Die kommende Abstimmung in New Hampshire ist die letzte Chance, den Durchmarsch des Möchtegern-Diktators noch zu stoppen.
Hass oder HaleyShowdown zwischen Donald Trump und letzter Konkurrentin
Hooksett – Wären da nicht die parkenden Autos an der Straße, könnte die Szenerie aus einem Neu-England-Bilderbuch stammen: eine schneebedeckte Landschaft, eine stählerne Eisenbahnbrücke und mittendrin ein blutrotes historisches Holzhaus mit US-Flagge. Seit 137 Jahren wird Robie’s Country Store von derselben Familie betrieben. Mit seinen Regalen voller Gewürze, Suppen und Saucen wirkt der kleine Laden im Zeitalter des Versandhandels wie ein herzerwärmendes Relikt des guten alten Amerikas.
Doch an diesem Morgen ist von Beschaulichkeit wenig zu spüren. Eng drängen sich die Gäste an den wenigen Tischen, wo hausgemachte Eier-Sandwichs und Burger verspeist werden. Drei Dutzend Kameraleute und Reporter haben sie förmlich eingekesselt. Die republikanische Präsidentschaftsbewerberin Nikki Haley ist nämlich für eine kurze Stippvisite vorbeigekommen. „Schaut euch einmal um!“, fordert sie die Besucher auf: „Alle Augen sind auf New Hampshire gerichtet.“
Das ist kaum übertrieben. Mit der unbändigen Kraft eines politischen Blizzards stürmt Ex-Präsident Donald Trump einer erneuten Kandidatur für das Weiße Haus entgegen. Den Bundesstaat Iowa, der traditionell die Serie der parteiinternen Vorwahlen eröffnet, hat er vor einer Woche schon triumphal erobert. Auch bei den im Februar und März anstehenden Abstimmungen liegt er nach Einschätzung der Demoskopen klar vorne. Die Primaries in New Hampshire an diesem Dienstag sind wohl die letzte Chance, den Durchmarsch des Möchtegern-Diktators noch zu stoppen.
Nur Nikki Haley ist geblieben
Anfangs hatten sich ein Dutzend Kandidatinnen und Kandidaten für den Spitzenplatz der Republikaner bei den Schicksalswahlen im November beworben. Doch sukzessive sind fast alle ausgestiegen. Nach dem bibeltreuen Mike Pence, dem ultrarechten Vivek Ramaswamy und dem moderaten Chris Christie warf am Sonntag wenig überraschend, aber deutlich früher als erwartet auch Ron DeSantis das Handtuch. Dem charismafreien Gouverneur von Florida, der einst als „Trump mit Hirn“ gehypt wurde, war offenbar das Geld für seinen ebenso teuren wie pannenreichen Kreuzzug gegen die „woke“ liberale Gesellschaft ausgegangen. So kommt es nun zum Showdown zwischen Trump und der letzten verbliebenen Herausforderin Nikki Haley.
„Donnerwetter, die Dinge ändern sich schnell“, kommentiert die 52-Jährige das bevorstehende Duell: „Jetzt sind nur noch ein Kerl und eine Lady übrig.“ Dabei gehört die Tochter indischer Einwanderer eigentlich nicht zum Anti-Trump-Lager: Von Anfang 2017 bis Ende 2018 stand sie als UN-Botschafterin in den Diensten des damaligen Präsidenten. Doch vertritt sie – beispielsweise bei den Ukraine-Hilfen – deutlich traditionellere konservativ-republikanische Positionen als der Rechtspopulist. Vor allem erspart sie ihrem Publikum die aggressive Rhetorik und die narzisstischen Ausbrüche ihres einstigen Chefs.
„New Hampshire muss eine große Entscheidung treffen“, redet sie den Zuhörern in Robie’s Country Store ins Gewissen: „Wollen wir mehr von demselben, oder wollen wir das Land nach vorne bringen?“ Die Lage sei zu ernst, um „zwei Achtzigjährigen“ das Weiße Haus zu überlassen, stellt sie den demokratischen Amtsinhaber Biden und seinen Vorgänger Trump in eine Ecke: „Wir brauchen jemand aus einer neuen Generation, der diese ganze Negativität hinter sich lässt.“
Nur kurz streift Haley ihre inhaltlichen Positionen von der Sicherung der Grenze zu Mexiko gegen illegale Einwanderer über den Kampf gegen die Kriminalität bis zur Ablehnung der Transsexualität. Manches bleibt vage, anderes klingt ziemlich opportunistisch.
Trotzdem hat Haley, die in Iowa auf dem enttäuschenden dritten Platz landete, hier im Nordosten der USA ihre besten Chancen. Nicht nur ist die Bevölkerung besser gebildet und moderater. Vor allem dürfen sich auch unabhängige Wähler an der republikanischen Kandidatenkür beteiligen. In den Umfragen ist Haley zuletzt deutlich über 30 Prozent geklettert, während Trump zeitweise auf 40 Prozent fiel. Das ist der Stoff für wilde Fantasien in einem ansonsten spannungslosen Rennen: Sollte es der Herausforderin gelingen, den Parteipaten zu schlagen, könnte das die Dynamik der Primaries revolutionieren.
„Big Don“ dominiert
Allzu wahrscheinlich ist das aber nicht. Ein kurzer Besuch in Trumps Wahlkampf-Hauptquartier in Manchester genügt, um einen Eindruck von der Dominanz des wegen 91 Straftaten Angeklagten über weite Teile der „Grand Old Party“ zu bekommen. An den Wänden des nüchternen Zweckbaus hängen nicht nur die üblichen Plakate, sondern auch ein eingerahmtes Gemälde, das Trump als Lichtgestalt am Tisch zwischen den Ex-Präsidenten Abraham Lincoln und Ronald Reagan zeigt. Die Längsseite des Hauptraumes aber wird von einer drei mal drei Meter großen Collage beherrscht, auf der Trumps Augen lauernd durch die Stars and Stripes schauen. „Big Don“ hat alles im Blick.
Gerade ist die New Yorker Kongressabgeordnete Elise Stefanik vorbeigekommen, um die Wahlhelfer zur telefonischen Wählerakquise zu motivieren. Dem eifrigsten Werber winkt als Hauptpreis ein Selfie mit Trump. In dessen politischer Sekte ist das tausendmal mehr wert als eine Papstaudienz.
Die Harvard-Absolventin Stefanik galt einmal als moderate Republikanerin. Doch nach 2016 wandelte sie sich plötzlich zur glühenden Trumpistin, Verschwörungsideologin und Wahlleugnerin und stieg so bis zum dritthöchsten Amt in der Fraktion auf. Das muss nicht das Ende ihrer Karriere sein. „VP! VP!“ (für Vice President), skandieren einige Anwesende. Tatsächlich werden der 39-Jährigen gute Chancen auf diesen begehrten Posten eingeräumt.
Donald Trump inszeniert sich als Gesandten Gottes und hetzt gegen Präsident Joe Biden
Der Kampf um die Stellvertreterposition eines Präsidenten Trump ist schon entbrannt, obwohl sich dieser erst 20 der für seine Nominierung erforderlichen 1215 Delegiertenstimmen gesichert hat, sagt viel über die Kräfteverhältnisse im republikanischen Lager aus. Eine Machtdemonstration ist auch Trumps Kundgebung am Samstagabend in einer Sportarena in Manchester: Stundenlang stehen bei eisigen Minusgraden die Fans draußen in einer endlosen Schlange an, die sich an Verkaufsständen mit Devotionalien des Polit-Gurus vorbeischiebt. Am Ende werden viele abgewiesen: Die Halle ist voll.
Die 5000 Besucher drinnen bekommen zunächst einen bizarren Spot mit dem Namen „Gott schuf Donald Trump“ zu sehen, der den notorischen Lügner und Ehebrecher zum demütigen Gesandten des Allerhöchsten verklärt.
Dann betritt der 77-Jährige höchstselbst die Bühne. In seiner anderthalbstündigen Rede wird er wilde Tiraden gegen den „betrügerischen Joe Biden“ ausstoßen, hundertfach die Lüge von der gestohlenen Wahl wiederholen, sich als Justizopfer stilisieren und seine Sympathien für autokratische Herrscher kundtun. Doch zunächst arbeitet er sich minutenlang an Nikki Haley ab, die „von Demokraten, der Wall Street und den Globalisten“ geliebt werde und eine Verräterin sei, die einst mit „Barack Hussein Obama“ gemeinsame Sache gemacht habe.
Donald Trump bezeichnet seine Kontrahentin Nikki Haley wiederholt als „Spatzenhirn“
Die Erwähnung von Obamas zweitem Vornamen kommt nicht von ungefähr. Seit ein paar Tagen belebt Trump die rechtsradikale Birther-Verschwörungslüge wieder, der zufolge Obama nicht in den USA geboren sein soll. Nun mokiert sich Trump über Haleys ersten Vornamen Nimarata, den er bewusst verunstaltet. „Nimbra hat nicht, was man für den Job braucht“, raunt er auf seiner Plattform Truth Social.
Trotz der infamen Attacken des Ex-Präsidenten, der sie regelmäßig als „Spatzenhirn“ beleidigt, hat sich Haley lange mit persönlichen Gegenangriffen zurückgehalten. Nur dass dem Kontrahenten „zu Recht oder zu Unrecht das Chaos folgt“, hat sie sich regelmäßig zu sagen getraut. Erst in den letzten Tagen hat Haley offensiver angezweifelt, ob Trump „geistig in der Lage“ für den anspruchsvollen Job im Oval Office sei. Vorsichtig bleibt sie trotzdem: Vehement widerspricht sie der Einschätzung, dass die USA ein Rassismusproblem haben. Auf die Frage nach der Ursache des Bürgerkriegs traut sie sich nicht, die Sklaverei zu nennen. Die Kandidatin will alles vermeiden, was die weit nach rechts gerückte republikanische Basis gegen sie aufbringen könnte.
Anders als Trump, der nur zu wenigen Großveranstaltungen eingeflogen ist, setzt Haley auf Händeschütteln und Selfie-Lächeln bei zahlreichen Auftritten im kleineren Rahmen. Am Freitag stürmt sie bei Mary Anne’s Diner am Highway 101A durch die Tür. An einem der Tische des Retrolokal, mit roten Bänken, großen Ketchupflaschen, einer Jukebox und einer Cadillac-Schnauze an der Wand sitzen Debbie und Al Lacey. Das freundliche Rentnerehepaar wohnt nicht weit entfernt im Örtchen Amherst. Das politische Spektakel in ihrem Nachbarschaftslokal verfolgen die Mittsiebziger bei einem Pastrami-Sandwich mit Pommes.
Al Lacey unterstützt Spalter Donald Trump ohne Zögern
„Wir haben sie im Fernsehen gesehen und wollten das mal selbst erleben“, sagt Debbie nachher: „Es hat uns gut gefallen.“ Tatsächlich hat Haley ein Selfie mit dem Ehepaar gemacht. „Wenn sie Präsidentin ist, können wir das überall herumzeigen“, lacht Debbie, die sich gleich einen Button auf ihr Holzfällerhemd geklebt hat.
Die heikleren Fragen überlässt sie ihrem Mann, der als unabhängiger Wähler registriert ist, beim letzten Mal aber für Trump stimmte. Inzwischen ist Al nicht mehr glücklich mit dem Ex-Präsidenten. „Trump ist so hasserfüllt“, sagt der Rentner, der einen weißen Schnauzbart zur wilden Haartracht trägt: „Ich mochte seine Politik, aber ich mag nicht die Art, wie er redet. Er wird das Land weiter spalten.“ Die zivilisierte Haley hingegen, so hoffen die Laceys, könne die amerikanische Gesellschaft zusammenführen. Deshalb bekommt sie ihre Stimme.
Was aber ist, wenn sich Trump am Ende doch durchsetzt und im November erneut gegen Biden antritt? Darüber muss Al Lacey nicht nachdenken. „Dann wähle ich Trump“, antwortet er, ohne zu zögern. (rnd)