Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte verhindern, dass die Bevölkerung für Extreme stimmt. Das dürfte ihm mit der Rentenreform misslungen sein.
Umfragewerte von Rechtspopulisten steigen70 Prozent der Franzosen haben eine schlechte Meinung von Macron
Um 20.00 Uhr sind die Franzosen am Montag (17. April) aufgerufen, mit Topfdeckeln vor den Rathäusern Lärm zu machen. Die Gewerkschaften wollen auf diese Weise zeigen, dass es sie nicht interessiert, was Präsident Emmanuel Macron zur selben Zeit in seiner TV-Ansprache zu sagen hat. Und sie machen klar, dass der Protest gegen die Rentenreform fortgesetzt wird, ungeachtet der Tatsache, dass die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre seit Samstag Gesetz ist.
Macron, der vor einem Jahr noch im Amt bestätigt wurde, steht vor einem gewaltigen Scherbenhaufen. Zwar hat er sein Reformprojekt durchgedrückt, mit dem er sich unter anderem auf EU-Ebene als guter Schüler profilieren wollte, aber die Enttäuschung im Land sitzt tief. Das Bild einer Machtübergabe an die Rechtspopulistin Marine Le Pen dürfte sowohl deren Anhängern als auch ihren Feinden immer häufiger vor Augen stehen.
„Sie kommt auf 39 Prozent Zustimmung, nur noch einen Punkt vom Ex-Premierminister Edouard Philippe entfernt, das hat es noch nie gegeben“, sagt der Meinungsforscher Brice Teinturier am Montag dem Sender France Info.
„Es ist ganz klar, dass der Rassemblement National („Nationale Versammlung“, Partei von Le Pen) am meisten von der Krise profitiert“, fügt er hinzu. Dabei habe Le Pen nichts weiter getan, als abzuwarten und sich in ihrer Ablehnung der Reform weniger radikal zu zeigen als die linkspopulistische Partei La France Insoumise (LFI).
70 Prozent der Franzosen haben ein schlechtes Bild von ihrem Präsidenten
Macron war angetreten mit dem Versprechen, den Franzosen keinen Grund mehr zu geben, für Extreme zu stimmen – doch bislang hat er das genaue Gegenteil erreicht. Gut 70 Prozent der Franzosen haben derzeit eine schlechte Meinung von ihm. Viele seiner engen Berater und Unterstützer haben sich mittlerweile von ihm abgewandt. Mit seiner TV-Ansprache will Macron versuchen, ein neues Kapitel aufzuschlagen und neue Themen zu setzen.
Dass er sich für eine Rede und nicht für ein Interview entscheiden hat, zeigt, wie wenig Lust er hat, zur Rentenreform und der als brutal empfundenen Vorgehensweise Rede und Antwort zu stehen. Doch die Botschaft könnte weitgehend ungehört verhallen. „Ein Großteil der Bevölkerung ist für ihn gar nicht mehr ansprechbar“, sagt Teinturier.
Nach Ansicht von Le Pen hat Macron nun drei Möglichkeiten: Rücktritt, ein Volksentscheid oder Neuwahlen. Alle drei sind wenig realistisch.
Neuwahlen würden vermutlich dazu führen, dass Macrons Lager Stimmen verliert, aber weder die Rechts- noch die Linkspopulisten eine klare Mehrheit bekommen. Dem Land würde eine Dauerblockade drohen.
Wahrscheinlicher ist, dass die Regierung noch weiter nach rechts rückt – ohne aber eine echte Koalition mit den konservativen Republikanern einzugehen. Macron wolle seine Ziele bekräftigen, hieß es aus seinem Umfeld. Konkret genannt wurden „republikanische Ordnung, Vollbeschäftigung, Neuindustrialisierung und Fortschritte im Alltagsleben“.
„LOL“: Gewerkschaften lehnen Gespräch mit Macron ab
Dass ausgerechnet Macron sich nun als Garant der Ordnung gibt, dessen wenig sensibles Vorgehen bei der Reform die von Gewalt geprägten Proteste ausgelöst hat, dürfte nicht sehr viele Franzosen überzeugen. Erwartet wird auch, dass er – wie auch nach der Gelbwestenkrise 2018/19 – wieder mehr durch das Land reist und den Kontakt zur Bevölkerung sucht.
Macron will auch den Dialog mit den Gewerkschaften wieder aufnehmen, was diese jedoch längst abgelehnt haben. „LOL“ (übersetzt: Ich lache mich kaputt), hatte die neue CGT-Gewerkschaftschefin Sophie Binet darauf geantwortet. Wenn der Präsident mit seiner Rentenreform eines erreicht hat, dann ist es die Einheit der bislang gründlich zerstrittenen Gewerkschaften.
Für den 1. Mai haben sie erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten gemeinsam zu Protestveranstaltungen aufgerufen. Der letzte gemeinsame Gewerkschaftsaufruf zum 1. Mai war 2002 - damals ging es darum, den Einzug des rechtsextremen Jean-Marie Le Pen in den Elysée zu verhindern, der überraschend in die Stichwahl gekommen war. Der 94-Jährige liegt derzeit mit Herzproblemen im Krankenhaus. Seine Tochter Marine Le Pen könnte eines Tages erreichen, was ihr Vater nicht geschafft hat. (AFP)