IS-TerrorismusLeverkusenerin soll jesidische Sklavin gehalten haben
Düsseldorf – Auf dem Weg durch den Gerichtssaal wirft Nurten J. den Verwandten im Zuschauerraum noch einen herzlichen Handkuss zu. Sie setzt sich neben ihre beiden Anwälte, nimmt den Mundschutz ab und lächelt. Unter dem dunkelblauen Kopftuch kommt ein mädchenhaftes Gesicht zum Vorschein. J. macht einen gelösten Eindruck. Es scheint fast so, als stünde ihr nicht mehr als ein Verfahren wegen Ladendiebstahls bevor. Doch es geht um weitaus mehr.
Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft soll die 35 Jahre alte Leverkusenerin schwere Schuld auf sich geladen haben: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen das Eigentum und auch Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. So steht es in der Anklage, die zum Prozessbeginn am Donnerstagvormittag vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf verlesen wird.
Heiratsinstitut vermittelte J. an Kämpfer Ismael S. aus Husum
In der Geschichte von Nurten J., das macht die Anklage deutlich, gibt es nur Verlierer. Nach einiger Vorbereitung reiste J. im Februar 2015 mit ihrer drei Jahre alten Tochter ins Kriegsgebiet nach Syrien, um sich dort dem IS anzuschließen. Die Kämpfer nahmen die beiden in Empfang und steckten sie zunächst in ein Mutter-Kind-Lager. Über ein Heiratsinstitut in der damaligen IS-Hochburg Rakka wurde sie an den Kämpfer Ismael S. aus Husum vermittelt.
Den deutschen Behörden ist der Mann schon lange bekannt. Vor seiner Kämpfer-Karriere soll er von Schleswig-Holstein aus über verschiedene salafistische Internetseiten Geld für seine Glaubensbrüder gesammelt haben. Nach einer Razzia im Juni 2012 verließ S. Deutschland und reiste offenbar nach Syrien. Beim IS hatte er sich zum hochrangigen Mitglied emporgearbeitet. Noch 2015 heirateten Nurten J. und Ismael S. nach IS-Ritus und gründeten eine Familie, im Dezember 2016 kam der gemeinsame Sohn zur Welt.
Sturmgewehre lagen offen in der Wohnung herum
Gleich zwei Wohnungen stellten die Islamisten dem Ehepaar zur Verfügung. In den Häusern lebten zuvor Menschen, die der IS vertrieben hatte. Im Haushalt gab es mehrere Waffen. Die beiden Sturmgewehre der Marke Kalaschnikow, die Ismael S. für seine Wachdienste benutzte, lagen offen in der Wohnung herum. Nurten J. selbst, so die Anklage, verließ das Haus nicht ohne ihre halbautomatische Pistole, die sie stets geladen im Schulterholster mit sich trug.
Zu den größten Gräueltaten des IS gehörte der Völkermord an den Jesiden. Die Islamisten erstürmten die Heimatregion der Volksgruppe, massakrierten Tausende Menschen. Zudem entführten sie Frauen und Mädchen, um aus ihnen wirtschaftlich lukrative Besitztümer zu machen. Auf Sklavenmärkten, auch online, wurden sie zum Verkauf angeboten. Manche als Sex-Sklavinnen, andere mussten gegen ihren Willen im Haushalt schuften.
Jesidische Sklavin als Putzfrau
Auch J. soll sich nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft eine jesidische Sklavin gehalten haben, die putzen, spülen und sich um die Kinder kümmern musste. Laut Anklage ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Eine Freundin soll ihr die Frau vermittelt haben. Gegen sie läuft ein gesondertes Verfahren. Das Opfer muss in ihrer jahrelangen Gefangenschaft kaum vorstellbare Qualen erlitten haben. Nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeiger wurde sie mehrfach verkauft und auch sexuell ausgebeutet.
Schwer wiegen auch die Vorwürfe wegen Verletzung der Fürsorgepflicht. Ihre Tochter, so trägt es die Staatsanwältin vor, habe in der Zeit beim IS keine Schulbildung genossen, weder Lesen noch Schreiben gelernt. S. habe es billigend in Kauf genommen, dass die Kinder ideologisch indoktriniert und bei Gefechten getötet werden.
Bis zuletzt den Extremisten treu geblieben
Medial erregt das Verfahren gegen S. kaum Aufsehen. Der riesige Saal 1 in der hochgesicherten Nebenstelle des OLG Düsseldorf, die damals eigens für große Terror-Verfahren am Rande eines Ackers in Düsseldorf-Hamm errichtet worden war, ist fast leer. Dabei ist J. eine jener IS-Unterstützerinnen, die den Dschihadisten bis zuletzt die Stange hielt. Auch als der militärische Druck auf den so genannten Islamischen Staat immer größer und das Territorium immer kleiner wurde, blieb sie den Extremisten erhalten. Zog mit ihnen von Rakka nach Mayadin und schließlich nach Baghus, der letzten IS-Bastion an der Grenze zu Irak. Erst kurz vor der Erstürmung der Stadt durch die Truppen der Anti-IS-Allianz floh Nurten S. Sehr weit ist sie allerdings nicht gekommen. Gemeinsam mit ihren Kindern wurde sie im Februar 2019 von einer kurdischen Miliz festgesetzt, landete in türkischer Abschiebehaft und wurde schließlich am 24. Juli 2020 am Frankfurter Flughafen verhaftet.
Da sie bis zuletzt an der Seite des IS blieb, dürfte sie zum harten Kern gehört haben und ideologisch gefestigt gewesen sein, ist aus Ermittlerkreisen zu hören. Ihr Mann Ismael S. soll sich noch immer in den Händen kurdischer Kämpfer befinden, vermuten die Behörden. Auch gegen ihn soll ein deutscher Haftbefehl vorliegen.
Zuletzt waren in Deutschland reihenweise Verfahren gegen ehemalige IS-Mitglieder angelaufen. Ihre Geschichten ähneln sich. Wie Nurten J. sollen sie Deutschland verlassen haben, um die Fundamentalisten dabei zu unterstützen, im Grenzgebiet zwischen Syrien und Irak eine Herrschaft der Gewalt und der Unterdrückung aufzubauen. Einer der größeren Prozesse ist beispielsweise der gegen Jennifer W. in München. Auch sie soll laut Anklage im Kriegsgebiet eine Familie gegründet und eine fünfjährige Jesidin als Sklavin gehalten haben. An einem heißen Tag im Sommer 2015, davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt, kettete der Mann das Mädchen in der prallen Sonne im Hof fest. Das Kind starb. W. hat bislang zu den Vorwürfen geschwiegen.
Prediger in Celle schuldig gesprochen
Zweifellos eines der spektakulärsten Verfahren in Sachen IS ist am Mittwoch zu Ende gegangen. Das Oberlandesgericht in Celle sprach den 37 Jahre alten Prediger „Abu Walaa“ schuldig. Er galt als oberster IS-Repräsentant in Deutschland und hatte nach Überzeugung des Gerichts zahlreiche Mitglieder ins Kampfgebiet vermittelt. Er muss für zehneinhalb Jahre ins Gefängnis. Allein der Prozess dauerte dreieinhalb Jahre.
Nurten J. will offenbar aussagen
Am Donnerstag hat Nurten J. noch geschwiegen. Bei der nächsten Sitzung am 10. März, das zumindest hat ihr Anwalt angekündigt, wird sie sich einlassen. Ob sie sich konkret zu den Tatvorwürfen äußern wird, ist noch unklar. Ihr Opfer wird dem Vernehmen nach ebenfalls an einem der nächsten Termine als Zeugin gehört. Die Jesidin ist in dem Verfahren Nebenklägerin. Aus Furcht vor möglichen Racheakten haben die Behörden sie ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Sie hält sich an einem geheimen Ort in Deutschland auf.