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EntscheidungEU-Staaten einigen sich auf beispielloses Vorgehen gegen Ungarn

Lesezeit 4 Minuten
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban trifft zum EU-Gipfel im Gebäude des Europäischen Rates ein. Er sieht angespannt aus und runzelt die Stirn.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban trifft zum EU-Gipfel im Gebäude des Europäischen Rates ein. (Archivbild)

Reicht die Mehrheit oder reicht sie nicht? Bis zuletzt war unklar, ob neben Deutschland noch genügend andere Länder für das Einfrieren von EU-Geldern für Ungarn stimmen. Nun gibt es Klarheit. Für Ungarns Ministerpräsidenten Orban könnte es ungemütlich werden.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat im Kampf gegen den Entzug von EU-Mitteln für sein Land eine große Niederlage erlitten. Wegen der Sorge, dass Gelder in Ungarn wegen unzureichender Korruptionsbekämpfung veruntreut werden, sollen nach einer Mehrheitsentscheidung im Kreis der anderen EU-Staaten bis auf Weiteres 6,3 Milliarden Euro blockiert werden. Dies teilte die derzeitige tschechische EU-Ratspräsidentschaft in der Nacht zum Dienstag, 13. Dezember, nach einer Sitzung der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel mit.

Die nur noch formal zu beschließende Einigung hat historische Dimension, ein solches Vorgehen gegen einen EU-Staat gab es zuvor noch nie. Die Summe von 6,3 Milliarden Euro liegt um rund 1,2 Milliarden Euro niedriger als von der EU-Kommission vorgeschlagen und von Ländern wie Deutschland gewünscht. Die Einigung gilt aber dennoch als großer Erfolg, da Ungarn nun unter Druck steht, weitere Reformen zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit umzusetzen. Reduziert wurde die Summe, weil mehrere EU-Staaten anerkennen wollten, dass die rechtsnationale Regierung von Orban in den vergangenen Wochen bereits Anstrengungen in diese Richtung unternommen hat.

Einigung auch bei anderen Themen

Zudem brachten andere EU-Staaten Ungarn am Montagabend, 12. Dezember, dazu, den wochenlangen Widerstand gegen neue Ukraine-Hilfen und eine wichtige Richtlinie zur Umsetzung der internationalen Mindeststeuer für große Unternehmen aufzugeben. Hintergrund war laut Diplomaten die Drohung von Ländern wie Deutschland, eine Genehmigung des ungarischen Plans zur Verwendung von EU-Corona-Hilfen zu blockieren. Dies hätte zur Folge gehabt, dass am Jahresende 70 Prozent der zur Verfügung stehenden EU-Mittel von 5,8 Milliarden Euro unwiderruflich verfallen.

Der ungarische Corona-Hilfen-Plan wurde am Montagabend nach der ungarischen Zustimmung zur Mindeststeuerrichtlinie und den Ukraine-Hilfen vom Ausschuss der ständigen Vertreter gebilligt. Dies bedeutet allerdings lediglich, dass keine Mittel verfallen. Auszahlungen sollen erst dann erfolgen können, wenn insgesamt 27 Voraussetzungen erfüllt sind. Diese betreffen zum Beispiel die Wirksamkeit der neu eingerichteten „Integritätsbehörde“ zur Überprüfung von mutmaßlichen Korruptionsfällen und das Verfahren für die gerichtliche Überprüfung staatsanwaltlicher Entscheidungen. Damit soll sichergestellt werden, dass rechtsstaatliche Standards eingehalten und EU-Gelder in dem Land nicht veruntreut werden.

Ungarns finanzielle Schwierigkeiten

Dass Orbans Regierung unter Druck gesetzt werden konnte, dürfte nach Angaben von EU-Diplomaten auch an der finanziell angespannten Lage in dem knapp zehn Millionen Einwohner zählenden Land liegen. So steht die ungarische Wirtschaft am Rande einer Rezession und die Kritik an Orbans Wirtschaftspolitik nimmt zu. Jüngst musste die Regierung sogar eine seit mehr als einem Jahr geltende Benzinpreisdeckelung mit sofortiger Wirkung aufheben, weil sie deren Funktionieren nicht mehr sicherstellen konnte.

Warum der Deal so wichtig ist

Gefeiert wurde die Einigung in der Nacht zum Dienstag insbesondere auch wegen der Beschlüsse zur Mindeststeuer und zu den Ukraine-Hilfen. Ziel der Mindeststeuer ist es, die Verlagerung von Unternehmensgewinnen in Steueroasen zu verhindern. Internationale Firmen mit mindestens 750 Millionen Euro Umsatz pro Jahr sollen demnach unabhängig von ihrem Sitz mindestens 15 Prozent Steuern zahlen.

Bei den Ukraine-Hilfen geht es darum, dem von Russland angegriffenen Land im kommenden Jahr über die EU Kredite in Höhe von insgesamt bis zu 18 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Das Geld soll es unter anderem ermöglichen, laufende Ausgaben für Rentenzahlungen, Krankenhäuser und Schulen zu decken. Wegen eines Vetos von Ungarn sah es bis Montag so aus, als könnten die notwendigen Garantien für die Kredite nicht wie vorgesehen über den EU-Haushalt bereitgestellt werden. Als Notfalllösung war am Wochenende bereits ein Plan B erarbeitet worden, der nationale Garantien erfordert hätte.

Wie es weitergeht

Notwendig zur endgültigen Annahme der Entscheidungen sind nun noch formale Beschlüsse des EU-Ministerrats. Sie sollen in einem schriftlichen Verfahren bis zum EU-Gipfel am Donnerstag gefasst werden. Damit soll gewährleistet werden, dass sich sie Staats- und Regierungschefs um andere Themen wie die Energiekrise kümmern können. Für die Entscheidungen zur Mindeststeuerrichtlinie und den Ukraine-Hilfen braucht es Einstimmigkeit. Der bislang beispiellosen Maßnahme gegen Ungarn müssen mindestens 15 der 27 EU-Staaten zustimmen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.

Die Bundesregierung hatte bereits in den vergangenen Tagen ihre Zustimmung zum harten Vorgehen gegen Ungarn signalisiert und sich für das Einfrieren von rund 7,5 Milliarden Euro ausgesprochen. „Hier geht es um unsere Werte, um unsere Rechtsstaatlichkeit als Europäische Union im Ganzen“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Montag am Rande eines Treffens mit Kolleginnen und Kollegen der anderen EU-Mitgliedstaaten in Brüssel. (dpa)