TerrorgefahrInhaftierte deutsche IS-Kämpfer könnten nach NRW zurückkehren
- Am kommenden Donnerstag und Freitag will die Türkei neun Personen nach Deutschland ausweisen, bei denen eine Verbindung zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ nicht ausgeschlossen werden kann.
- Die Türkei will insgesamt 20 Dschihadisten nach Deutschland zurückführen. Ob sich darunter auch Personen aus NRW befinden, ist noch unklar.
- Bei 160 deutschen IS-Kadern hat sich laut Bundesregierung die Spur verloren. Nichts befürchten die deutsche Terrorabwehr mehr als, als dass IS-Veteranen unbemerkt über die Grenze einreisen könnten, um Anschläge zu begehen.
Köln – So undurchsichtig mitunter die Kommunikation zwischen Ankara und Berlin auf etlichen heiklen Politikfeldern in den vergangenen Tagen und Wochen verlief, so verwirrend muteten die Verlautbarungen beider Staaten zum Umgang mit internierten deutschen Angehörigen der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) an. Während die Türkei mitteilte, dass man bereits am Montag einen deutschen IS-Kämpfer in die Heimat abgeschoben habe, widersprach das Auswärtige Amt. Bei dem Mann handele es sich nicht um einen islamischen „Gotteskrieger“.
Dennoch scheint nun klar zu sein, dass kommenden Donnerstag und Freitag insgesamt neun Personen nach Deutschland abgeschoben werden, deren Verbindung zu den selbst ernannten Kalifatsbrigaden nicht ausgeschlossen werden könne.
Keine Extremisten aus NRW in der ersten Ausreisegruppe
Laut AA handelt es sich um drei Männer, fünf Frauen und zwei Kinder. Bei zwei Islamistinnen scheint inzwischen klar zu sein, dass sie sich der Terror-Miliz angeschlossen hatten. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ sollen keine Extremisten aus NRW zu dieser ersten Ausreisegruppe zählen.
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Insgesamt, so kündigte der türkische Innenminister Suleyman Solu an, sollen 20 Dschihadisten nach Deutschland zurückgeführt werden. Ob sich dann auch Protagonisten von Rhein und Ruhr darunter befinden, ist noch unklar. Den Angaben der Türkei zufolge sitzen rund 1200 ausländische IS-Anhänger in türkischer Gefangenschaft, gut zwei Drittel stammen aus dem Ausland. Ankara scheint entschlossen, diese Leute nach Hause zu schicken. „Wir sind hier kein Hotel“, betonte Soylu.
Heiko Maas kritisiert mangelnde Informationen
Bundesaußenminister Heiko Maas hatte indes vor Tagen noch den spärlichen Informationsfluss aus Ankara bemängelt. Nichts Genaues wisse man über die deutschen IS-Anhänger, die zurückkommen sollten. „Es müsste erst einmal rechtssicher festgestellt werden, dass es sich um deutsche Staatsbürger handelt“, betonte Maas.
Nur in diesem Falle sei die Bundesregierung verpflichtet die radikal-islamischen Rückkehrer aufzunehmen.
Kaum eine Personalie ist nach außen gedrungen. Laut dem „Tagesspiegel“ soll der Berliner IS-Extremist Benjamin Xu, 29, in die Bundeshauptstadt ausgeflogen werden. Xu hatte im März 2014 bei einer Verkehrskontrolle auf der Fahrt von Syrien nach Istanbul mit Komplizen zwei Polizisten getötet. Dafür verhängte ein Gericht eine lebenslange Haftstrafe.
800 IS-Gefangene sollen geflohen sein
Bundesweit registrierten die Staatsschützer insgesamt 1050 Ausreisen zu den Terrorkadern. Ein Drittel ist inzwischen wieder zurückgereist. Wie viele Kämpfer an der Front starben, ist unklar. Auch sollen 800 IS-Gefangene nach den Angriffen des türkischen Militärs aus den Internierungs-Lagern der kurdischen Miliz YPG geflohen sein.
Bei 160 deutschen IS-Kadern hat sich laut einem Bericht der Bundesregierung die Spur verloren. So etwa bei Fared Saal aus Bonn, der vor fünf Jahren auf einem syrischen Gasfeld an einem Massaker von 90 Menschen teilgenommen haben soll. Auf der Flucht hatten ihn Schleuser an die kurdischen Milizen verraten. In einem TV-Interview hatte er darum gebeten, ihn nach Deutschland zurückzuholen. Nun scheint er verschwunden. Dabei sucht die Bundesanwaltschaft den IS-Schergen mit dem Kampfnamen Abu Luqman al-Almani auch wegen der Begehung von Kriegsverbrechen.
Sorge vor Anschlägen von Rückkehrern
Nichts fürchtet die hiesige Terrorabwehr mehr, als dass einige der verschollenen IS-Veteranen unbemerkt über Grenze einreisen könnten, um Anschläge zu begehen. Mit Sorge beobachten die Terrorfahnder an Rhein und Ruhr die Entwicklung in Syrien und in der Türkei. Seit dem Niedergang des IS in der Levante und der militärischen Offensive der Türkei in den autonomen nordsyrischen Kurdenregionen verändert sich die Lage beinahe täglich.
Nach Erkenntnissen der Landesverfassungsschützer sitzen circa 44 Personen aus NRW in Syrien und dem Irak ein. Dazu zählt Muhamed H., ein IS-Kämpfer aus Duisburg. Er posierte in der Hochphase der Terror-Garden mit einer Reihe abgetrennter Köpfe und Leichen in Internet-Chats.
Sechs Personen aus NRW in Haft
Nach der Niederlage des IS im syrischen Rakka desertierte der gebürtige Kosovare. Nach dem Zusammenbruch des IS gelang seiner Frau noch die Rückreise in die Heimat, während ihr Mann sich kurdischen Einheiten im Nordirak ergab. Und noch eine Personalie: Anfang 2019 geriet der Konvertit Lucas G. in kurdische Gefangenschaft. Gegen den islamistischen Gefährder aus Dortmund ermittelt die deutsche Justiz wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Auch ihm droht nach seiner Rückkehr die Untersuchungshaft.
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, sitzen sechs Männer und Frauen aus NRW in der Türkei in Haft. Darunter eine Deutsche mit osteuropäischen Wurzeln. Insgesamt halten sich noch 110 Personen aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland in den Krisengebieten Syriens und im Irak auf. Einige von ihnen auch in der Türkei.
Immer mehr IS-Frauen wollen zurück
Bisher blieb die große Rückreisewelle aus: Allerdings scheinen immer mehr IS-Frauen mit ihren Kindern nach Deutschland zurückzuziehen. Manche wie die Ex-Politikstudentin Mine K. aus Köln, die derzeit als mutmaßliches IS-Mitglied vor Gericht steht, betätigten sich in Syrien wohl eher als Hausfrau unter einem islamischen Gottesregime, als dass sie gekämpft hätten.
Anders bei Carla S., einer Rückkehrerin aus Oberhausen. Die glühende Verfechterin der Dschihad-Doktrin schloss sich gegen den Willen ihres Mannes mit ihren drei Kindern 2015 dem IS an. Den sechs Jahre alten Sohn ließ sie laut Bundesanwaltschaft im syrischen Rakka militärisch drillen und an Schusswaffen ausbilden. Als der Junge sich beschwerte, zeigte die Mutter ihren Sohn bei der Religionspolizei an. Die Sittenwächter verprügelten den Kleinen. 2018 starb er bei einem Raketenangriff. Carla S. schloss sich einer Frauenkampfeinheit des IS an.
Carla S. muss sich vor Staatsschutzsenat verantworten
Am 6. Juni 2019 landete Carla S. mit ihrer Familie auf dem Stuttgarter Flughafen. Dort ging sie in U-Haft. Den Rücktransfer hatte ihre Mutter nebst Anwalt mit Hilfe des Auswärtigen Amtes initiiert. Bald muss sich Carla S. vor einem Düsseldorfer Staatsschutzsenat wegen diverser Terrordelikte verantworten.
NRW-Staatsschützer unterziehen alle IS-Rückkehrer einer Gefahrenanalyse. Zudem drängen die Innenminister der Länder auf kontrollierte Rückreisen der Extremisten. Sollten die Anhaltspunkte nicht für die Einleitung von Strafverfahren genügen, „werden die Rückkehrer von den Sicherheitsbehörden engmaschig überwacht“, teilte ein Sprecher aus dem NRW-Innenministerium mit.
„Zentraler Rückkehrkoordinator“ soll installiert werden
Für die Überwachung eines islamistischen Gefährders der höchsten Risikoklasse werden täglich 25 Polizeibeamte benötigt. Sollte sich die Zahl der IS-Veteranen erhöhen, die nach Deutschland reisen, würde dies die Kapazitäten der Überwachungsorgane übermäßig strapazieren. Vor dem Hintergrund wollen die Staatsschützer in Düsseldorf einen „zentralen Rückkehrkoordinator“ installieren, der Ideen entwickelt, um Teile der extremistischen Klientel aus dem radikalen Fahrwasser zu fischen.