Der Kölner Mediziner Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie an der Uniklinik, ist bestürzt über antisemitisches Denken und Reden an Universitäten.
Gastbeitrag Gerd FätkenheuerAntisemitismus sickert durch anfällige Akademiker in die Hochschulen
Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober auf die israelische Bevölkerung hat mich – wie viele andere auch - fassungslos gemacht. Es scheint mir fast unmöglich, hierüber in angemessener Weise zu sprechen. Also schweige ich, wo ich eigentlich Worte finden möchte.
Doch dann lese ich Äußerungen von Professoren und Studenten vor allem US-amerikanischer Universitäten, die mich noch weiter erschrecken. Ich lese, wie die schrecklichen Taten der Hamas relativiert, ja sogar zum Teil offen begrüßt werden, und dass die Verantwortung für diese Verbrechen Israel zugeschrieben wird. Die Opfer sollen also selbst schuld sein an ihrem Leid. Ich kann kaum glauben, dass solche Äußerungen von intelligenten Menschen kommen können.
Dann lese ich auch, was solche Worte bei jüdischen Menschen auslösen, gerade auch bei denjenigen, die sich in der Vergangenheit für ein friedliches Zusammenleben von Palästinensern und Israelis eingesetzt haben. „Und ich, ich bin krank vor Trauer und raufe mir die Haare, während sich der Schrecken vervielfacht“, hat die israelische Autorin Julia Fermentto-Tzaisler in der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben. Viele weitere jüdische Menschen haben in den vergangenen Wochen ihre Fassungslosigkeit und ihre Verzweiflung über die Reaktionen westlicher Intellektueller artikuliert, auch im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Es ist fast körperlich spürbar, wie einsam und verlassen sie sich durch Äußerungen fühlen, wie ich sie eingangs erwähnt habe.
Der Antisemitismus, der sich in jüngster Zeit immer offener und unverschämter zeigt, ist letztlich ein Ausdruck der Verachtung für die Prinzipien unseres Zusammenlebens. Er bedroht jüdische Menschen, aber letztlich nicht nur sie, in nicht hinnehmbarem Maße. Leider müssen wir feststellen, dass viel zu große Teile der Gesellschaft anfällig sind für antisemitisches Gedankengut. Leider gilt dies auch für Akademiker. Und leider ist das überhaupt nicht überraschend, wenn wir in die Geschichte schauen.
Der Historiker Ralf Forsbach hat vor kurzem auf Veranlassung der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln deren Geschichte im Nationalsozialismus aufgearbeitet. Es ist bestürzend und beschämend zu lesen, wie viele Ärzte und Professoren das NS-Regime unterstützt haben und wie sie aktiv an dessen Verbrechen beteiligt waren. Der Antisemitismus und damit verbunden die Verachtung für Menschenrechte und Demokratie waren tief in die akademischen Institutionen eingedrungen.
Nach dem Zusammenbruch der Diktatur konnten nicht wenige Professoren trotz tiefer Verstrickungen in das Unrechtsregime der Nationalsozialisten ihre Karrieren fortsetzen. Sie erhielten sogar hohe Auszeichnungen und Ehrungen, auch in Köln. Antisemitismus und antidemokratisches Denken waren noch lange verbreitet an den deutschen Hochschulen, und erst die Studentenbewegung der 1960er Jahre hat hier für einen Bewusstseinswandel und für Veränderungen gesorgt. Können wir wirklich so sicher sein?
In den zurückliegenden Jahrzehnten scheint Antisemitismus an deutschen Hochschulen dann keine Rolle mehr gespielt zu haben. Ich selbst kann mich an keine Situation oder Äußerung von Kolleginnen und Kollegen erinnern, bei denen ich Antisemitismus bewusst wahrgenommen hätte. Aber können wir wirklich so sicher sein, dass er hier nicht mehr vorhanden ist und dass die vielen antisemitischen Straftaten der letzten Wochen – nach einem Bericht des „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 9. November waren es seit dem 7. Oktober 380 Vorfälle allein in NRW – ausschließlich außerhalb der akademischen Einrichtungen erfolgen?
Sind Professoren und Mediziner heute gegen das Gift des Antisemitismus gefeit? Ich fürchte, nein, wenn ich an das historische Versagen denke und eben auch, wenn ich lese, wie sich Akademiker und Intellektuelle an vielen anderen Orten der Welt äußern. Umso mehr erscheint es mir notwendig, den Menschen in Israel und den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Deutschland gegenüber klar zu signalisieren: Wir stehen an ihrer Seite. Wir werden Antisemitismus nicht tolerieren – weder in akademischen Einrichtungen noch in der ganzen Gesellschaft.
Es wäre fürchterlich, wenn Universitäten, wie zur Zeit der Nazidiktatur, wieder zu Stätten der Diskriminierung und Inhumanität würden, und Menschen der Forschung und Lehre zu Handlangern von Demokratiezerstörern. Niemand sollte daran zweifeln müssen, dass unsere Universitäten und Hochschulen Orte sind, an denen Intoleranz, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit keinen Platz haben.
Der Autor
Gerd Fätkenheuer ist Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie und Professor an der Universität zu Köln. In der Klinik I für Innere Medizin der Uniklinik Köln leitet er die Infektiologie. In der Corona-Pandemie gehörte Professor Fätkenheuer zum Expertenrat“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“.