Interview mit Harvard-Professor„Trump ist nicht Ursache, sondern Symptom der Krise“
- Daniel Ziblatt, der über gute Deutschkenntnisse verfügt, hat sich auf europäische Politik spezialisiert und forscht über Staatenbildung, Demokratisierung und der Geschichte der politischen Ökonomie.
- Demokratie ist für ihn „zweifellos die beste Staatsform. Die Frage ist nur, ob das auch für jedes Land so ist.“
- Wir haben mit dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler über die Krisen der westlichen Gesellschaften gesprochen.
Professor Ziblatt, in der Philosophie kam man ja erst spät darauf, dass die Demokratie eine der bestmöglichen Staatsformen ist. Wie sehen Sie das denn?
Es ist die beste Staatsform, zweifellos. Die Frage ist nur, ob das auch für jedes Land so ist. Viele Menschen möchten aber in einer Demokratie leben und sanft gelenkt werden.
Wie ist der Zustand der Demokratien zurzeit auf der Welt?
Seit den 1990er Jahren hat die Zahl der Demokratien zugenommen. Das gab Anlass zum Optimismus. Das hat sich seit 2010 aber geändert. Die Zahl nimmt seitdem kontinuierlich ab. Einer der treibenden Gründe ist der Wandel der Außenpolitik der USA und auch der Europäischen Union, Demokratien nicht mehr wie zuvor zu unterstützen.
Ein weiterer Grund ist darin zu finden, dass die wirklich großen Demokratien wie die USA und die Staaten der Europäischen Union in den letzten 50 Jahren einen Wandel durchlebten. Die Demokratie wird dort nach wie vor bevorzugt, allerdings erkennen wir, dass ein Sturm am Horizont aufzieht.
„Demagogische Politiker bedrohen das System“
Warum stürzen Demokratien überhaupt in Krisen? Warum konnte also ein Politiker wie Donald Trump in den USA überhaupt an die Macht gelangen?
Es ist wichtig zu erkennen, dass Trump nicht die Ursache, sondern nur das Symptom der Krise in Amerika ist. Die Bedrohung für die Demokratie bestand schon einige Jahre länger. Was in den letzten 25 Jahren passiert ist in der Organisation der Parteien, der Republikaner und Demokraten, ist eine wachsende Bereitschaft, sich nicht als politische Gegner, sondern als Feinde zu betrachten.
Es gab eine unglaubliche Umfrage in den 1960er Jahren mit der Frage, wie sie mit dem Umstand umgehen würden, wenn ihre Kinder später einmal jemanden aus der anderen Partei heiraten würden. Damals sagten fünf Prozent beider Parteien, dass sie entsetzt darüber wären. Die gleiche Umfrage wurde 2010 wiederholt mit dem Ergebnis, dass über 50 Prozent darüber entsetzt sein würden. Es ist ein Tiefpunkt zwischen den Parteien. Das tötet die Demokratie.
Es gibt viele demagogische Politiker, die an die Macht gekommen sind.
Und sie bedrohen das System. Allerdings ist dies ein Symptom, das auf ein tiefergehendes Problem verweist. Ich meine damit eine stark polarisierende Politik. Wenn wir etwas aus der Geschichte gelernt haben, dann doch das, dass eine extreme Polarisierung Demokratien töten kann. Das passiert immer dann, wenn Bürger voreinander Angst haben. Dieses Faktum sollte uns nervös machen.
Was ist die Ursache für den zunehmenden Populismus?
Die starke Polarisierung und die zunehmende Ungleichheit in der Bevölkerung. Zudem: Nach dem Kalten Krieg wuchs die Zahl der Demokratien zwar, zugleich waren diese neuen Demokratien wie in Osteuropa jedoch fragiler. Sie haben mitunter demokratische Institutionen, die entweder nicht demokratisch oder aber doch sehr zerbrechlich sind. Wenn dann ein Außenseiter an die Macht kommt, fällt es ihm leichter, die Demokratie von innen heraus mit rechtsstaatlichen Mitteln zu schwächen.
Daniel Ziblatt
Daniel Ziblatt (45) ist Eaton-Professsor für Regierungslehre an der Harvard-University in den USA. Zudem ist er Direktor des Minda de Gunzburg Center für Europäische Studien. Ziblatt, der über gute Deutschkenntnisse verfügt, hat sich auf europäische Politik spezialisiert und forscht über Staatenbildung, Demokratisierung und der Geschichte der politischen Ökonomie. Ziblatt ist mit Steven Levitsky Autor des Buches „Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können“ geschrieben.
Auch einige Demokratien in Europa bewegen sich Richtung autoritäre Staaten.
In der Türkei, Ungarn, Polen finden sich unterschiedliche Herausforderungen. Es gibt dort einige Politiker, die mit demokratischem Anspruch auftreten, sind sie aber einmal im Amt, werden sie autoritär. Das ist ein großer Unterschied zur Vergangenheit, wo die Staaten durch Militär-Putsche oder Revolutionen autoritär wurden, aber nicht durch Wahlen. Dahinter steckt dasselbe Muster wie in den Vereinigten Staaten. Das ist es, was Demokratien gefährdet.
Es sind die Wähler, nicht mehr das Militär, welche die autoritären Figuren an die Macht bringen.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es sehr stark darauf ankommt, wie ein Land mit diesem Außenseiter umgeht. Es sind Politiker, die ins Amt streben und demokratische Standards unterlaufen. Es sind oftmals zunächst politische Außenseiter, die die Bühne betreten. Sie halten sich dann jedoch nicht an die demokratischen Spielregeln. Hugo Chavez fühlte sich in Venezuela von Anfang an nicht an demokratischen Normen gebunden, er war ein Außenseiter, der an die Macht strebte. Als er seine Wähler enttäuschte, erlaubten es ihm andere Akteure, an der Macht zu bleiben. Es war ein Akt der Vergewaltigung der Demokratie.
Allerdings ist die Wahl einer anti-demokratischen Partei ja auch Bestandteil einer Demokratie.
Das ist ein Dilemma, dem wir kaum ausweichen können. So eine Partei wird nun einmal von Wählern an die Macht gebracht, die sie auch repräsentiert. Andererseits unterläuft sie das System.
In Deutschland gibt es die „wehrhafte Demokratie“. Es gibt auch stabile Demokratien wie hier oder in Frankreich. Wie sehen Sie die Gelbwesten-Proteste?
In Deutschland gibt es sehr starke politische Parteien. Auch wenn die SPD und die CDU zuletzt Stimmen verloren haben, sind sie doch immer noch Volksparteien. Deutschland ist auch nicht so gespalten wie die USA. In Frankreich gibt es hingegen einen Zerfall der politischen Parteien. Präsident Emmanuel Macron hat keine eigene politische Partei. Auch wenn er gewählt wurde, hat er keine Partner an seiner Seite. Die Schwäche der politischen Parteien hat Frankreich anfällig für die gegenwärtige Krise gemacht.
Das könnte für Frankreich gefährlich werden.
Es könnte gefährlich werden, ja. Es ist die Frage, welche Fähigkeiten Macron besitzt, um der Stimmung in seinem Land entgegenzuwirken.
Nächster Krisendauerherd: der Brexit. Ist das auch ein demokratiegefährdender Vorgang?
Die Ursachen sind beim Brexit-Referendum zumindest sehr ähnlich zu dem, was Donald Trump in den USA an die Macht gebracht hat oder warum die AfD gewählt wird. In Europa gibt es eine Krise des parlamentarischen Systems. Wenn die Parteien nicht liefern können, was die Wähler wollen, fängt die Krise an. Großbritannien hat über Jahrhunderte eine stabile Demokratie gehabt. Nun steckt sie in einer Krise, die zu einer tiefen Spaltung innerhalb der Bevölkerung geführt hat. Und es ist sehr schwer vorstellbar, wie die Politik diese Kluft wieder kitten will.
Vor allem Außenseiter sorgen für Probleme.
Sie sind in der Tat eine Herausforderung für Demokratien. Mainstream-Politiker machen den Fehler, dass sie glauben, diese Außenseiter kontrollieren zu können. Das war mit Mussolini so in den 1920er Jahren und auch mit den Nationalsozialisten in Deutschland. Nicht anders in den 1990ern in Venezuela mit Chavez.
Man sollte ihnen nicht entgegenkommen?
So ist es. Politiker der Mitte sollten nicht mit Außenseitern, die demokratische Werte attackieren, zusammenarbeiten.
Die große Gefahr besteht allerdings, so schreiben Sie es in Ihrem Buch, in der Verletzung der ungeschriebenen Regeln der Demokratie?
Dazu zählt, dass die Ansichten des politischen Gegners respektiert werden. Wenn die Parteien eines Landes sich nur in Feindschaft begegnen, wie das zurzeit in den USA der Fall ist, kollabiert das System über kurz oder lang. Auch die Wächter der Demokratie, wozu Justiz, Medien, die Beamten im Staatsapparat zählen, gefährden das System, wenn sie nur in Kategorien der Feindschaft denken.
Wie rettet man Demokratien?
Indem man wählen geht, politisch aktiv ist, etwa in Organisationen. Man kann viel tun. Vor allem sollte man die ungeschriebenen Regeln der Demokratie respektieren und sich auch im eigenen Leben daran halten.