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G20 in Rio de Janeiro – Der Gipfel der lahmen Enten

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Auf diesem vom brasilianischen Präsidentenamt zur Verfügung gestellten Bild nimmt Luiz Inacio Lula da Silva (3.v.r), Präsident von Brasilien, an dem Auftakttreffen der Task Force der neuen Globalen Allianz gegen Hunger und Armut teil. (Archivbild)

Auf diesem vom brasilianischen Präsidentenamt zur Verfügung gestellten Bild nimmt Luiz Inacio Lula da Silva (3.v.r), Präsident von Brasilien, an dem Auftakttreffen der Task Force der neuen Globalen Allianz gegen Hunger und Armut teil. (Archivbild)

Der Westen gibt vor dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro kein gutes Bild ab, findet Südamerika-Korrespondent Tobias Käufer.

Es ist ein bizarres Bild, das sich am Wochenende vor dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro zeigt: Immer wieder rasen Motorrad-Karawanen mit Blaulicht und Sirene über die Avenida Atlantica und setzen irgendwelche Delegationen im „Hotel Copacabana Palace“ ab. Auf der anderen Seite der sechsspurigen Straße aber tobt das Nachtleben in den Strandbars. Es wird gesungen, getanzt, geflirtet.

Nach Papstbesuch, WM, Olympia und Madonna-Millionenkonzert sind die „Cariocas“, wie die Einwohner Rio de Janeiros genannt werden, Großevents gewohnt und machen einfach weiter, als gäbe es nichts Besonderes. Immerhin zwei zusätzliche freie Tage bringt ihnen das Treffen der wirtschaftlich führenden Nationen der Welt. Ohne Berufsverkehr, so das Kalkül der Organisatoren, können die Delegation einfacher durch die Riesenmetropole kutschiert werden.

Diskussionen über zukünftige US-Regierung unter Trump

Vielleicht ist das Desinteresse der Brasilianer aber auch deshalb so groß, weil die Erwartungshaltung überschaubar ist. Es ist ein Treffen der lahmen Enten: US-Präsident Joe Biden absolviert nach seinem Besuch beim Pazifikgipfel in Peru seine Abschiedstournee in Südamerika. Längst diskutieren die Lateinamerikaner was von einer künftigen Regierung unter Donald Trump und einem „Latino-Außenminister“ Marco Rubio zu erwarten ist.

Kolumnist Andres Oppenheimer vom „Miami Herald“ vermutet: „Rubio will eine Koalition konservativer lateinamerikanischer Präsidenten erschaffen, um der linken Welle in der Region entgegenzuwirken.“ Vorneweg mit Javier Milei in Argentinien und Nayib Bukele in El Salvador. Das zu erfahren wäre spannend, doch erst einmal gilt es Joe Biden zu verabschieden.

In Südamerika wächst der Unmut über die zögerlichen Europäer

Und die Europäer: Scheinen einmal mehr knapp zu scheitern, wenn es darum geht den EU-Mercosur-Freihandelsvertrag zu unterzeichnen, der von der Industrie so sehr herbeigesehnt wird. Der sollte, so wünschte es sich Gastgeber Lula da Silva, in Rio de Janeiro endlich in trockene Tücher gebracht werden. Doch es scheint, als würden die Franzosen wieder einmal blockieren. Aus Furcht vor der mächtigen und hoch effizienten Agrar-Industrie aus Brasilien.

Eine Überraschung ist zwar nicht ausgeschlossen, doch in Südamerika wächst der Unmut über die zögerlichen und bisweilen auch belehrenden Europäer, die es seit 20 Jahren nicht schaffen, den Vertrag unter Dach und Fach zu bringen. Und ausgerechnet jetzt kommt ein Bundeskanzler Olaf Scholz als Repräsentant einer gescheiterten Ampel-Koalition und der größten kriselnden Volkswirtschaft des Kontinents nach Brasilien.

Die Woche zuvor hat China am Rande das Pazifik-Gipfels in Peru einen neuen Milliarden-Hafen eingeweiht. „Die neue Speerspitze Chinas in Lateinamerika“, kommentierte am Wochenende die Zeitung „La Republica“ aus Kolumbien. Während Europa verhandelt, verzögert und taktiert, bastelt Peking in diesem Teil der Welt an einem konkreten Plan für die Zukunft.

Das Projekt ist nicht auf den schnellen Erfolg angelegt, sondern auf mittelfristige Perspektiven: Der Hafen soll die Rohstoffe wie Lithium oder Kupfer direkt nach China bringen, umgekehrt sollen Elektronik- und Textilprodukte aus dem Reich der Mitte über den Pazifik kommen. Transport-Minister Raul Perez schwärmt geradezu euphorisch: „Unser Ziel ist es, das Singapur Lateinamerikas zu werden.“ Solche Zukunftsvisionen sind aus Europa schon lange nicht mehr zu hören. Stattdessen kommen Belehrungen, die nicht nur in Brasilien als „Grüner Kolonialismus“ aufgefasst werden.