Viele Deutsche nehmen Rückschritte in der Qualität der Bildung wahr, zeigt eine Umfrage. Ein umstrittener Verbesserungsvorschlag: mehr Kompetenzen für den Bund.
Forsa-UmfrageGroße Unzufriedenheit mit Schulsystem – Föderalismus als Grund von Problemen?
Eine große Mehrheit der Deutschen ist unzufrieden mit den Schulen und der Bildungspolitik in Deutschland: So finden 85 Prozent der Bundesbürger, dass die Kinder hierzulande durch die Schulen nicht ausreichend auf das Leben nach dem Abschluss vorbereitet sind. Lediglich 13 Prozent glauben, die Schüler werden mit den notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattet. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Instituts Forsa im Auftrag des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND).
In Ostdeutschland ist die Unzufriedenheit demnach noch etwas größer (89 Prozent) als in Westdeutschland (85 Prozent). In der Frage besteht große Einigkeit zwischen den Anhängern aller im Bundestag vertretenen Parteien, wobei unter den SPD-Wählern der relativ kleinste Anteil an Unzufriedenen ist (79 Prozent) und unter den AfD-Wähler der größte (91 Prozent).
Nur ein Viertel glaubt, dass die alleinige Länderkompetenz in Bildungsfragen richtig ist
Ebenfalls nur 13 Prozent glauben, dass die heutigen Schulabgänger besser qualifiziert sind als die vor 30 oder 40 Jahren. Mehr als die Hälfte der Befragten (57 Prozent) gehen davon aus, dass man die Schule heute schlechter qualifiziert verlässt als früher. 24 Prozent vermuten keinen Unterschied.
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Angesichts der großen Unzufriedenheit sprechen sich fast drei von vier Deutschen (73 Prozent) für eine stärkere Zentralisierung der Bildungspolitik aus. Nur knapp ein Viertel hält es für richtig, dass allein die Bundesländer zuständig sind. Dem Bund mehr Kompetenzen und Mitspracherecht zu geben, fordert eine klare Mehrheit aller Bevölkerungs- und Wählergruppen.
Zehntausende marode Schulgebäude und akuter Lehrermangel
Rund 630.000 junge Menschen, die 2021 weder die Schule besuchten, noch in einer Ausbildung waren oder einen Job hatten; fast 50.000 Jugendliche, die jährlich die Schule ohne Abschluss verlassen; eins von fünf Kindern, das beim Übergang in die weiterführende Schule über keine ausreichenden Kompetenzen in Deutsch oder Mathematik verfügt: Das ist nur eine kleine Auswahl von ernüchternden Zahlen, die belegen, wie schlecht es um die Bildung in Deutschland bestellt ist. Zehntausende marode Schulgebäude sowie ein akuter Lehrermangel kommen hinzu.
Mitunter gibt es eine Diskrepanz zwischen objektiven Daten und der öffentlichen Wahrnehmung eines Problems. Doch beim Thema Bildung decken sich die Ansichten der Bevölkerung mit den Befunden aus der Statistik. Die Umfrageergebnisse zeigen sehr deutlich, was die Menschen vom Bildungssystem halten: So gut wie nichts.
Während die für die Bildung zuständigen Kultusminister der Länder nicht so gern über eine Krise sprechen, redet wenigstens Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) inzwischen Klartext. Die Misere habe sich über Jahre aufgebaut, die Schulschließungen während der Corona-Pandemie hätten die Bildungskrise aber noch verstärkt.
„Besonders betroffen sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien“, heißt es in einem Thesenpapier der Ministerin. „Ein Weiter-so darf es nicht geben“, fordert die FDP-Politikerin darin. Denn in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland sei gute Bildung die wichtigste Grundlage für Wachstum und Wohlstand. Und: „Die soziale Herkunft darf nicht länger über den Bildungserfolg eines Menschen entscheiden“, mahnt die Ministerin.
Als Stark-Watzinger es dann aber wagte, mehr Kompetenzen des Bundes in der Bildungspolitik zu fordern, zeigten die Länder ihr umgehend die kalte Schulter. Zu einem von der Ministerin organisierten „Bildungsgipfel“ Mitte März erschien die Mehrheit der Kultusministerinnen und Kultusminister nicht.
Dabei hatte Stark-Watzinger zu diesem Zeitpunkt ihre Forderung, der Bund solle zumindest die Verantwortung für die Digitalisierung der Schulen übernehmen, gar nicht wiederholt. Sie schlug stattdessen eine „Task Force Bildung“ vor, in der die „Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen, Wissenschaft und Gesellschaft“ neu gedacht werden solle, wie die Ministerin schwammig formulierte. Wenn Du nicht mehr weiter weißt – so heißt ein Politiker-Bonmot – dann bilde einen Arbeitskreis.
Ziel: Halbierung der Abbruchquote von Schülern
In der eigenen Koalition wird der Vorstoß gleichwohl unterstützt. In der Task-Force müssten neben Vertretern von Bund und Ländern aber auch Kommunen, Vertreter der Zivilgesellschaft und Bildungsforscher mit am Tisch sitzen, fordert der Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses, Kai Gehring. „Die Bildungsforschung weiß zu den Fragen von Integration, Inklusion und Bildungsgerechtigkeit sehr viel, doch ihre Erkenntnisse werden bisher zu wenig genutzt“, sagte der Grünen-Politiker dem RND.
Eine erste Aufgabe für das Gremium sei, konkrete Bildungsziele zu definieren. „Ein Ziel muss sein, dass jeder Viertklässler die Mindeststandards beim Lesen, Schreiben und Rechnen erfüllt“, betonte Gehring mit Blick auf die sinkenden Kompetenzen in dieser Altersklasse. Auch eine Halbierung der Schulabbruch-Quote müsse als Ziel definiert werden.
Sinn mache die Task-Force aber nur, wenn die Beschlüsse für alle verbindlich seien, mahnte der Bildungsexperte. „Die Task-Force wird nur erfolgreich wirken, wenn am Ende ein verbindliches Abkommen steht – wie ein Bildungsstaatsvertrag -, an das sich dann auch tatsächlich alle halten“, betonte Gehring. Er sei optimistisch, dass das gelingen könne. „In der Bildungspolitik haben alle erkannt, dass es fünf vor Zwölf ist“, so der Bildungsexperte. „Wenn wir nicht beherzt handeln, wächst das Risiko, dass wir durch die Kombination aus Bildungskrise und Fachkräftemangel in massive innenpolitische Probleme hineinschlittern“, warnte der Grünen-Politiker.
Gehring sprach sich zugleich dafür aus, umgehend mehr für die sozial Benachteiligten zu tun. Er forderte, das geplante Startchancen-Programm für die Förderung von Schulen in sozialen Brennpunkten früher als geplant zu starten und zudem mehr Geld zur Verfügung zu stellen. „Wenn die konzeptionelle und politische Einigung steht, sollte sofort losgelegt werden, nicht erst im Herbst kommenden Jahres zum Schuljahr 2024/2025?“, sagt er. Das Programm sei nicht zwingend an den Beginn eines Schuljahres gekoppelt, sondern könnte auch stufenweise beginnen, beispielsweise zunächst für Grundschulen.
Nach Ansicht des Grünen-Politikers sollten zudem die Mittel des Bundes für das Programm über die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) bisher zugesagte „Bildungsmilliarde“ hinaus erhöht werden. „Der Bund sollte hier noch einmal nachlegen und Investitionen dafür priorisieren“, so Gehring. Die Bundesländer forderte der Ausschuss-Vorsitzende auf, sich in gleicher Höhe wie der Bund zu beteiligen. „Gerechtere Chancen für alle müssen diesem Land mehr wert sein“, mahnte der Bildungsexperte.
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