jung. Der Youtuber hatte zunächst wissen wollen, ob es denn nicht besser sei, dass die Ukraine trotz Krieg noch existiere, anstatt überrannt worden zu sein. Eine „kühne Behauptung“ sei das, befand Wagenknecht.

Sahra Wagenknecht: Keine klare Antwort zum Existenzrecht

Jung wollte daraufhin wissen, ob Wagenknecht denn nicht froh sei, dass die Ukraine noch existiere. Wagenknecht wollte das nicht beantworten, lavierte und wich aus und warf dem Youtuber schließlich vor, eine falsche Frage gestellt zu haben. Sie werde nicht sagen, dass sie froh sei, dass eine Million Menschen gestorben seien, entgegnete Wagenknecht schließlich. „Natürlich will ich nicht, dass die Ukraine verschwindet“, erklärte sie auch. Aber der Preis für das Fortbestehen sei absurd.

Die Angaben der BSW-Chefin zu den Todeszahlen durch Russlands Krieg sind allerdings grob falsch. Kiew spricht offiziell von 43.000 getöteten ukrainischen Soldaten. Nach einer Zählung des russischen Exilmediums „Mediazone“ sind zudem mindestens 90.000 russische Soldaten getötet worden.

Sahra Wagenknecht verbreitet falsche Zahlen zu Kriegsopfern

Tatsächlich dürften die Zahlen auf beiden Seiten jedoch höher sein. Der Kreml nennt keine offiziellen Verlustzahlen. Westliche Schätzungen belaufen sich jedoch auf bis zu 800.000 Verluste in den Reihen der russischen Armee – überwiegend jedoch durch Verwundungen. Rund 12.000 Zivilisten sind zudem durch Russlands Krieg bisher gestorben.

Dass die Ukraine sich in einem Verteidigungskrieg gegen einen imperialistischen Aggressor befindet, ficht Wagenknecht allerdings nicht an. „Ich wäre froh, wenn die Ukraine den Krieg früher beendet hätte“, erklärte sie im Gespräch mit Jung. Der entgegnete, dass Russland das hätte tun können. Doch Wagenknecht blieb bei ihrem Kurs: „Es gehören zwei Seiten dazu“, sagte sie.

Wirbel um Wagenknecht: „Ich wäre froh, wenn die Ukraine den Krieg früher beendet hätte“

Die BSW-Chefin sieht eine Mitverantwortung der USA und des Westens – obwohl Russland völkerrechtswidrig ein Nachbarland überfallen hat, das nicht gedroht hat, Russland anzugreifen. Nun erklärte Wagenknecht weiter, dass die Ukraine die Grenzen von 2022 akzeptieren sollte, was den Verlust der Krim-Halbinsel bedeuten würde.

Bereits 2014 hatte Russland die Halbinsel annektiert, mit der Invasion im Februar 2022 fielen auch Teile im Osten und Norden der Ukraine unter russische Kontrolle. Nach Kriegsbeginn standen russische Panzerkolonnen kurz vor Kiew. Nach westlichen Waffenlieferungen gelang der Ukraine dann die Befreiung von weiten Teilen des Landes. Derzeit hält Russland lediglich im Osten des Landes noch Territorium.

Wagenknecht-Antwort auf Frage nach Putin sorgt für Wirbel

Für Aufregung sorgte Wagenknecht kurz darauf dann auch in der ARD-Talksendung „hart aber fair“, auch dort wurde der BSW-Chefin eine Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort gestellt. „Ist Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher?“, wollte Moderator Louis Klamroth von Wagenknecht wissen. Erneut gab es keine klare Antwort.

„Wer einen Krieg beginnt, ist verantwortlich für Kriegsverbrechen“, erklärte Wagenknecht und schob hinterher: „Aber ich bin erstaunt, dass das immer nur bei Wladimir Putin zum Thema gemacht wird und nicht bei den amerikanischen Präsidenten, die auch viele Kriege begonnen haben.“ Klamroth zeigte sich erstaunt über die lange Antwort – und fragte die anderen Gäste dasselbe. Bei Christian Lindner (FDP), Dorothee Bär (CSU) und Jan van Aken (Linke) gab es die gewünscht kurzen Antworten. Bei allen lautete sie: „Ja.“

„Paradebeispiel für Relativismus und Whataboutismus“

Wagenknechts Verhalten sei ein „Paradebeispiel für Relativismus und Whataboutismus“, schrieb der ukrainische Botschafter in Deutschland Oleksii Makeiev zu Wagenknechts Talkshow-Auftritt. Auch der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy fand deutliche Worte für die BSW-Chefin.

Er habe eigentlich „längst aufgehört“, sich über Sahra Wagenknecht zu ärgern, schrieb Trubetskoy auf der Plattform X. „Dass diese zynische Opportunistin aber von der Ukraine und nicht von Russland die Beendigung eines grundlosen Krieges fordert, beleidigt selbst mich zutiefst“, fügte der Journalist an. Wagenknecht sei nicht „doof“, umso mehr seien die Aussagen „eine Schande“.

Wagenknechts Worte über die Ukraine: „Eine Schande“

Welche Ziele Kremlchef Putin in der Ukraine verfolge, könne man zudem bereits in einem Essay aus dem Jahr 2021 nachlesen, erklärte Trubetskoy. Dem Kreml gehe es schlichtweg um die„ Vernichtung der ukrainischen Staatlichkeit“, erklärte Trubetskoy.

Wagenknecht und ihre Gefolgschaft negieren diesen Kriegsgrund seit jeher – nach Ansicht des BSW handelt es sich um einen vom Westen provozierten Krieg. Diese Ansicht vertrat zu Wochenbeginn auch BSW-Politiker Fabio De Masi, der nach einer Rede im EU-Parlament ebenfalls in die Kritik geraten ist.

Scharfe Kritik auch an BSW-Politiker Fabio De Masi

De Masi hatte zuvor die Legende von einer möglichen Verhandlungslösung im Frühjahr 2022 bemüht. Die Behauptung, dass bei den damaligen Verhandlungen in Istanbul eine für die Ukraine tragbare Einigung möglich gewesen wäre, wurde bereits vielfach widerlegt und von Kiew stets bestritten. „Die Ukrainer wurden verraten“, erklärte De Masi dennoch.

„Man hat sie in einem nicht gewinnbaren und vermeidbaren Stellvertreterkrieg geopfert – statt eine politische Lösung zu suchen und wechselseitige Sicherheitsgarantien zu ermöglichen.“ Auch De Masi sprach bei seinem Auftritt von „einer Million Toten und Verletzten“ und behauptete, der Krieg sei nur geführt worden, um „die Neutralität abzuwenden“.

„Wer BSW wählt – wählt Putin!“

„Ein Lakai der Führerin verbreitet Kreml-Narrative im EU-Parlament“, kommentierte der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk den Auftritt mit harten Worten. „Nein, das ist nicht unter seinem Niveau, das ist sein menschenfeindliches, ukrainefeindliches, kremlfreundliches Niveau! Wer BSW wählt – wählt Putin!“, fügte Kowalczuk an.

Auch der Politikwissenschaftler Andreas Umland attestierte De Masi, „Moskaus Apologetik für einen Expansions- und Vernichtungskrieg“ zu verbreiten. Die russische Feindschaft gegenüber ukrainischer Nationsbildung und imperiale Ambition sei bereits lange vor Gründung der EU und Nato hoch gewesen, so der Osteuropa-Experte.