Düsseldorf – Die Familienpolitik soll zu einem zentralen Thema im bevorstehenden Landtagswahlkampf werden. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst ist Vater einer kleinen Tochter. Vor seiner Wahl zum Regierungschef ließ er sich symbolträchtig mit einem Kinderwagen ablichten. Viel Zeit für das Familienleben bleibt dem CDU-Politiker allerdings nicht. Eine Stunde am Tag gehöre seiner „Pippa“, sagte Wüst im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Haben beruflich stark eingespannte Männer überhaupt eine Chance, gute Väter zu sein? Darüber haben wir mit dem Sozialpädagogen Heiner Fischer aus Krefeld gesprochen. Er coacht Männer, die Probleme haben, Familie und Beruf vereinbaren zu können.
Ein aktiver Vater sollte die Aufgaben gleichberechtigt mit seiner Partnerin aufteilen. Dabei geht es nicht nur darum, den Kindern abwechselnd abends eine Geschichte vorzulesen. Er sollte Zeit mit den Kindern verbringen, sie im Alltag möglichst oft begleiten und wissen, wer die Kita-Freunde sind und wie die Erzieherinnen heißen. Sowas wissen meist nur die Mütter. Ihre Belastung wird oft völlig unterschätzt.
Wenn man sich umhört, sind offenbar recht viele Männer der Meinung, ein guter Vater zu sein…
Das stimmt. Manche dieser vermeintlich aktiven Väter kennen aber noch nicht mal die Augenfarbe ihrer Kinder genau. Sie meinen, es wäre eine große Entlastung für ihre Partnerin, wenn sie mit den Kindern am Samstagmorgen Brötchen holen, während die Frau den Tisch deckt.
Na ja. Tatsächlich nehmen rund 40 Prozent der Väter Elternzeit, aber in der Regel nur zwei Monate. Die Zeit wird aber oft nicht für die Familie, sondern für andere Projekte genutzt. Die einen Pflastern die Einfahrt neu, bauen die Wohnung um oder machen eine Reise. Nur wenige machen sich Gedanken darüber, wie sie eine gleichberechtigte Elternschaft nach der Elternzeit gestalten wollen. Am Ende arbeitet der Vater wieder Vollzeit, und die Betreuung bleibt fast vollständig bei der Mutter hängen. Bevor Paare Kinder bekommen, führen sie meist eine ausgewogene Beziehung. Wenn das erste Kind kommt, droht ein Rückfall in die Rollenmuster der 50er Jahre. Das ist Gift für jede Beziehung.
90 Prozent der Väter arbeiten Vollzeit. Sie fühlen sich nicht nur der Familie, sondern auch ihrer Arbeit verpflichtet…
Ja, das ist ein Loyalitätskonflikt, den man auflösen muss. Leider wird die Fürsorgekompetenz von vielen Arbeitgebern immer noch ausschließlich der Mutter zugesprochen. Die gucken die Väter verständnislos an, wenn sie eine Dienstreise nach China absagen, weil die Schuluntersuchung ansteht. Viele Männer haben gleichzeitig mit einer Orientierungskrise zu kämpfen. Sie haben es von ihren Vätern nicht gelernt, Erziehungskompetenzen auszuüben, an andere zu denken und Fürsorgearbeit zu übernehmen.
Oft wird Ihnen das auch von den Müttern nicht zugetraut…
Manche Kinder schlafen ja nur ein, wenn die Mutter neben ihnen liegt. Das kann frustrierend für die Väter sein. Da ist es hilfreich, wenn die Mutter vielleicht mal einen Spaziergang macht, um nicht sichtbar zu sein. Wir brauchen die Mütter, damit Männer eigene väterlichen Kompetenzen erwerben können. Früher hat die Vaterrolle sich oft ja darauf beschränkt, härter durchzugreifen als die Mütter.
Sollten aktive Väter ihre Diensthandys am Wochenende abschalten, um sich besser auf die Familie konzentrieren zu können?
Natürlich, und nicht nur am Wochenende. Hier wird der Loyalitätskonflikt zwischen Familie und Beruf mehr als deutlich. Wenn ich für meine Kinder da bin, darf mein Kopf nicht mit beruflichen Projekten beschäftigt sein. Väter sollen nicht nur körperlich anwesend sein, sondern involviert und engagiert ihre Kinder begleiten. In Erwartung einer ständigen Verfügbarkeit für den Job kann aktive Vaterschaft so nicht gelingen.
Bei aktiven Vätern sinkt der Testosteronspiegel
Müssen aktive Väter sanfte Typen sein?
Bei Vätern, die sich intensiv mit ihren Kindern beschäftigten, sinkt der Testosteronspiegel von selbst. Auch auf die Kinder hat eine partnerschaftliche Erziehung positive Effekte. So haben Mädchen, die von aktiven Vätern erzogen werden, in ihrem späteren Leben meist stabilere Beziehungen.
Sind Arbeitgeber, die selbst Kinder haben, die besseren Chefs?
Oft leider nicht. Denn Sie wären ja nicht Chefs geworden, wenn sie sich nicht besonders intensiv in die Arbeit gekniet hätten, wobei sie ihre Familie möglicherweise vernachlässigt haben.
Ist denn Arbeitszeitreduzierung die einzige Chance, sich als Vater verwirklichen zu können?
Das ist auf jeden Fall hilfreich. Am wichtigsten ist aber die Grundhaltung und die Motivation, dass man ein aktiver Vater sein will. So wie bei einem Bergsteiger. Für den ist das Klettern keine Last. Im Gegenteil, der hat da voll Bock drauf.
Am Ende urteilen die Kinder
Hat ein Vater, der Ministerpräsident ist, überhaupt Zeit für eine aktive Vaterschaft?
Ob Hendrik Wüst ein aktiver Vater ist, wird am Ende seine Tochter beurteilen müssen. Er wird sich am Ende also an seinen Taten messen lassen müssen, nicht am Anschein, den Fotos erwecken.