Oktober 1988Als Leverkusen mit der Zukunft Südafrikas Geschichte schrieb
Leverkusen – Warum gelang in Südafrika ein fast gewaltfreier Übergang von der weißen Minderheitenherrschaft, der Apartheid, zu einem demokratischen Staat? Warum wurde Nelson Mandela 1994 friedlich und mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten der „Regenbogennation“ gewählt - so nannten sich die Südafrikaner damals im Überschwang der Gefühle?
Prozess ersparte Südafrika den Bürgerkrieg
In einem neuen Buch zeichnet der Politologe Ulrich van der Heyden die Anfänge dieses bahnbrechenden Prozesses, der dem Land am Kap Bürgerkrieg und Revolution ersparte. Im Herbst 1988 wurde die Stadt Leverkusen zu einem Schauplatz der Weltgeschichte. Hier trafen sich weiße südafrikanische Intellektuelle mit Vertretern der damals verbotenen Befreiungsbewegung „Afrikanischer Nationalkongress“ (ANC) sowie mit einer sowjetischen Delegation zu einem Aufsehen erregenden Austausch, an dem auch deutsche Wissenschaftler und Schriftsteller teilnahmen.
Der Anteil der Bundesrepublik (damals noch West-Deutschland) an diesem Dialog war immens. Besonders die der FDP nahestehende Friedrich-Naumann-Stiftung engagierte sich, ebenso das Außenministerium in Bonn. Es finanzierte die Konferenzen indirekt. Der Bonner Bürochef der Stiftung Wissenschaft und Politik, Klaus Freiherr von der Ropp, einer der versiertesten Kenner Südafrikas, hatte zur Delegation eines Vorgängertreffens in Dakar gehört.
Von der Ropps Protokoll, seinerzeit ungenutzt in den Archiven verschwunden, ist jetzt bei van der Heyden nachzulesen.
Konferenz in Leverkusen fast noch wichtiger
War es in der Hauptstadt des Senegal darum gegangen, eine Art von Gespräch als Anknüpfungspunkt überhaupt erst zu etablieren, war die zweite Konferenz in Leverkusen aus weißer südafrikanischer Sicht fast noch wichtiger. Die Intellektuellen vom Kap kamen im Rheinland zum ersten Mal mit Kommunisten aus der Führungsmacht des Ostblocks zusammen. Aus ihrer antikommunistischen Erziehung brachten sie schlimmste Schreckensbilder mit und waren nun überrascht, dass diese so gar nicht nicht zu den Wissenschaftlern aus Moskau oder den Vertretern der seinerzeit illegalen südafrikanischen kommunistischen Partei (SACP) passten.
Bis heute übrigens ist die SACP ein Teil des seit 1994 Südafrika regierenden ANC. Dessen Delegation in Leverkusen war hochrangig besetzt, schreibt van der Heyden. Unter anderem gehörte ihr Thabo Mbeki an, damals noch Mitglied der verbotenen kommunistischen Partei, später Stellvertreter Nelson Mandelas als Staatspräsident und schließlich dessen Nachfolger. Vor allem aber richtete sich das Interesse der Konferenzteilnehmer auf Joe Slovo, den Chef der Kommunisten und Führer der Guerilla-Bewegung „Umkhonto we Sizwe“ (Speer der Nation) des ANC.
Slovos jüdische Eltern waren mit ihrem achtjährigen Sohn Anfang der 1930er Jahre wegen des wachsenden Antisemitismus von Litauen nach Südafrika ausgewandert. Bis hin zur ost-europäischen Wurzel seines Namens verkörperte Slovo die Angst weißer Südafrikaner vor einem Kommunismus Moskauer Prägung, den sie an die Stelle des Systems der Rassentrennung treten sahen.
Furcht vor Rassenkrieg allgegenwärtig
Völlig grundlos war die Sorge nicht. Die Furcht vor einem Rassenkrieg war allgegenwärtig, sogar vor dem Ausbruch eines dritten Weltkriegs, der sich in Südafrika entzünden könnte. Das südliche Afrika war zu dieser Zeit ein Pulverfass. In Angola führten der Westen und der Osten einen Stellvertreterkrieg, und auch in Mosambik herrschte Bürgerkrieg. Selbst aufgeklärte Südafrikaner wie der Schriftsteller und Anti-Apartheid-Aktivist Breyten Breytenbach waren in Sorge, welchen Einfluss die Kommunisten im ANC tatsächlich haben könnten.
Joe Slovo gelang es, solche Ängste zu zerstreuen. Im Protokoll der Leverkusener Konferenz ist von Slovo als einem weisen, gebildeten und umgänglichen älteren Herrn die Rede. „Das mindeste, was man über Slovo sagen kann ist, dass er, falls er nicht meint, was er sagt, ein ganz vorzüglicher Schauspieler sein muss.“ Seine Persönlichkeit mache es schwer, seine kritischen Äußerungen zu Stalinismus und Moskauhörigkeit als Propagandaphrasen abzutun. Slovo gehörte später als Wohnungsminister dem ersten Kabinett Nelson Mandelas an, erlag aber nach wenigen Monaten einem Krebsleiden.
„Blonde Hünen mit Wikingerbärten“
In den 80er Jahren wurde Vertrauen aufgebaut. Van der Heyden zitiert Eindrücke des deutschen Schriftstellers Hans Christoph Buch aus Dakar über die ANC-Delegation, die Nadelstreifenanzüge trug und denen ein senegalesischer Folkloretanz „physisches Unbehagen“ bereitete. Von den weißen Südafrikanern heißt es: „Blonde Hünen mit Wikingerbärten“, jedoch geprägt von ihrer afrikanischen Umgebung. „Sie wiegen sich in den Hüften . . . und schnipsen mit den Fingern wie eine schwarze Streetgang in Harlem.“
Ebenfalls zur Sprache kommt die Ernüchterung der liberalen weißen Politiker über den Wandel, den ihre Gesprächspartner vollzogen, als sie erst an der Macht in Südafrika waren. Der Traum von einem wirtschaftlichen Aufschwung, der der schwarzen Bevölkerungsmehrheit zu Wohlstand verhelfen sollte, wurde nicht Wirklichkeit. Stattdessen bereicherten sich weite Teile der neuen politischen Führung. Der Liberale Frederik Van Zyl Slabbert, der unter hohen persönlichen Risiken den Annäherungsprozess angestoßen hatte, war tief enttäuscht von Thabo Mbeki, seinem Gegenüber in Leverkusen.
In einen engstirnigen Afrikanisten verwandelt
Als Präsident Südafrikas sprach Mbeki, der sich vorher noch einen „Afrikaner“ genannt hatte - eine Bezeichnung, die Buren für sich wählen - nur noch herablassend von Siedlern und Kolonialisten. Der charismatische Diplomat Mbeki hatte sich in einen engstirnigen Afrikanisten verwandelt. Weitab der afrikanischen Wirklichkeit hatten der weiße Politiker Slabbert und der schwarze Kommunist Mbeki sich in Leverkusen noch Freunde genannt.
Ulrich van der Heyden: Der Dakar-Prozess, Solivagus Präteritum Verlag, Kiel, 176 Seiten, 19,50 Euro.