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Palästinenser: 40 ToteIsrael greift „Hamas-Kommandozentrum“ in humanitärer Zone an

Lesezeit 5 Minuten
Chan Junis ist erneut Schauplatz eines israelischen Luftangriffs. (Archivbild)

Chan Junis ist erneut Schauplatz eines israelischen Luftangriffs. (Archivbild)

Bei einem Luftangriff, der angeblich einem Hamas-Befehlsposten galt, soll es in einem Flüchtlingslager Dutzende Tote gegeben haben.

Die israelische Luftwaffe hat nach eigenen Angaben eine in einer humanitären Zone im Gazastreifen untergebrachte Kommandozentrale der islamistischen Hamas angegriffen. Nach Angaben des Direktors für Versorgung bei der Zivilverteidigung in Gaza kamen mindestens 40 Menschen bei dem Luftangriff ums Leben, mehr als 60 seien verletzt worden. Demnach wurden Zelte getroffen, in denen Binnenflüchtlinge untergebracht sind. Laut dem israelischen Militär wurden vor dem Angriff mit Präzisionsmunition zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um das Risiko zu verringern, dass Zivilisten zu Schaden kommen.

Angaben zu möglichen Opfern machte die Armee in der Nacht nicht. Sie erklärte lediglich, dass Terroristen von der Zone in Chan Junis im Süden des umkämpften Küstengebiets aus gegen die israelischen Truppen und den Staat Israel vorgegangen seien. Die Hamas erklärte auf ihrem Telegram-Kanal, Israels Behauptung, ihre Kämpfer hätten sich in der humanitären Zone Al-Mawasi bei Chan Junis aufgehalten, sei „eine eklatante Lüge“.

 

Chan Junis ist erneut Schauplatz eines israelischen Luftangriffs. (Archivbild)

Chan Junis ist erneut Schauplatz eines israelischen Luftangriffs. (Archivbild)

Israels Militär hatte im Juli ein abgezäuntes Objekt in der humanitären Zone zwischen Chan Junis und Al-Mawasi bombardiert, das nach israelischer Darstellung als Basis für Hamas-Terroristen diente. Bei dem Angriff wurden demnach der Militärchef der Hamas, Mohammed Deif, und der Kommandeur der Chan-Junis-Brigade der Hamas, Rafa Salama, getötet. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde kamen bei dem massiven Luftangriff damals 90 Menschen ums Leben und weitere 300 wurden verletzt.

Behörden: Bereits rund 41.000 tote Palästinenser in Gaza 

Deif gilt als einer der Drahtzieher des Terrorangriffs der Hamas und anderer extremistischer Gruppen vom 7. Oktober vergangenen Jahres. Dabei wurden mehr als 1.200 Menschen in Israel getötet und etwa 250 weitere als Geiseln nach Gaza verschleppt. Das beispiellose Massaker wurde zum Auslöser des Kriegs. Seit Kriegsbeginn ist die Zahl der getöteten Palästinenser in Gaza nach Angaben der örtlichen Behörden auf knapp 41.000 gestiegen. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten und lässt sich kaum überprüfen.

Die im Gazastreifen laufende Polio-Impfkampagne ist laut Angaben der Vereinten Nationen auf Kurs. In der abgeschlossenen zweiten von drei Phasen seien mehr als 446.000 Kinder im Kampf gegen das hochansteckende Virus erreicht worden, sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric in New York. Das entspreche fast 70 Prozent der Gesamtzahl an 640.000 zu impfenden Kindern. Ab heute solle nun die dritte Phase der Kampagne beginnen, bei der die Kinder im Norden des abgeriegelten Gazastreifens die Schluckimpfung bekommen.

Angehörigen-Forum: Furchtbare Umstände für Geiseln

Nach israelischer Zählung befinden sich noch 101 Menschen in der Gewalt der Hamas, wobei unklar ist, wie viele davon noch leben. Die Entführten werden nach Angaben ihrer Angehörigen unter grauenhaften Bedingungen festgehalten. Das Forum der Familienmitglieder der Entführten teilte mit, eine erste Untersuchung des Schicksals von sechs zuletzt getöteten Geiseln durch die Armee habe ergeben, dass die ermordeten Geiseln zuvor „in engen unterirdischen Tunneln mit wenig Luft festgehalten wurden“. Sie hätten unter extremer Mangelernährung sowie Gewichtsverlust gelitten und „klare Zeichen langanhaltender körperlicher Vernachlässigung“ aufgewiesen, hieß es. Die Untersuchungsergebnisse seien den Angehörigen vorgelegt worden. Die Armee äußerte sich dazu offiziell nicht.

Die sechs Leichen waren nach Militärangaben vor gut einer Woche in einem Tunnel im Gebiet Rafah im Süden Gazas gefunden und nach Israel überführt worden. Die Geiseln seien kurz zuvor von den Kidnappern gezielt getötet worden. Ein Hamas-Sprecher sagte dagegen, sie seien bei israelischem Bombardement ums Leben gekommen. 

Immer wieder fordern Demonstranten in Israel die Freilassung der Geiseln. (Archivbild)

Immer wieder fordern Demonstranten in Israel die Freilassung der Geiseln. (Archivbild)

Die Geiseln seien in einem etwa 80 Zentimeter breiten Tunnel festgehalten worden, in dem sie nicht stehen und sich auch nicht frei bewegen konnten, hieß es in der Mitteilung des Angehörigen-Forums weiter. Sie hätten dort auch keinen Zugang zu Duschen oder Toiletten gehabt. Nicht einmal „grundlegendste menschliche Bedürfnisse“ seien respektiert worden. „Einige von ihnen hatten unbehandelte Verletzungen aus der Zeit ihrer Entführung, an einem von ihnen wurden Anzeichen von Fesselung gefunden“, hieß es.

Der israelische TV-Sender Channel 13 berichtete, die sechs Leichen seien nebeneinander aufgefunden wurden. Forensische Untersuchungen hätten ergeben, dass sich die Entführten vor ihrer Tötung „verteidigen und sich gegenseitig beschützen wollten“. Sie hätten offenkundig mit ihren Peinigern gekämpft, bevor sie erschossen wurden. „Die Beweise zeigen, dass sie ganz bis zum Ende um ihr Überleben gekämpft haben, bevor alle sechs brutal ermordet wurden“, hieß es.

Forderung nach sofortigem Deal mit der Hamas 

„Diese Enthüllungen liefern unbestreitbare Beweise dafür, dass die Geiseln, die immer noch in Gaza festgehalten werden, in größter Gefahr schweben“, betonte das Forum und forderte einen sofortigen Deal mit der Hamas über ihre Freilassung. Die indirekten Verhandlungen zu ihrer Freilassung, bei denen die USA, Ägypten und Katar vermitteln, drehen sich jedoch seit Monaten im Kreis. Das im Raum stehende mehrstufige Abkommen würde auch die Beendigung des Kriegs, den Rückzug des israelischen Militärs aus dem Gazastreifen und die Entlassung tausender palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen einschließen. 

Kritiker werfen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu vor, den Abschluss einer derartigen Vereinbarung mit überzogenen Forderungen - wie etwa der nach einem dauerhaften Verbleib des israelischen Militärs an strategischen Stellen Gazas - zu torpedieren. Netanjahu regiert in einer Koalition mit rechtsextremen Parteien, die jegliche Zugeständnisse an die Hamas ablehnen und ihm mit dem Platzen der Regierung drohen. 

Israel hält UN-Konvoi auf - Angeblich Verdächtige an Bord

Israels Armee hat unterdessen nach eigenen Angaben einen UN-Fahrzeugkonvoi im Norden Gazas aufgehalten, um Verdächtige zu befragen. Hintergrund seien „Geheimdienstinformationen, denen zufolge sich eine Anzahl palästinensischer Verdächtiger darin aufhielt“, teilte das Militär mit. Es handele sich um Fahrzeuge, in denen UN-Mitarbeiter transportiert würden.

Der israelische TV-Sender Kan berichtete, zwei verdächtige Palästinenser hätten den Konvoi „infiltriert“ und sich in einem der Fahrzeuge verschanzt. Israelische Soldaten hätten Warnschüsse abgegeben. UN-Sprecher Stéphane Dujarric sagte der Deutschen Presse-Agentur dazu: „Zu diesem Zeitpunkt kann ich nur sagen, dass wir Kenntnis von einem laufenden Zwischenfall haben, in den UN-Personal und -Fahrzeuge verwickelt sind.“

Das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen Israel und den Vereinten Nationen ist durch den Krieg noch stärker belastet worden. Israelische Vertreter haben Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks wiederholt in die Nähe von Terroristen gerückt. Im vergangenen Monat wurde nach Angaben der Vereinten Nationen ein für humanitäre Hilfe eingesetztes UN-Fahrzeug in einem Konvoi von israelischen Soldaten beschossen. Die israelische Armee kündigte eine Untersuchung dazu an. (dpa)