Schwächeanfall bei 9/11-GedenkenHillary Clinton – von der Kandidatin zur Patientin
Washington – Ihr Konkurrent gab sich ungewöhnlich mitfühlend. „Das ist schon traurig. Ich hoffe, dass es ihr bald wieder bessergeht“, sagte Donald Trump am Montagmorgen in einem Telefoninterview mit dem US-Sender CNBC. Der Grad der Anteilnahme darf aber nicht überbewertet werden. Dass Hillary Clinton, die Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten, an einer Lungenentzündung erkrankt ist, hat dem populistischen Bauunternehmer aus dem Republikaner-Lager unverhofft Auftrieb gegeben.
In den kommenden Tagen wird sich der Wahlkampf in den USA nur noch um die Frage drehen, ob die bald 69 Jahre alte Ex-Außenministerin gesundheitlich in der Lage ist, das ungemein anstrengende Amt der Präsidentin auszuüben. Aus der Kandidatin Clinton ist die Patientin Clinton geworden. Da kann sich Trump, der mit 70 sogar noch älter ist als seine Konkurrentin, Mitgefühl leisten.
Auf die Republikaner muss die Erkrankung Clintons wirken, als hätte sich Wunschdenken über Nacht in Wirklichkeit verwandelt. Seit Wochen haben Trump und seine Berater immer wieder angedeutet, Clinton sei gesundheitlich zu schwach für den Job. Belege lieferten sie allerdings nicht.
Clinton verlässt 9/11-Trauerfeier „überhitzt und dehydriert“
Doch das geschah jetzt gewissermaßen wie von selbst. Clinton musste am Sonntag eine Gedenkfeier für die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York vorzeitig verlassen. Ein Video zeigt, wie die Ex-Außenministerin wankte und beim Einsteigen in ein Auto gestützt werden musste. Erst hieß es, Clinton sei „überhitzt und dehydriert“ gewesen. Kurze Zeit darauf zeigte sich die Kandidatin schon wieder in der Öffentlichkeit und ließ sich fotografieren. „Ich fühle mich toll“, sagte Clinton und lächelte.
Doch wiederum einige Stunden später räumte das Wahlkampfteam der Demokratin ein, dass der Grund für den Schwächeanfall eine Lungenentzündung gewesen sei. Eine Reise an die US-Westküste, die für Montag und Dienstag geplant war, wurde kurzerhand abgesagt. Hillary Clinton soll sich jetzt erst einmal in ihrem Haus in der New Yorker Vorstadt Chappaqua erholen.
Clintons Problem ist weniger die Krankheit selbst, als die Art und Weise, wie sie damit umgegangen ist. Der Kandidatin wird ohnehin unterstellt, dass sie unnahbar und dem Wahlvolk gegenüber nicht offen sei. Das ließ sie schon bei der Bewältigung der E-Mail-Affäre erkennen, und das belegte sie jetzt wieder. Die Wahrheit kam scheibchenweise an die Öffentlichkeit. Erst hieß es abwiegelnd, Clinton habe einen Husten, der von einer Allergie verursacht werde. Dann war die Rede von einer Überhitzung und erst dann von einer Lungenentzündung.
Spekulationen in den sozialen Medien
In den US-Medien wird jetzt eifrig spekuliert, ob die Krankheitsgeschichte Clintons möglicherweise schon seit Jahren ein Thema ist, über das die Öffentlichkeit nicht rechtzeitig informiert wurde. Schon 1998, als Hillary Clinton First Lady war, dauerte es lange Zeit, bis das Weiße Haus eine Erklärung abgab, dass bei der Ehefrau von Präsident Bill Clinton ein Blutgerinnsel im Bein entdeckt worden sei. Eine ähnliche Geheimniskrämerei gab es auch nach dem Sturz Clintons um die Jahreswende 2012/2013, bei dem sie sich eine Gehirnerschütterung zuzog und wochenlang ausfiel.
Nun macht ein ganzes Land Visite bei der Patientin und fragt, was Hillary Clinton gemeint haben könnte, als sie vor einigen Monaten sagte, sie sei die transparenteste Staatsdienerin in der jüngeren Geschichte der USA. In den sozialen Medien überschlagen sich die Spekulationen, wer Clinton als Kandidat oder Kandidatin der Demokraten nachfolgen könnte. Das hat es in der US-Geschichte noch nicht gegeben. Für einen Rückzug Clintons gibt es keine Anhaltspunkte, aber die Tatsache, dass darüber geredet wird, ist für sie weniger als acht Wochen vor der Wahl ein gewaltiges Problem.
Vertuschte Gesundheitsprobleme von US-Präsidenten
Bis weit in die 1960er Jahre wurden die Gesundheitsprobleme amerikanischer Präsidenten schlicht vertuscht. Das berühmteste Beispiel dafür ist Franklin D. Roosevelt. Er erkrankte mit 38 Jahren an Kinderlähmung, was zu einer schweren Behinderung führte. Roosevelt konnte nur mit Mühe wenige Schritte alleine gehen und bewegte sich meist gestützt oder in einem Rollstuhl vorwärts. Das sollte aber die Öffentlichkeit möglichst nicht erfahren, so dass es fast keine Fotografien des Präsidenten in diesem Gefährt gibt.
Vollkommen verheimlicht wurde sein immer schlechterer Gesundheitszustand als Folge mehrerer leichter Schlaganfälle im Wahljahr 1944, während gleichzeitig der Zweite Weltkrieg seiner Entscheidung entgegenging und die Verhandlungen mit den Alliierten, vor allem Stalin, über die Nachkriegsordnung anstanden. Historiker bezweifeln, ob Roosevelt in dieser Zeit immer im Vollbesitz seiner Kräfte war. Er starb am 12. April 1945, noch vor Ende des Krieges und vor der Potsdamer Konferenz, auf der der gerade erst berufene Vizepräsident Harry S. Truman die USA vertrat.
Auch John F. Kennedy ließ die Öffentlichkeit weitgehend im Dunklen über den Grad seiner gesundheitlichen Einschränkungen. Kennedy litt schon als kleiner Junge unter Rückenproblemen, Asthma und einem empfindlichen Magen. Das schmerzhafte Rückenleiden wurde durch einen Unfall auf einem Torpedoboot im Zweiten Weltkrieg noch verschärft. Er musste stets ein Korsett zur Stabilisierung seines Körpers tragen. Nach außen pflegte er unter großen Mühen das Image einer Sportskanone. (sch)