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EU-DatenschutzKita schwärzt alle Erinnerungsfotos wegen neuer Verordnung

Lesezeit 4 Minuten
Datenschutz für kleine Kinder

Die Gesichter mit einem Edding unkenntlich gemacht. Wie hier auf unserem Symbolbild haben die Erzieherinnen die Erinnerungsfotos bearbeitet. 

Dormagen – In die Abschlussmappe hatten die Erzieherinnen besonders viel Liebe reingesteckt. Seitenweise handschriftlich verfasste Eintragungen, die den kleinen Jakob (Name von der Redaktion geändert) an seine wundervolle Zeit in der Kita St. Katharina im Dormagen Ortsteil Hackenbroich erinnern sollten. Dazu natürlich Bilder, denn nichts hilft dem Gedächtnis später mehr auf die Sprünge, als Fotos aus vergangenen Zeiten.

Doch viel Freude wird der kleine Jakob an den Aufnahmen vermutlich nicht haben. Denn bis auf sein eigenes sind die Gesichter sämtlicher Kindergartenfreunde mit Edding geschwärzt worden. Auch die Erzieherinnen sind nicht mehr zu erkennen. Selbst der Heilige St. Nikolaus, auf dessen Schoß Jakob in einer Aufnahme sitzt, wurde mit einem schwarzen Balken vor den Augen versehen und sieht so ein wenig aus wie ein Gauner.

Gesetz mit Unklarheiten

Grund für die absurd anmutende Erinnerungskladde des sechsjährigen Buben ist ein Gesetzesmonster, das Politiker in Brüssel geschaffen haben und das seit 25. Mai 2018 nach zweijähriger Probezeit Anwendung findet: Die EU-Datenschutzgrundverordnung, kurz DSGVO.

Fast jeder dürfte sich erinnern, als vor etwa zwei Monaten Dutzende Mails im Postfach eingingen. In diesen Mails forderten Unternehmen dazu auf über einen Link zu bestätigen, dass man auch weiterhin den Newsletter erhalten oder aber beworben werden wolle.

In ihren elf Kapiteln und 99 Artikeln regelt die DSGVO alle möglichen Verwendungen von personenbezogenen Daten. Damit sollen vor allem die Bürger der EU vor der Verwendung ihrer Daten durch Unternehmen deutlich besser geschützt werden. Dennoch gibt es zahlreiche Unklarheiten.

Künftig keine Gruppenfotos mehr

Viele Einrichtungen, so auch Kindertagesstätten, sind nicht sicher, wie sie mit Bildern umgehen sollen, die sie zu Dokumentationszwecken oder als Erinnerung machen lassen. „Es ist juristisch ein hochsensibles Thema“, sagt die Leiterin der Kita St. Katharina. „Ich habe nur die Weisung des Trägers befolgt.“ Sogar eine eigene Schulung habe sie als Verantwortliche erhalten. Künftig, erzählen Eltern, wolle die Kita die Gruppenbilder sogar komplett streichen.

„Als ich das Buch meines Sohnes gesehen habe, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll“, sagt Jakobs Mutter. „Durch die Schwärzungen ist die ganze Mühe, die man sich gemacht hat, fast umsonst gewesen. Was soll er damit später noch anfangen?“, fragt die 25-Jährige. „Das ist einfach nur traurig.“

Die Frage, die die Mutter des Jungen, aber auch viele andere Eltern nun beschäftigt: Hat die Kita-Leitung richtig gehandelt oder ist sie bei der Beachtung der neuen Richtlinien, bei deren Verstoß mitunter hohe Geldstrafen drohen, aus Furcht oder Unkenntnis übers Ziel hinausgeschossen?

Regeln der katholischen Kirche

Die Frage ist tatsächlich nicht so einfach zu klären. Die DSGVO hat vermutlich viele Betroffene verzweifelt in die Tischplatte beißen lassen, denn sie ist in vielerlei Hinsicht kaum zu verstehen. „Die Datenschutzverordnung ist sehr abstrakt“, sagt Daniel Strunk, Sprecher der Datenschutzbeauftragten des Landes NRW. „Wir haben sehr viele Anfragen und manches ist nicht so einfach zu beantworten.“

Der Fall der Kita St. Katharina sei so einer. Kirchliche Einrichtungen sind obendrein ein Sonderfall. Auf Grundlage der DSGVO haben die Datenschutzbeauftragten der Diözesen das Kirchliche Datenschutzgesetz (KDG) erarbeitet, das manche Regeln sogar noch restriktiver auslegt. Auch hier hat die unklare Rechtslage seltsame Blüten getrieben.

So hat die Erzdiözese Freiburg den Livestream von Gottesdiensten vorübergehend gestoppt, weil zuvor alle Zelebranten, Ministranten, Lektoren, Chorsänger und auch alle Gottesdienstbesucher eine schriftliche Zustimmung zur Übertragung hätten abgeben müssen. Bei Minderjährigen hätten die Eltern sogar jedes einzelne Bild freigeben müssen.

Von Fällen wie den von St. Katharina hat das Katholische Datenschutzzentrum in Dortmund, das auch für das Kölner Erzbistum zuständig ist, noch nichts gehört. Zwar wisse man auch hier um die große Verunsicherung, „eine Anweisung, dass Bilder zu schwärzen wären, ist mir aber nicht bekannt“, sagte Stephanie Melzow vom Datenschutzzentrum. Grundsätzlich jedoch würden die neuen Verordnungen die Persönlichkeitsrechte von Minderjährigen in besonderer Weise schützen.

Einwilligung im Betreuungsvertrag reicht nicht

Die Einwilligung, dass ihr Kind fotografiert werden darf, unterschreiben die Eltern normalerweise beim Abschluss des Kita-Betreuungsvertrages. Im Fall der Kita St. Katharina aber sei die Erklärung „eher eine Art Generalvollmacht, die dem erhöhten Schutzniveau des Datenschutzrechts nicht gerecht wird“, so Melzow.

Die Eltern müssten überschauen können, in welche Veröffentlichungen von welchen Bildern sie konkret einwilligen. Um den neuen Datenschutz-Anforderungen gerecht zu werden, müssten einige standardisierte Verfahren, wie auch das Einholen von Einwilligungserklärungen, überarbeitet werden.

Richtlinie der Stadt Köln

Auch die Stadt Köln arbeitet nach eigener Auskunft an einer neuen Richtlinie, die sich derzeit in der verwaltungsinternen Abstimmung befinde. „Die Leitungen der Kindertageseinrichtungen werden neue Vordrucke erhalten, die auch bei Eltern für noch mehr Klarheit und Transparenz sorgen sollen“, sagte Pressesprecher Jürgen Müllenberg.

Von geschwärzten Gruppenbildern aber habe auch er keine Kenntnis. Es scheint, als seien die Erinnerungsmappen von St. Katharina einzigartig.